Also doch! Sie versteifte sich. »Was wollt Ihr, das ich tue?«
Anwyll lachte leise. »Gut, Mädchen, gut! Fürst Bajan und Phelan bleibt der Zutritt zur Versammlung verwehrt, solange sie nicht begnadigt sind. Ich fürchte um unsere Entschlussstärke, wenn sie nicht anwesend sind.«
»So wie Ihr«, erwiderte sie. Ihr schwante nichts Gutes. »Bitte sagt mir, was ich tun kann.«
Seine Augen funkelten wieder so belustigt. »Ich möchte, dass du zu deiner Großmutter gehst und dich mit ihr versöhnst und ihr begreiflich machst, dass sie begnadigt werden müssen. Ich möchte es schon den ganzen Winter über.«
Althea war bleich geworden. »Aber warum ich? Warum redet Ihr nicht mit ihr?«
»Ich? Glaubst du denn, dass sie auf mich hören würde?«
»Nein«, musste Althea zugeben, erschrocken darüber, wie müde er plötzlich klang.
»Eben. Und ich möchte es, weil ihr Einfluss auf Mihal am größten ist. Er es ist, der Fürst Bajan und deinen Cousin begnadigen muss. Ich glaube, dass sie auf dich hören wird, wenn du dich denn beherrschen kannst und sie nicht gleich angehst. Sie fragt oft nach dir, musst du wissen, sie will dich wiedersehen.«
»Ja, das kann ich mir vorstellen«, murmelte Althea. Sie spürte die fragenden Blicke der anderen auf sich und wich ihnen aus. »Wo ist sie jetzt?«
Anwyll nickte ihr ermutigend zu. »In ihrem Gemach, vermute ich. Diese Nacht ist frei von jeglichen Ritualen.«
Zögernd stand Althea auf. »Dann bringe ich es am besten gleich hinter mich.«
»Bist du sicher?«
»Soll jemand mitkommen?«
»Willst du..?«, fragten ihre Freunde alle durcheinander.
Jeldrik beobachtete alles aus schmalen Augen. »Du solltest jemanden mitnehmen, nur zur Sicherheit«, schlug er vor.
»Ja.. Gayle.« Sie wählte ihre Freundin intuitiv. Gayle war seit ihrem Einfall mit dem Kelch schon fast in die Reihen der Priester eingegangen, durfte trotz der fehlenden Weihe an den Ritualen teilhaben. Sie würde sich von ihnen allen am wenigsten den Zorn ihrer Großmutter zuziehen.
Jeldrik sah den beiden Mädchen voller Unruhe hinterher. Er unterdrückte die Regung aufzuspringen und ihnen nachzulaufen, erst recht, als er Galvin sah. Der Novize ballte derart die Fäuste, dass er fast zu platzen schien.
»Keine Sorge, sie hat es bisher immer geschafft, sich gegen ihre Großmutter zu wehren«, sagte Anwyll zu Galvin. »Aber nun ist es Zeit für dich, unseren Gast zu versorgen. Vielleicht möchtest du ihn begleiten, Jeldrik? Er ist ein alter Bekannter von dir.«
»Ihr meint den Ragai?«
»Eben den. Vielleicht gelingt es dir ja, ein wenig in ihn zu dringen. Ich möchte Noemi keinesfalls zumuten, ihm noch einmal gegenüberzutreten.«
Damit hatte er auch Jeldrik binnen kürzester Zeit dort, wo er ihn haben wollte. Für Noemi würde er alles tun, so, wie alle anderen auch. »Wie macht er das bloß?«, fragte Jeldrik kopfschüttelnd, als er hinter Galvin durch die Gänge lief. Mit besten Wünschen an Bajan war er entlassen worden. Der alte Mann hatte auf einmal sehr erschöpft gewirkt, was ihm noch weniger Grund gab, diese Bitte abzulehnen. Jeldrik hatte ernste Bedenken, dass Anwyll überhaupt an der Versammlung würde teilnehmen können.
Galvin schnaubte leise. »Das frage ich mich schon, seit ich ihm diene. Der Einzige, bei dem es nicht wirkt, ist Mihal.«
»Und deshalb schickt er Thea?!«, fragte Jeldrik unruhig.
Galvin antwortete nicht, er legte einen Schritt zu. Jeldrik folgte ihm mit noch größerer Verwunderung. Was hatte das zu bedeuten?
»Soll ich mit hineinkommen?«, fragte Gayle. Sie standen im Schatten des Gebäudes, das zu Aislinns Gemach führte.
»Ist denn niemand hier, der Wache steht?«
»Nein. Niemand wird dort sein außer der Priesterin, die ihr gerade dient.«
»Dann gehe ich allein. Wartest du hier auf mich?«
»Natürlich. Mögen die Götter dir beistehen und dir Kraft geben.« Gayle zog sich in eine dunkle Nische neben der Tür zurück.
