Mal Hand aufs Herz, haben sie einen Sinti oder Roma in Ihrem Freundeskreis?
Es war jetzt über drei Jahre her, dass ich Mirko das letzte Mal gesehen hatte. Ich weiß es so genau, da ich damals beruflich noch etwas Anderes machte und noch nicht mit meinem Studium bei der Polizei begonnen hatte.
Da er es von Bekannten gehört hatte, dass ich jetzt Polizist war, sprach er mich darauf an. Ich bestätigte es ihm und erzählte davon, dass ich vor kurzem das Studium beendet hatte und nun Kommissar war. Er freute sich. Nicht nur für mich. „Es ist gut, dass ein Ausländer, ein Türke, Polizist wird.“, sagte er. „Besser für uns .“, meinte er dann noch und schaute mich an.
Mit „ uns“ waren alle gemeint, die nicht deutsch waren. Er war aber Deutscher und ich auch. Aber er meinte es anders. Der Beweggrund dieses „ uns“ so auszusprechen wie er es tat, zeigte in diesem Moment, wie viel unser Deutschsein in diesem Augenblick wert war. Zumindest aus seiner Sicht. Nämlich nur das berühmte Stück Papier, auf dem es stand. Mirko wusste, dass er für die Meisten nur der dunkelhäutige Zigeuner war, genauso wie ich für „alle“ die mich sahen, der Türke, oftmals auch nur der Kanake war.
„Es ist gut für uns, gut für die Türken, wenn du mit denen zu tun hast. Dann kannst du denen helfen, damit sie nicht so schlecht behandelt werden. Viele können doch nicht richtig deutsch. Dann kannste gleich übersetzen, außerdem behandeln doch deine Kollegen die Leute ganz anders, wenn du als türkischer Polizist dabei bist. Oder?“ So ungefähr waren seine Worte. Ich nickte ihm zu und bestätigte, dass es natürlich von Vorteil war Türke zu sein, wenn man mit Türken dienstlich zu tun hatte.
„Aber sei mal ehrlich!“, sagte er dann und beugte sich ein wenig zu mir herüber, um leiser zu sprechen. „Behandeln sie dich jetzt anders, nur weil du Polizist bist?“
Sie . Das waren die Deutschen, die er meinte.
Ich lächelte, weil ich sehen konnte, dass er die Antwort schon kannte. Natürlich nicht. Und er meinte nicht nur den deutschen Bürger, der mir als polizeiliches Gegenüber entgegen trat. Er meinte auch die Kollegen. Und auch hier wusste er, dass es sie gab. Diejenigen, die ein Problem mit mir, mit meiner Person hatten, da ich in ihren Augen kein richtiger, kein echter Deutscher war.
„Es gibt ein paar Kollegen, mit denen ich Probleme hatte, weil ich ausländischer Herkunft bin.“
„Ja, ja, ich weiß. Ich weiß schon. Für die kannst du noch so sehr Bulle sein, für die bleibst du immer der Kanake. Genau wie ich. Ich kann machen was ich will, auftreten wie ich will, die meinen immer, ich habe meine Teppiche geklaut. Für die bin ich immer der scheiß Zigeuner. Ich will gar nicht wissen, wie viele Teppiche ich mehr verkaufen würde, wenn ich kein Sinti wäre.“
In diesem Moment fiel mir ein alter Bekannter ein, mit dem ich früher eine Zeit lang im Verein geboxt hatte. Valid, er war Libanese und hatte einen kleinen Gebrauchtwagenhandel. Nicht besonders groß, ca. 30 Fahrzeuge befanden sich auf seinem Stellplatz. Auch er hatte mir mal gesagt, dass er manches Mal am Verzweifeln gewesen war. Um seine Kunden zu halten oder Neue hinzu zu gewinnen, war er oft mit seinen Preisen weit herunter gegangen. Er hielt es für notwendig, damit er den Kunden einen Anreiz gab, um Fahrzeuge bei ihm, anstatt bei der deutschen Konkurrenz zu kaufen. Die Folge war, dass es sich herum sprach und viele nach kurzer Zeit die Meinung vertraten, dass er als Libanese garantiert die Tachometer der Pkw manipuliert bzw. zurückgedreht haben musste, um so die günstigen Preise anbieten zu können.
Es dauerte kaum ein Jahr und er war gezwungen seinen Gebrauchtwagenhandel wieder zu schließen. Trotz der geringeren Preise bei weitgehend gleicher Qualität.
„Wenn du als Ausländer nicht billiger bist, sagen sie, lass uns lieber beim Deutschen kaufen. Gehst du mit den Preisen runter, nennen sie dich einen Betrüger. Als Ausländer musst du ja was an der Tachoscheibe gemacht haben…“, so waren Valids Worte, als er mir von der Beendigung seines Gewerbes erzählte.
