Dieses Phänomen im Kapitalismus, dieses Verwertungsstreben, gibt es auch im Tierreich. Allerdings als Teil eines natürlichen Kreislaufes: Selbst für Aas gibt es noch Interessenten. Im Kapitalismus macht man ein Geschäft daraus, wie z.B. aus Gammelfleisch, und verkauft es, wenn es geht! Egal, ob Menschen daran erkranken oder sterben.
Das Generieren neuer Felder, wie an Geld heranzukommen sei, hat Einzug gehalten und verstreut Gift, das Misstrauen in Menschen erzeugt. Derartige Geschäftsformen haben selbst vor dem Gesundheitswesen nicht Halt gemacht. Die Tatsache, dass das alte Gesundheitswesen viele chronisch kranke Menschen hervorgebracht hat, wird nun gegen dieselben und zusätzlich neue Patienten, die qua definitionem per Versicherungsvereinbarungen dazu gemacht werden, gewandt: Sie müssen zusätzlich zahlen. Zusatzversicherung heißt das Zauberwort für die Gesundheitswirtschaft. Aus Fehlern in Strukturen und Verteilungen im Gesundheitssystem sowie zusätzlich aus den ihnen resultierenden Folgen und weiter, zusätzlich persönlich zu verbuchenden Behandlungsfehlern von Behandlern, werden Krankheiten von Menschen, werden Patienten, für die diese dann obendrein selbst zahlen müssen. Dass dieses System dann ein vermehrtes Interesse an chronisch kranken Menschen hat und vor allen Dingen daran, wie man das Heer der chronisch Kranken weiter steigert, liegt auf der Hand. Haben Menschen eine Erkrankung, die zur Genesung Zeit braucht, kann es ihnen passieren, dass sie schneller einen Chroniker-Tarif angeboten bekommen als Aussichten auf gute Behandlungsmethoden und Genesungsperspektiven offeriert werden: wenn sie nicht dann schon aus der Versicherung rausgeschmissen worden sind – denn dies kann auch schnell passieren, wenn die Versicherung nachforscht und darauf hinweißt, dass es da eine Vorerkrankung gab, die bei Vertragsabschluss nicht mitgeteilt wurde. Zusatzversicherungen sind moderne Geschäftsmethoden aus den Konsequenzen des Wettbewerbs, um Patienten zur Bezahlung der ausgeklügelten Mehrkosten, aber nicht zur Gesundung zu bringen.
Will man wissen, in welche Richtung Veränderung und Heilung notwendig zu verlaufen hat, muss man sich zwangsläufig Fakten in einer Kultur anschauen. Insofern folge ich gewohnheitsmäßig meinem alltäglichen Arbeitsstil, indem ich jeden Tag aufs Neue meine Bereitschaft bei meinen Patienten aktiviere, zu hören, was im Leben von Menschen an Einflüssen nicht gut, sondern oftmals schief gelaufen ist und sie sich deshalb nicht gut entwickeln und/oder leben konnten oder können. Sie stellen fest, dass sie sich psychisch oder leiblich in eine Richtung entwickeln, mit der sie sich nicht abfinden möchten. Sie möchten ihre Seele bewahren und sich nicht mit Symptomen oder erzwungenen Lebensläufen abfinden. Ebenso wende ich mich im vorliegenden Buch geballt Informationen aus unserer Gesellschaft und ihrer Bedeutung, wie den daraus resultierenden Gefühlen freiwillig ohne Ablenkung und Schonung, zu. Einer Vielzahl von Menschen in unserer Gesellschaft ergeht es unfreiwillig ähnlich. Sie werden gleichfalls nicht geschont.
Der Ideenreichtum eines charakterlosen Spezialistentums zur Irreführung von Menschen blüht und gedeiht quer durch Kultur und Gesellschaft. Ob hinsichtlich des Missbrauchs von Visitenkarten einer namenhaften Firma mit Aufdruck einer falschen Telefonnummer, die von „kleinen Gaunern“ gefälscht werden und so die Aufträge der Kundschaft abgefangen werden oder Datenklau im großen Stil betrieben wird, das Ergebnis davon betroffener Menschen ähnelt sich: Sie sind die Betrogenen und werden misstrauisch. Für sie schreibe ich. Aber eben auch für die anderen, die so unfassbar viele Möglichkeiten aufgrund ihres Geldes haben, dieses Leben insgesamt für viele Menschen besser werden zu lassen. Im gleichen Atemzug ist eine weitere Entwicklung zu bemerken, wo sich Geber und Nehmer im gleichen Maße beschämt zeigen wie verärgert fühlen. Derjenige, der gibt, spendet und verschenkt und derjenige, der empfängt, bemängelt und beklagt sich trotz „Geschenk“, statt sich zu bedanken. Resultat ist in beiden Fällen Rückzug.
Aber das Anliegen in diesem Buch geht über die aktuelle Situation hinaus: Es geht auch um die Reflexion des menschlichen Wesens und was es lebensnotwendig für eine weitere positive Entwicklung benötigt. Es geht darum, in welche Richtung sich das menschliche Wesen als Gattungswesen in der Gegenwart entwickeln kann und zukünftig sollte. Wir haben, wie jede Generation, auch die menschliche Verpflichtung für diejenigen, die nach uns kommen zu reflektieren, ebenso für diejenigen, die jetzt noch nicht laufen können, aber schon den Auswirkungen dieser Kultur atmosphärisch ausgesetzt sind. Dafür müssen Entscheidungen gefällt und Weichen gestellt werden.
