„Hallo Omi. Bei dir schlafen? Swenni auch.“
Ich hörte, dass ich nichts hörte.
Keine Reaktion am anderen Ende der Leitung. Lag sie etwa bewusstlos neben dem Hörer?
Julia streckte mir, wiederum wortlos, den Hörer hin.
„Ich bin zwar viel zu alt, um ständig auf deine Kinder aufzupassen aber von mir aus können die beiden heute hier übernachten. Ausnahmsweise! Dass mir das mal nicht zur Gewohnheit wird.“
„Es war Swenjas Idee, Mutti, nicht meine.“
Ich musste das einfach klarstellen.
„O.k., o.k.. Bringst du sie vorbei oder soll ich sie etwa abholen?“
„Nein, ich bringe die beiden heute Abend vorbei. Ich muss sowieso noch etwas erledigen. Ich hatte nämlich einen Unfall und muss noch den Bericht anfertigen.“
„Du hattest einen WAS? Aber das ist mal wieder typisch meine Tochter: nie erzählst du mir was!“
„Es ist ja nichts passiert, nur eine kleine Beule in der Stoßstange. Außerdem warst du sofort verschwunden. Egal. Ich hole die beiden nach dem Aufwachen wieder ab.“
„Nach meinem oder nach deinem Aufwachen?“
Das stellte für Mutti einen himmelweiten Unterschied dar.
„Nach meinem natürlich.“
„Das habe ich befürchtet. Beeil dich.“
„Ja, Mutti.“
„Bis nachher, Kind.“
Ich hasste es, wenn sie mich Kind nannte. Nachdem ich den Hörer ziemlich unsanft auf die Basisstation geworfen hatte, wandte ich mich den Kindern zu.
„Packt mal eure Sachen , ich bringe euch nachher zu Oma. Und vergesst die Zahnbürsten nicht.“
Da der Typ, der die Badezimmerschränkchen kaufen wollte nicht kam und es auch sonst recht ruhig blieb – das Telefon schwieg – konnte ich unvorhergesehenerweise schon am Nachmittag mit der Übersetzung beginnen. Den PC hatte ich zwar angeschaut, aber die vielen Kabel hatten mich eher verwirrt, so dass ich beschlossen hatte, für diese – wirklich nur für diese erste – Übersetzung noch meine Schreibmaschine zu benutzen. Danach würde ich – versprochen! - das Gerät mit den mindestens hundert Kabeln aus seiner Kiste befreien und anschließen.
Für heute Abend brauchte ich noch nicht einmal Susi zum Babysitten, da ich die Mädchen praktischerweise zu Mutti bringen konnte. Bei dem Gedanken daran fiel mir wieder siedend heiß ein, dass ich nicht die allergeringste Ahnung hatte, wie mein Unfallgegner und Traummann eigentlich hieß. Wie blöd war das denn?
Ich musste mich also um einundzwanzig Uhr auf den Weg ins „Hotel Marie“ machen, um Mister Unbekannt zu treffen. Was, wenn er dann immer noch nicht da war? Er musste mich für einen vollendeten Trottel halten. Erst schrammte sie den neuen Audi, fragte nicht nach dem Namen und nicht nach der Uhrzeit. Dabei lernte man das schon im Kindergarten!
18:00 Uhr (nur das Lexikon hört mein Seufzen)
Ich packte, direkt nachdem ich die Mädchen bei Mutti abgeladen hatte, meine alten, immer noch brauchbaren Italienisch-Lexika aus und machte mich am Esszimmertisch sofort an die Arbeit. Zum Glück war der Tisch und die Stühle noch da, sonst hätte ich mich auf den Boden legen müssen.
Bei dem Text handelte es sich um eine Gebrauchsanleitung einer Groß-Kühl-
und Gefrierkombination. Umberto verkaufte, das hatte ich bei meinem ersten Gespräch dort erfahren, Großkücheneinrichtungen, die in Italien hergestellt wurden. Meine Aufgabe war es, für die technischen Details und die Bedienungsanleitungen eine brauchbare und verständliche Übersetzung zu liefern.
Der Text war, wie vermutet, relativ leicht zu lesen. Dazu brauchte ich wahrlich keine Übersetzungshilfe.
Ich kam, da meine beiden Lieblings-Störfaktoren bei ihrer Oma weilten, überraschend schnell voran. Am frühen Abend hatte ich fast schon den gesamten Text ins Deutsche übersetzt, ich musste es nur noch abtippen. Mir war nun bekannt, wie die Super-Kühl-Gefrierkombination ans Netz angeschlossen wurde, welche Kühl- und Gefriertemperatur für welche Lebensmittel die optimale war und was bei einer betriebsbedingten Störung zu tun war. Was wohl? Den Kundendienst rufen. Wäre auch ohne Anleitung keiner drauf gekommen!