Althea betrat zögernd den stillen Gang. Es gab nur eine weitere Tür dort, erinnerte sie sich vom letzten Mal. Leise klopfte sie an und unterdrückte die Regung, gleich wieder in den Schatten zurückzuweichen. Was sollte sie bloß sagen, was tun?
»Wer ist dort?« Die Tür wurde einen Spalt weit geöffnet. Es war die Dienerin, Althea erinnerte sich an ihr Gesicht, aber nicht an ihren Namen. »Wer.. oh!« Sie machte einen überraschten Schritt zurück.
»Meine Großmutter wollte mich sehen. Ist sie hier?« Stumm trat die Frau zurück. Althea folgte ihr hinein. In dem Gemach war es dämmrig, nur von weiter hinten drang der Schein einer Lampe zu ihnen. Althea zog leise die Tür hinter sich zu.
»Was gibt es, Niune?«, rief Aislinns Stimme aus Richtung des Lichtes.
»Herrin, hier ist.. Besuch für Euch.« Das klang so merkwürdig, das Aislinn sofort nach vorne kam.
»Was für Besuch.. oh.« Sie erkannte die Gestalt unter dem langen Umhang sofort. Einen Moment starrten sich Großmutter und Enkelin wortlos an. Aislinn fasste sich zuerst. »Lass uns allein, Niune.«
»Ja, Herrin.« Die Dienerin verneigte sich und ging hinaus.
Kaum war sie fort, fragte Althea: »Du wolltest mich sprechen?«
»Sprechen?« Aislinn zog die Augenbrauen hoch. »So kann man das auch bezeichnen.«
»So hat man es mir gesagt«, erwiderte Althea.
»Also Anwyll«, nickte Aislinn kühl. »Was bezweckt er damit?«
»Das kann ich dir nicht sagen. Mit euren Ränkeschmieden habe ich nichts zu schaffen.« Das kam heftiger heraus, als Althea es beabsichtigt hatte. ›Bleib ruhig, lass dich nicht aufbringen‹, mahnte sie sich.
Ihre Großmutter ging auf diesen Ausspruch nicht ein. »Nun, da du schon einmal hier bist, komm herein.« Aislinn machte eine Handbewegung hinter sich, und irgendwie schaffte sie es, dass diese Bewegung nicht einladend, sondern befehlend wirkte. Althea folgte ihr dennoch. »Möchtest du etwas trinken?«
»Nein, danke.« Althea setzte sich langsam auf einen Stuhl, während Aislinn sich selbst einen Becher nahm.
»Ich habe gehört, ihr habt vor ein paar Tagen überraschenden Besuch erhalten«, wandte sich Aislinn nach einem langen Moment des Schweigens an sie.
»Ja. Fürst Bajan ersuchte um unsere Hilfe. Er war krank geworden. Wie du sicherlich weißt, gibt es in Saran keinen Heiler mehr, und wir konnten ihm helfen. Bis zum Einheitsfest wird er wieder genesen sein.«
»Er kann dort um Begnadigung ersuchen. Wird er es tun?«
Althea setzte sich noch aufrechter hin. »Das denke ich nicht. Auch Phelan wird es auf keinen Fall tun, das hat er mir gesagt.«
Die Vorstellung, dass jemand die Gesetze der Gemeinschaft einfach so ignorierte, war für Aislinn undenkbar. Ihr rutschte fast der Becher aus der Hand. »Sie werden nicht..?!«
»Großmutter, warum fragst du dann, wenn du mit dieser Möglichkeit nicht gerechnet hast?« Aislinn erwiderte nichts darauf. »Warum wurden die beiden gebannt?«, drängte Althea.
»Weil sie unsere Gesetze..«
»Nein!«, unterbrach Althea sie scharf. Mit ihrer Ruhe war es vorbei. »Ich will nichts darüber hören, dass sie Gesetze gebrochen haben! Sie kamen hierher, weil sie in Not waren. Fürst Bajan hat seinen Eid an das Königshaus von Gilda erfüllt, er wollte uns beschützen. Dass er und Phelan dabei unwissentlich in etwas gerieten, das man als normaler Mensch weder sehen noch hören noch spüren kann, war nicht ihre Schuld. Wenn hier überhaupt jemand Schuld hat, dann Vater, weil er uns nicht gewarnt hat.«
»Bajan hat unser ältestes Tabu gebrochen!«, fuhr Aislinn erbost auf.
»Wegen mir, wegen Phelan! Er tat es aus edlen Motiven und setzte sein Leben dabei aufs Spiel! Sie waren unwissend.«
Ihr Widerstand brachte Aislinn auf und auch, dass ihre Enkelin mit zunehmender Wut einem alten Seeräuber immer ähnlicher wurde. »Unwissenheit schützt vor Strafe nicht!«
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