Die wegen ihre Finanz- und Steuerdelikte amtsbekannten Brüder wurden noch im Lauf der Vorerhebungen auf freien Fuß gesetzt und traten angeblich in ein Kloster in der Toskana ein, man hat nie wieder von ihnen im Friaul gehört.
Nachdem sich keine neuen Brüder für den Mönchsdienst in Gemona del Friuli fanden, wurde das Kloster ein, zwei Jahre nach der frevlerischen Tat geschlossen und nicht wieder eröffnet, auch für die kleine Kirche von San Giacomo fand sich bei dem Personalmangel in der katholischen Kirche kein Ersatz für den ermordeten Priester und so wurde die kleine Gemeinde ohne großen Aufsehens der Stadtpfarre von Gemona angeschlossen.
Nur der Carabinierileutnant hatte Pech. Zum Jahreswechsel wurde er zwar auf eigenen Wunsch in die Marken versetzt, wo er zunächst ein ruhiges Kommando führte, bis er eines Tages von einer Autobombe aus dem Leben gerissen wurde. Aber nur noch wenige erinnerten sich in Gemona del Friuli an ihn, als die Todesnachricht in den Medien verbreitet wurde.
Der Mantel des Schweigens legte sich über die mysteriöse Geschichte, mit der sowieso niemand im Ort etwas zu tun haben wollte, bis zu dem verhängnisvollen Tag zehn Jahre später, als eines der schönsten Mädchen der Stadt im fernen Rom mit Auszeichnung die notwendigen Prüfungen bestand und als jüngste Kriminalbeamtin Italiens ausgemustert und nach Triest versetzt wurde, weil der Friaul eine ruhige Gegend wäre, sehr geeignet um bei der Polizei voranzukommen, eigentlich das ideale Sprungbrett für eine gute Karriere, die, wenn man sich zu arrangieren verstand sehr steil nach oben führen konnte.
Vor dem Kommissar Sollier war die junge Kollegin zum Dienst angetreten. Clara Malverde, 23 Jahre, gebürtig aus Gemona del Friuli, mit allem ausgestatte, was man von einer jungen Italienerin zu erwarten hatte, und für den Job, den er ihr übertrug die idealen Voraussetzungen mitbrachte, niemand würde diese gewitzte Paparina für eine ernsthafte Ermittlerin der Kriminalpolizei halten.
Ihr Auftrag war sich unauffällig und diskret noch einmal im Mordfall umzuhören, das hieß genau hinzuhören, was der Volksmund nach all den Jahren über den unselig verstorbenen Don Mario zu sagen pflegte, um nach einigen Berichten der jungen Kollegin an den Kommissar zu entscheiden, ob man die Akte des ungeklärten Mordfalles endgültig schließen konnte.
Die junge Kollegin stimmte sofort zu und sie bekam vom Kommissar ihre Dienstmarke und ein paar Handschellen. Er ließ sie aus drei Waffetypen, verschiedener Kaliber eine Dienstwaffe aussuchen und sie entschied sich ausgerechnet mit dem Argument, dass sie lieber immer eine Kugel mehr als die anderen im Magazin haben wollte, für eine flinke Beretta.
Das gefiel dem Kommissar nicht.
Für so einen einfachen Job hätte eine 22er Stupsnase genügt, die kläffte und biss. Eine Beretta war eine mannstoppende Kanone.
Der Kommissar wollte einen Spitzel auf die heikle Sache ansetzen und kein Flintenweib in eine Gegend schicken, die sowieso nicht für Verfolgungsjagden und Schießereien bekannt war.
Aber die junge Kollegin war aus dem Friaul, sie sprach als einzige im Carabinierikommando von Gemona del Friuli Furlan und ihrer Personalakte nach auch Deutsch und Slowenisch und so wie sie aussah war die Malverde der ideale Lockvogel, der sich diskret, aber konsequent, an so manche Strauchdiebe, notstandgeplagte Papagalli und steht’s schwer betrunkene Touristen heran manchen konnte, um sie rein präventiv aus dem Verkehr zu ziehen, bevor sie noch mehr Unfug anrichten konnten.
Außerdem wäre sie die einzige Einheimische auf dem Posten, den ein, in Ungnade und Unehren, gefallener Carabinierigeneral aus Genua kommandierte, ein Polizeirevier, das ob des Personalmangels und der geringen Verbrechensrate notorisch unterbesetzt war.