19:30 Uhr (Wasserdampf mit Lotusduft)
Um halb acht ließ ich mir ein heißes Bad ein. Ich lehnte meinen Kopf zufrieden zurück. Meine erste Übersetzungsarbeit klappte super. Viel besser, als ich es mir je erträumt hatte. Das gab mir einen gewaltigen Schub an Selbstvertrauen. Ich war noch imstande, etwas Produktives für unsere Wirtschaft zu leisten.
Juchhuh!
Nach dem Bad fühlte ich mich entspannt und ausgeglichen. Es blieb noch genug Zeit, um mich ausgiebig zu schminken und zurechtzumachen. Schließlich traf ich Mister Unbekannt!
21 Uhr 0 Minuten 0 Sekunden (etwas zappelig)
Ich stand um neun Uhr in der Hotelhalle des „Hotel Marie“, einem sehr gepflegten Mittelklassehotels in einer der besseren Gegenden der Stadt, und hoffte, meinen Unfallgegner zu treffen. Ich wusste gar nicht, wo ich hinschauen sollte.
„Zappel nicht so!“, ermahnte mich Klein-Ego.
Konnte dieser Kerl nicht einfach mal die Schnauze halten?
Ich fühlte mich wie bei einem Blind-date, es fehlte nur noch die Rose oder die Zeitung in der Hand.
„Kann ich Ihnen vielleicht helfen?“, wandte sich eine freundliche Dame von der Rezeption an mich.
„Äh, nein. Ich warte hier auf jemanden.“
Keine Ahnung, wie er heißt! Gast Marke Traummann.
Von Minute zu Minute wurde ich nervöser. Zeitung wollte Rose eventuell gar nicht treffen?
Dann kam er. Lässig eine Hand in die Hosentasche gesteckt, schlenderte er die Treppe herunter. Die Szene erinnerte mich an „Titanic“, als Jack vor der Uhr auf Rose wartet.
Mein Jack streckte mir schmunzelnd die Hand entgegen.
„Ich fürchte, ich hatte völlig vergessen, mich vorzustellen“, begann er das Gespräch.
„Hallo. Ich hatte aber auch vergessen, Sie nach Ihrem Namen zu fragen. Ich war heute morgen so wahnsinnig in Eile.“
"Constanze Holm."
Die Röte schoss mir ins Gesicht.
„Du siehst aus wie eine Flasche Ketchup“, lästerte Klein-Ego schon wieder.
„Klaus-Dieter Fröhlich“, holte Traummann mich aus meinem Disput mit Klein-Ego.
Ich wurde blass. Nicht schon wieder ein Klaus in meinem Leben!
„Wollen wir?“ lud er mich mit einer Handbewegung in Richtung Bar ein.
Er bestellte, ohne mich zu fragen, was ich eigentlich trinken wollte, einen Martini für mich und einen Cognac für sich.
Ich nahm mir mit einem entzückenden Lächeln den Cognac und prostete ihm zu. Herr Fröhlich staunte nicht schlecht, trank aber ohne zu zögern den Martini aus. Das passierte ihm sicher nicht mit jeder Frau, mit der er ausging!
„Constanze, komm' zurück auf den Teppich, du gehst nicht mit ihm aus. Du bist nur hier, weil du ihm heute morgen in seine Karre gefahren bist!“ Klein-Ego konnte einem aber auch wirklich den ganzen Spaß verderben!
Ich war froh, dass Klein-Ego so leise sprach, dass nur ich es hören konnte, beim Wort „Karre“ wäre für Herrn Fröhlich der Abend vermutlich zu Ende gewesen. Männer sind ja ein wenig eigen, wenn es um ihr geliebtes Auto ging.
Klaus-Dieter Fröhlich sah wirklich blendend aus. Er war ungefähr Mitte dreißig, hatte dunkelblonde, kurz geschnittene Haare, traumhaft braune Rehaugen, einen schier immer lächelnden Mund und kleine Grübchen. Ich schätzte ihn auf etwa eins achtzig bei nahezu Idealgewicht. Und er hatte einen sexy Hintern.
„Pfui, Constanze, schäme dich.“ Klein-Ego hob den Zeigefinger in meine Richtung. Quatsch, ich schämte mich kein bisschen. Die Wahrheit darf man doch schließlich denken. Männer dachten noch ganz andere Dinge!
„Haben Sie denn schon einen anderen Wagen bekommen?“, eröffnete ich den geschäftlichen Teil des Abends. Ich hoffte inständig, dass es auch einen nicht-geschäftlichen Teil geben würde.
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