Ich war und bin immer noch davon überzeugt, dass Valid nicht deswegen sein Geschäft schließen musste, weil er Ausländer war. Sicherlich wird es mit dazu beigetragen haben, aber ich kann nicht glauben, dass es ausschlaggebend war. Nicht weil ich meine, dass Valid unfähig war, sondern weil ich weiß, dass die Leute nicht so ausländerfeindlich waren, wie Valid es empfand.
Der Punkt ist jedoch, dass es Gründe gab, die Leuten wie Mirko und Valid das Gefühl gaben, aufgrund ihrer Identität als kriminell betrachtet zu werden.
„Trotz allem! Deine Geschäfte laufen doch gut?“ fragte ich Mirko noch. „Es reicht, aber manchmal frustriert es mich halt, dass sie für den gleichen Teppich bei der Konkurrenz mehr Geld ausgeben.“
Wir unterhielten uns noch ein wenig und verabschiedeten uns. Ich dachte an diesem Tag noch viel über dieses Gespräch nach.
Tom fragte mich nach den Kollegen, die ich Mirko gegenüber erwähnte.
Die, die mit mir ein Problem hatten, weil ich Ausländer war.
Nun, ich war zwar ein Kind, das in einer Kleinstadt aufgewachsen war, aber deshalb war ich nicht weltfremd. Nach meinem Abitur begann ich zunächst ein Wirtschaftsstudium. Bevor ich es nach wenigen Semestern abbrach, um meinem Kindheitstraum bei der Polizei nachzugehen, wusste ich ganz genau, dass es Polizeibeamte gab, die rechtsradikales Gedankengut vertraten. Und ich wusste, dass es nicht immer einfach sein würde als Türke bei der deutschen Polizei. Für mich nicht und für einige Kollegen im Umkehrschluss genauso.
Ein paar Rückblicke sind von Nöten, um Ihnen zu erzählen, was ich meine:
Kapitel 2
Nur Ärger mit den scheiß Kanaken
Es war ein ganz gewöhnlicher Tag. Meine Kommilitonen und ich hatten schon ein Jahr theoretisches Studium an der Polizeifachhochschule hinter uns. Jetzt sollte unser erstes praktisches Studiensemester beginnen. Wir waren zum ersten Mal in Uniform mit Schusswaffe und allem drum und dran dem Bürger bei Seite. Klar war das aufregend und klar hatte man viele dienstliche Fragen, die einem durch meist sehr hilfsbereite Kollegen beantwortet wurden.
Einigen ging man auf den Nerv mit der vielen Fragerei, aber das war bei der Stundenbelastung der Kollegen nur zu gut zu verstehen. Anderen wiederum konnte man anmerken, dass es sie sehr erfreute ihr Wissen weiter zu geben. Und ich nahm es dankend an.
Nach einigen Tagen kam es dazu, dass ein Kollege, mit dem ich mich allein im vorderen Bereich der Wache aufhielt, sich zu mir drehte und folgendes sagte: „Eigentlich kann ich Türken ja nicht leiden, aber wir müssen wohl zusammen arbeiten.“ Er grinste dabei nicht. Nein, er wollte mich nicht auf den Arm nehmen oder so etwas. Er meinte es völlig ernst. Ich war für einen kurzen Augenblick verwirrt, weil ich nicht wusste, was er nun von mir erwartete.
Ich wollte ihn nicht unnötig provozieren und sagte nur: „Man kann nicht alles haben…“ Dann zogen sich seine Mundwinkel langsam zu einem halbherzigen Lächeln und er sagte: „Aber du bist doch bestimmt anders als die anderen! Oder?“
Anders? Fragte ich mich. Nein gar nicht. Ich war einer von vielen Migranten. Meiner türkischen Herkunft sehr wohl bewusst und nicht assimiliert. Auch hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal die deutsche Staatsbürgerschaft. Ich war durch eine Sondergenehmigung des Innenministeriums als Beamter eingestellt worden. Nicht EU-Bürger, die Beamte werden wollten, mussten eine Erklärung abgeben, dass sie ihre Muttersprache in Wort und Schrift beherrschten. Dann wurden bei Bedarf Ausnahmen zugelassen.
Mit „anders“ meinte er wohl „nicht kriminell“, „kein Schläger“, „kein sonst was“. Aber die Genugtuung gab ich ihm nicht. Ich sagte: „Nein, ich bin nicht anders. Es gibt aber sicherlich einige Türken, die anders sind als die große Masse bei uns und das werden wohl auch die sein, die du nicht magst.“
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