1 ...6 7 8 10 11 12 ...21 Die Häckselmaschine war wirklich gefährlich. Ich sah einmal, wie der lederne Transmissionsriemen riss. Die Wucht, mit der er an die Wand klatschte, hätte gut einen Mann erschlagen können. Vor der Häckselmaschine hüteten wir uns. Aber nichts war mit dem Gefühl zu vergleichen, wenn wir uns, gleich nebenan, vom Gebälk laut kreischend ins das duftende Heu fallen ließen.
Gegenüber, auf der anderen Seite des Hofes, lag ein größeres Lagerhaus mit einer Rampe davor. Hier wurden die Fuhrwerke mit Düngemittel und Saatgut beladen. Im Inneren des Lagerhauses gab es einen alten Fahrstuhl, der ächzend die Getreidesäcke nach oben beförderte.
Auf der Rückseite des Wohnhauses lag der Eingang zum Büro. Daneben verbreitete eine Art amerikanische Holzveranda Urlaubsstimmung. Diese Veranda wurde nie benutzt. Von ihr hatte man einen unverbaubaren Blick auf die Brandmauer des Lagerhauses. Zwei Terrakottaampeln, die einsam und nie bepflanzt, von der Decke hingen, vervollständigten das trostlose Bild. Ganz hinten, zwischen den Stallungen und Lagerhaus, schloss eine Backsteinmauer den Hof zum Nachbargrundstück ab. Vor dieser Mauer lag die Jauchegrube. Über ihr schwebten auf Holzbalken zwei Plumpsklosetts.
Dieses herrliche Anwesen hatte sich Opa also gekauft. Aber er hatte noch mehr gekauft. Ein wirklich großes Grundstück zu Spekulationszwecken, zwischen zwei Straßen gelegen. Vorn ein Hof, umringt von Wohnungen der Angestellten, Garagen und Schuppen. Hinten eine große freie Fläche mit Apfelbäumen.
Später kaufte der Stiefvater noch ein größeres Grundstück von zwanzigtausend Quadratmetern, um auf ihm eine Obst- und Gemüseplantage zu errichten. Schließlich litt die Stadt große Not, und Vater Popig wollte die Versorgungsengpässe überwinden. Da im Hause Popig gerade eine gewisse Geldknappheit herrschte, hatte Mutter das ererbte Görlitzgeld ihrem Manne zur Verfügung gestellt. Sie tat das ohne Arg und ohne schriftliche Vereinbarung - schließlich waren sie miteinander verheiratet. Der Kaufpreis würde nach und nach auf ein Sparkonto zu Juttas und meinen Gunsten zurückerstattet werden.
Ich wusste darum und betrachtete dieses Land als Juttas und meines. Ohnehin würden wir drei Kinder eines Tages den ganzen Plunder erben, doch dieses Grundstück war vom Geld meines Vaters gekauft worden und es wurde sofort mein Lieblingsplatz, obwohl es im Grunde nichts weiter war, als ein großes Feld, das sich hinter dem Bahnhof zwischen zwei Straßen und Gärten erstreckte. Es war vollkommen flach, nur an der Bahnhofsseite ragte ein riesiger Betonklotz, mit einer Schräge in der Mitte, über den Boden. Wozu er gedient hatte, war niemanden mehr klar, er stand einsam in weiter Flur, zu groß, um einfach abgeräumt zu werden.
Hier saß ich am liebsten, ein kleiner König in seinem grünen Reich, und träumte von der Zukunft. Selbstverständlich würde ich das alles noch besser machen als der kapitalistische Ziehvater, denn ich wurde kommunistisch erzogen.
Ich würde noch mehr teilen und noch sozialer werden als er, dann würde der Neid in der Bevölkerung schon nachlassen. Schließlich gehörten wir zu den Kapitalisten und erregten allerlei Unmut im Dorf.
Die reichen Popigs und die hochnäsige Frau aus der Stadt mit ihren Modetorheiten. Tatsächlich hatte unsere Mutter den Ehrgeiz, die bestangezogene Frau Coswigs zu sein, was ihr auch spielend gelang. Tatsächlich gelang es ihr so gut, dass die Dorfkinder gelegentlich grölend hinter ihr herliefen.
Mutter war jedesmal außer sich vor Wut und schimpfte noch ein wenig mehr auf die Einwohner der Kuhbläke, wie sie unser schönes Coswig gern nannte. Sie mochte das Städtchen ganz und gar nicht und sehnte sich zurück in die Großstadt, wo sie viel besser glänzen konnte als bei diesen rückständigen Landbewohnern. Nein, sie fühlte sich hier nicht zu Hause und akzeptierte kaum etwas. Es gab nicht einen Laden, der sie zum Kaufen gereizt hätte. Und die hiesige Bevölkerung erinnerte sie an ungebildete Eingeborene eines anderen Planeten.
