„Und was ist, wenn es nun stimmt?“ wollte ich wissen.
„Dann müssen wir etwas tun, dann müssen Sie etwas tun. Denn noch ist es Zeit. So wie ich das beurteile, beginnt es bei Ihnen gerade erst.“
Ich schluckte und schwieg. Sie hatte recht. Es war wirklich so, dass mir in letzter Zeit vieles abhandengekommen war. Könnte es vielleicht sogar sein, dass auch ich ein Mörder war und es nur nicht mehr wusste? „Dein Denken zerbricht“, hatte Bruder Aurelius gesagt. War bei mir das Denken im Begriff zu zerbrechen?
„Ist bei mir das Denken im Begriff zu zerbrechen?“ fragte ich meine Begleiterin. Sie schaute mich erstaunt an und überlegte:
„So habe ich das noch nicht gesehen. Aber man könnte es vielleicht so nennen. Ich selbst aber würde sagen, dass sich das Denken lähmt.“
„Bruder Aurelius riet mir zu reimen.“
„Bruder Aurelius. Wer ist das?“
„Ein Mönch, von dem ich vorhin gerade kam.“
„Und er hat Ihnen geraten zu reimen?“
„Ja, er meinte, dass ich auf diese Art meine Gedanken zusammenhalten könne. Ich habe auch etwas gereimt. Aber fragen Sie mich nicht was.“
„Er meinte vielleicht, dass Sie durch das Reimen lernen könnten, ihr Denken selbst zu bestimmen. Dann verliert man es nicht mehr so schnell.“
„Ja, aber er hat das natürlich noch – wie es seiner Stellung entspricht – mit dem Göttlichen verbunden, mit einem Engel.“
Sie schaute mich eine Weile nachdenklich an und sagte dann: „Die Demenz ist ein Verlust des eigenen Selbst. – Man könnte folgendes reimen:
Was ist, wenn wir uns selbst entfliehen?
Wenn wir die Zeit, die wir gelebt,
Nicht mehr auf uns und unser Selbst beziehen.“
„Dann sind wir – laut Bruder Aurelius – nicht mehr in der Lage Außenwelt und Innenwelt zu verbinden“, sagte ich. Er gab mir die Meditation: Ich erkenne mich im Licht . Er meinte, dass ich mit dieser Meditation mich selbst im Bewusstsein erhalte.“
Sie war begeistert und strahlte: „Genau das habe ich gesucht. Die Menschen, die ich täglich betreue, haben diesen Selbstverlust und sind entweder nach außen oder nach innen wie gelähmt.“
„Das verstehe ich nicht“, sagte ich.
„Bedenken Sie doch“, erklärte sie und lehnte sich über den Tisch: „Manche meiner Patienten können lesen, verstehen aber das Gelesene nicht, weil sie das Gelesene in ihrem Selbst nicht reflektieren können. Und andere erleben sich selbst und können nicht mehr lesen. Sie haben sich selbst und verlieren die Welt. Sie sind also entweder nach außen oder nach innen wie gelähmt, und eine Verbindung wie im: Ich erkenne mich im Licht , fehlt ihnen. – Aber, entschuldigen Sie, in welchem Licht eigentlich?“
„Im Licht des Denkens.“
„Genau: im Licht des Denkens. Ja, das verstehe ich. Im Licht des Bewusstseins weiß man immer, wer man ist, und kann sich weder nach innen, noch nach außen verlieren.“
„Und ich will mich nicht verlieren“, sagte ich, und sie antwortete wie aus der Pistole geschossen: „Eben, deswegen haben Sie ja diese Meditation bekommen.“
Ich schwieg und ging in mich. Konnte ich mich wirklich mit diesen wenigen Worten retten? Langsam begann ich zu verzweifeln. So viele gute Ratschläge – von ihr, vom Mönch, und keiner konnte mir die Angst und die Unsicherheit wirklich nehmen.
„Mit der Theorie alleine ist es allerdings nicht getan“, sagte Frau Schuhmann plötzlich. Sie schien selbst unsicher geworden zu sein und sagte therapeutisch – gütig: „Vielleicht probieren Sie es einfach weiter aus. Ich auf jeden Fall finde es einen guten Ansatz.“
Dann drängte sie darauf zu gehen, denn es war schon spät geworden und sie musste früh raus, wie sie sagte. Also verabschiedeten wir uns und verabredeten uns für Ende der Woche. Dann würde sie mir sagen können, was ihr zu der Behandlung der Demenz noch eingefallen ist.
„Alles Theorie“, sagte ich auf dem Weg nach Hause vor mich hin. „Alles Theorie.“
Aber vor dem Schlafen meditierte ich doch noch einmal den Satz: Ich erkenne mich im Licht, und konzentrierte mich auf das, was ich an diesem Tage alles erlebt hatte. Ich fügte es rückwärtsgehend aneinander – und schlief darüber ein.
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