Qua Information und Faktenlage beziehe ich mich dabei auch auf Tageszeitungen, gängige Zeitschriften und/oder Medienberichte mit hohen Einschaltquoten. Damit ist sichergestellt, dass einer Mehrzahl von Bürgern Fakten und Informationen zugänglich sind, die in den hierfür skizzierten Leisten (obigen Grundpfeilern) kreativ dynamische Bilder im Rahmen der Zweiklassengesellschaft entwerfen und aufzeigen. Hierbei offenkundig werdende Missstände, Mängel und Versäumnisse verweisen auf künftige Baustellen. Diese sind notwendig im Sinne einer Teleologie, den Menschen und seine Heilungsprozesse in der Spitze aller Werte zu verankern, zu eröffnen. Damit ist gleichzeitig gesagt, dass der Mensch den Menschen im Zuge gesellschaftlicher Entwicklung in der Identifikation mit dem Leistungsprinzip und seiner Pervertierung vergisst. Dieses Buch ist ein Plädoyer für die Besinnung auf den eigentlichen Wert des Menschen. Für ihn müssen neue Entscheidungen getroffen und neue Wege gegangen werden. Wir müssen uns besinnen, was wir sein wollen und wie wir geworden sind. Der Differenz zwischen beiden gehe ich nach, indem ich Unterschieden zwischen einer Orientierung auf den Mehrwert (Gegenwart) und Selbstwert (mögliche Zukunft) und in unserer Kultur nachgehe. Dies geschieht aus unterschiedlichen Perspektiven, einerseits streng aus individueller und andererseits aus unterschiedlich saloppen Blickwinkeln wie psychoökonomischen, sozialpolitischen, ethisch-moralischen oder auch psychopathologischen. Wie sie im Hintergrund zum Buch noch lesen werden, spiegeln sich gewollt gleichfalls unterschiedliche Gefühlslagen im Schreibstil wider. Sie fangen nicht nur individuelle Gefühle ein, sondern sind als verhaltener, aber dennoch deutlicher Gefühlspegel in der Kultur zu verstehen.
Um nachzuvollziehen, wie sich unsere sozialen Lebensbedingungen und das Gesundheitswesen in eine unheilvolle oder heillose Richtung bewegen konnten, hat das Buch drei Teile: Im ersten Teil (Band 1, 1.1. und 1.2.) werden unsere Kultur, Wirtschaft und Lebensbedingungen beleuchtet. Im zweiten Teil (Band 2) wird der Stellung der psychologischen Psychotherapeuten in unserer Gesellschaft innerhalb der Kassenärztliche Vereinigung (KV) nachgegangen und in Band 3 die Gesundheitswirtschaft, ihre Ziele und ihre Bedeutung für die deutschen Psychologischen Psychotherapeuten und Ärzte betrachtet. Unschwer lässt sich entnehmen, wie die Aufrechterhaltung alter Vorurteile bezüglich „Psyche und Seele“ sich in Berufsrechten, Honorar und Stellung der kassenärztlich zugelassenen psychologischen und medizinischen Psychotherapeuten widerspiegelt. Trotz oder gerade wegen guter Erfolgsquoten werden die Patientenzahlen für Behandlungen in dieser Berufsgruppe politisch klein gehalten – obwohl die Ausweitung der Psychotherapie die Kosten im Gesundheitswesen senken würde. Dies ist seit Jahren so bekannt wie ignoriert. Verkürzt könnte man sagen: Die Psychologischen Psychotherapeuten, und sicherlich auch einige medizinische Psychotherapeuten, sind die einzige Berufsgruppe in der Gesellschaft und im Gesundheitswesen, die dem Selbstwert eines Menschen Bedeutung beimessen und ihn aktiv durch ihre Arbeit fördern. Andere Berufsgruppen arbeiten mit dem niedrigen und weiter fallenden Selbstwert zum eigenen Vorteil in die eigene Tasche. Psychologische Psychotherapeuten arbeiten insofern qua Berufsgruppe allein gegen das Prinzip der Mehrwerterschaffung und Profitgier der globalen Wettbewerbswirtschaft gesellschaftlich akzeptiert an, obwohl diese Tatsache von ihnen so wenig wie von mir als Berufsziel formuliert ist. Von daher erklärt sich die systematische Akzeptanz mittels Ablehnung und politischer Kleinhaltung dieser Berufsgruppe quasi von selbst. Denn Mehrwert ist der höchste Wert. Andere Werte interessieren nicht, werden nachlässig gehandhabt, auch wenn offiziell anderes verlautbart wird. Aus diesem Grunde wundern politische Bestrebungen nicht, die Patienten am liebsten ausschließlich an Symptomen orientiert behandeln möchten. Symptome zu beseitigen erspart die Reflexion, wie es zu ihnen kommen konnte. Analytische und verhaltenstherapeutische Verfahren trennen Welten an dieser Schnittstelle der menschlichen Geschichte.
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