Auch wir Kinder wurden ihrem Modediktat unterworfen. Sie legte großen Wert darauf, Peter und mich hochmodern und im gleichen Outfit anzuziehen. So verbrachten wir endlose Stunden beim taubstummen Schneider, der uns praktischerweise gleich auf seinen Arbeitstisch stellte, um bequem an uns herumfummeln zu können. Wir fuhren in halbfertige Hosen mit pickenden Stecknadeln, und fassten uns seufzend in Geduld, wenn wieder mal ein Jackettärmel eingesetzt wurde und die kritische Kundin ihre Einwände vorbrachte.
So stolzierten wir sonn- und feiertags in blauen Schneideranzügen mit passenden Krawatten oder im Trachtenstil mit handgefertigten Schuhen durch die Gegend, was jedesmal für nicht geringes Aufsehen sorgte. Wir Brüder galten als die Dorfprinzen und leider erregten wir einigen Neid. Uns gefiel das ganz und gar nicht, als optische Attraktion im Partner-Look durchs Städtle zu rennen, doch auf der anderen Seite erfüllte uns ein törichter Stolz auf unsere schöne Mutter.
Und Mutter war nun einmal die Hauptperson unseres jungen Lebens. Sie stammte aus einfachen Verhältnissen und redete nur ganz selten über ihre Jugend, aber eines war ganz klar:
Sie arbeitete wie besessen an ihrem Äußeren, um trotz der knappen Mittel eine anziehende Erscheinung zu werden. Wenn sie, was selten genug vorkam, einmal von ihrer Schwester redete, so sprach sie höchstens von den Seidenstrümpfen, die diese der Schwerarbeitenden entwendet und heimlich getragen hatte, oder dem geliehenen Frühjahrskostüm, aus welchem sie die Unbotmäßige förmlich herausgeprügelt hatte. Ich hatte nur ein einziges Mal das Vergnügen, diese Tante kennenzulernen, und das auch nur kurz.
Ihren Bruder unterschlug Mutter uns völlig.
Das Bemühen der Ehrgeizigen um die Aufmerksamkeit der Männerwelt war erfolgreich. Zumal Mutter nicht nur hübsch, sondern auch noch ausgesprochen charmant und witzig war. Fast ein wenig zu erfolgreich, möchte man sagen, denn nach ungewohntem Alkoholgenuss erwachte sie eines Morgens schwanger. Ein rechtes Wunschkind war Jutta wohl nicht.
Zudem das Kind auch noch eine etwas transusige Art hatte, und obendrein zu einer gewissen Wehleidigkeit neigte. Wenn sich unsere Mutter über ihr Töchterlein ausließ, geschah das zumeist in abfälligem Ton - doch über wen äußerte sie sich nicht abfällig.
Der einzige, der von ihrer Kritik verschont blieb, war mein Vater. Den hatte sie flugs als Säulenheiligen auf ein Podest in der Kirche ihres Herzens gestellt, vor dem sie in frommer Anbetung verharrte.
Sein früher Tod ließ ihn vollends zu einem Mythos werden, dem sie liebestrunkene und in späteren Jahren eher alkoholisierte Verehrung zuteil werden ließ. Der Mann ohne Fehl und Tadel mit der klassischen Nase, die ich leider auch nicht geerbt hatte.
Die Geburt des Bruders nahm ein wenig von der Aufmerksamkeit, die bislang allein mir gegolten hatte. Ich fand mich achselzuckend damit ab, blieben Oma und Opa Popig doch weiterhin meine erklärten Fans. Außerdem gab es noch die Schwester in Leipzig, deren ungeteilte Zuneigung ich zu besitzen vermeinte. Im Nachhinein denke ich, dass das eine der größten Fehlinterpretationen meines Lebens wurde. Doch wie auch immer; meine Liebe besaß sie jedenfalls, und folgerichtig machte ich mich im zarten Alter von vier Jahren auf den Weg nach Leipzig, um gleich meiner Schwester ebenfalls Ballerina zu werden.
Wie enttäuscht war ich doch, als sie mich eines Tages beiseite nahm und mir erklärte, dass sei kein richtiger Beruf für Jungen. Wieso eigentlich? Es gab doch auch Tänzer in ihrem Ballett.
Ich hatte mich schon wochenlang auf den künftigen Beruf vorbereitet. Ein tägliches Training ließ mich in stundenlanger Selbstvergessenheit graziöse Pirouetten vor Omas großem Spiegel drehen, während die Ärmchen dazu dramatisch herumfuchtelten. So in etwa stellte ich mir Ballett vor.
Читать дальше