Außer dem galaxienweit überqualifizierten Chef, rissen dort drei Beamte aus dem Süden den Dienst nach Vorschrift herunter, es wäre also vom polizeilichen Kalkül durchaus ein Gewinn eine Einheimische dort hinaufzuschicken und wenn so eine noch dazu gut aussah, würde selbst in so einem Hühnerstall wie dem Carabinierikommando von Gemona del Friuli endlich etwas vorangehen.
„Fragen, Signorina?“
„Werde ich wieder Uniform tragen?“
„Sie sind den Carabinieri von Gemona zugeteilt und erledigen die kriminalpolizeilichen Aufgaben, es ist anzunehmen, dass dort nicht gerade viel los ist, je nach Notwendigkeit werden Sie die Carabinieri bei anderen Amtshandlungen unterstützen. Die Diensteinteilung obliegt dem örtlichen Kommando.“
„Ich nehme an, dass ich alleine an dem Fall arbeiten werde?“
„Davon ist auszugehen. Sie sollen sich umhören. Indizien sammeln. Unauffällig bleiben. Hinhören, ob und wenn ja, welche Gerüchte es über den Mord an Don Mario gibt.“
„Wie lange werde ich in Gemona bleiben?“
„Drei Monate sind für die Untersuchung veranschlagt. Fragen?“
„Wann geht es für mich los?“
„Der Dienst ist sofort anzutreten.“
3. La donna della domenica
Die Malverde packte ihre Koffer, nur die beiden Uniformen hingen frisch gestärkt und gebügelt in einem undurchsichtigen Kleidersack, niemand würde wissen, dass sie ein Mitglied der italienischen Polizei war, als sie die Kaserne verließ und als Zivilistin auf den Strassen Triests verschwand.
Die Malverde fuhr nicht sofort in den Norden. Sie mietete ein Schließfach am Bahnhof und verstaute dort ihr Gepäck, dann kehrte sie ins Zentrum zurück. Sie genehmigte sich noch ein Mittagessen am Hafen, sie saß länger als üblich auf der Piazza dell’Unità d’Italia und sah auf das Meer hinaus, das sie die nächsten drei Monate nur noch an ihren freien Tagen, wenn überhaupt sehen würde, sie las den neuen L’Espresso und gönnte sich noch ein Buch von Fruttero und Lucentini.
Zum ersten Mal seit ihrer Flucht aus der Provinz las sie wieder einen Roman.
Zum ersten Mal seit fünf Jahren musste sie nicht an Gesetzestexte, Vorschriften, Berichte denken.
Zum ersten Mal hatte sie kein schlechtes Gewissen, dass sie ihre Zeit mit Belanglosigkeiten vergeuden würde, die ihrer Karriere im Weg stehen könnten.
Sehr zufrieden las die Malverde das ganze erste Kapitel aus ‚La donna della domenica’, und stand mit dem guten Gefühl vom Tisch auf, dass auch sie so eine war, wie in dem Roman der Firma , wie eine dieser schönen Frauen aus Turin, eine Sonntagsfrau aus dem italienischen Norden.
Gegen sechzehn Uhr erreichte die Malverde den Bahnhof, Zeit genug um noch einen Espresso in der Cafeteria zu trinken und ein Panino für die Reise zu kaufen, dann holte sie ihr Gepäck aus dem Schließfach und fand einen freien Platz in der vorderen Hälfte des Regionalzugs nach Gemona del Friuli.
Einen Moment zögerte sie, ob sie den L’Espresso oder das Buch lesen sollte, doch die Versuchung war einfach zu groß, wer wird schon einer Sonntagsfrau widerstehen?
Die Malverde zweifellos nicht.
Der Regionalzug gondelte nach Norden. Schneller wäre sie natürlich gewesen, wenn sie den Zug nach Udine genommen und dort in den IC nach Österreich umgestiegen wäre, der als letzte Station vor der Grenze in Ciusaforte hielt, aber dort hätte sie jemand abholen müssen, was ihr Vater sicher gemacht hätte.
Wie sah das denn aus, wenn sie vom Papa zur Polizei gebracht wurde? Sie wäre sofort bei ihren Kollegen unten durch und das wollte sie absolut nicht, sie war definitiv nicht mehr das kleine Mädchen der Familie Malverde.
Daher nahm sie die zwei Stunden Zugreise gerne in Kauf. Die Carabinieri wusste Bescheid und würde sie am Bahnhof von Gemona erwarten.
Normaler Weise wäre so eine ruhige Zugfahrt der richtige Zeitpunkt um in Ruhe zu lesen, doch sie schaffte während der gesamten Strecke nicht einmal drei Seiten aus dem zweiten Kapitel der ‚Sonntagsfrau’.
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