Es ist nicht durchaus notwendig, dass diese drei Stufen sich so folgen, dass man die erste ganz durchgemacht hat, bevor die zweite, und diese, bevor die dritte an die Reihe kommen. Man kann in Bezug auf gewisse Dinge schon der Erleuchtung, ja der Einweihung teilhaftig werden, wenn man in Bezug auf andere sich noch in der Vorbereitung befindet. Doch wird man eine gewisse Zeit in Vorbereitung zu verbringen haben, bevor überhaupt eine Erleuchtung beginnen kann. Und wenigstens für einiges wird man erleuchtet sein müssen, wenn der Anfang mit der Einweihung gemacht werden soll. In der Beschreibung aber müssen, der Einfachheit wegen, die drei Stufen hintereinander folgen.
Die Vorbereitung besteht in einer ganz bestimmten Pflege des Gefühls- und Gedankenlebens. Durch diese Pflege werden Seelen- und Geistesleib mit höheren Sinneswerkzeugen und Tätigkeitsorganen begabt, wie die Naturkräfte den physischen Leib aus unbestimmter lebendiger Materie mit Organen ausgerüstet haben.
Der Anfang muss damit gemacht werden, die Aufmerksamkeit der Seele auf gewisse Vorgänge in der uns umgebenden Welt zu lenken. Solche Vorgänge sind das sprießende, wachsende und gedeihende Leben einerseits, und alle Erscheinungen, die mit Verblühen, Verwelken, Absterben zusammenhängen, andererseits. Überall, wohin der Mensch die Augen wendet, sind solche Vorgänge gleichzeitig vorhanden. Und überall rufen sie naturgemäß auch in dem Menschen Gefühle und Gedanken hervor. Aber nicht genug gibt sich unter gewöhnlichen Verhältnissen der Mensch diesen Gefühlen und Gedanken hin. Dazu eilt er viel zu rasch von einem Eindruck zum anderen. Es handelt sich darum, dass er intensiv die Aufmerksamkeit ganz bewusst auf diese Tatsachen lenke. Er muss, wo er Blühen und Gedeihen einer ganz bestimmten Art wahrnimmt, alles andere aus seiner Seele verbannen und sich kurze Zeit ganz allein diesem einen Eindrucke überlassen. Er wird sich bald überzeugen, dass ein Gefühl, das in einem solchen Falle durch seine Seele früher nur durchgehuscht ist, anschwillt, dass es eine kräftige und energische Form annimmt. Diese Gefühlsform muss er dann ruhig in sich nachklingen lassen. Er muss dabei ganz still in seinem Innern werden. Er muss sich abschließen von der übrigen Außenwelt und ganz allein dem folgen, was seine Seele zu der Tatsache des Blühens und Gedeihens sagt.
Dabei soll man nur ja nicht glauben, dass man weit kommt, wenn man seine Sinne etwa stumpf macht gegen die Welt. Erst schaue man so lebhaft, so genau, als es nur irgend möglich ist, die Dinge an. Dann erst gebe man sich dem in der Seele auflebenden Gefühle, dem aufsteigenden Gedanken hin. Worauf es ankommt, ist, dass man auf beides, im völligen inneren Gleichgewicht, die Aufmerksamkeit richte. Findet man die nötige Ruhe und gibt man sich dem hin, was in der Seele auflebt, dann wird man nach entsprechender Zeit das Folgende erleben. Man wird neue Arten von Gefühlen und Gedanken in seinem Innern aufsteigen sehen, die man vorher nicht gekannt hat. Je öfter man in einer solchen Weise die Aufmerksamkeit auf etwas Wachsendes, Blühendes und Gedeihendes und damit abwechselnd auf etwas Welkendes, Absterbendes lenkt, desto lebhafter werden diese Gefühle werden. Und aus den Gefühlen und Gedanken, die so entstehen, bauen sich die Hellseherorgane ebenso auf, wie sich durch Naturkräfte aus belebtem Stoffe Augen und Ohren des physischen Körpers aufbauen. Eine ganz bestimmte Gefühlsform knüpft sich an das Wachsen und Werden; eine andere ganz bestimmte an das Verwelken und Absterben. Aber nur dann, wenn die Pflege dieser Gefühle auf die beschriebene Art angestrebt wird. Es ist möglich, annähernd richtig zu beschreiben, wie diese Gefühle sind. Eine vollständige Vorstellung kann sich davon jeder selbst verschaffen, indem er diese inneren Erlebnisse durchmacht. Wer oft die Aufmerksamkeit auf den Vorgang des Werdens, des Gedeihens, des Blühens gelenkt hat, der wird etwas fühlen, was der Empfindung bei einem Sonnenaufgang entfernt ähnlich ist. Und aus dem Vorgang des Welkens, Absterbens wird sich ihm ein Erlebnis ergeben, das in ebensolcher Art mit dem langsamen Aufsteigen des Mondes im Gesichtskreis zu vergleichen ist. Diese beiden Gefühle sind zwei Kräfte, die bei gehöriger Pflege, bei immer lebhafter werdender Ausbildung zu den bedeutsamsten geistigen Wirkungen führen. Wer sich immer wieder und wieder planmäßig, mit Vorsatz, solchen Gefühlen überlässt, dem eröffnet sich eine neue Welt. Die Seelenwelt, der sogenannte astrale Plan, beginnt vor ihm aufzudämmern. Wachsen und Vergehen bleiben für ihn nicht mehr Tatsachen, die ihm solch unbestimmte, Eindrücke machen wie vorher. Sie formen sich vielmehr zu geistigen Linien und Figuren, von denen er vorher nichts ahnte. Und diese Linien und Figuren haben für die verschiedenen Erscheinungen auch verschiedene Gestalten. Eine blühende Blume zaubert vor seine Seele eine ganz bestimmte, Linie, ebenso ein im Wachsen begriffenes Tier oder ein im Absterben befindlicher Baum. Die Seelenwelt (der astrale Plan) breitet sich langsam vor ihm aus. Nichts Willkürliches liegt in diesen Linien und Figuren. Zwei Geheimschüler, die sich auf der entsprechenden Stufe der Ausbildung befinden, werden bei dem gleichen Vorgang stets dieselben Linien und Figuren sehen. So gewiss zwei richtig sehende Menschen einen runden Tisch rund sehen, und nicht einer rund und der andere viereckig, so gewiss stellt sich vor zwei Seelen beim Anblicke einer blühenden Blume dieselbe geistige Gestalt.
So wie die Gestalten der Pflanzen und Tiere in der gewöhnlichen Naturgeschichte beschrieben werden, so beschreibt oder zeichnet der Kenner der Geheimwissenschaft die, geistigen Gestalten der Wachstums und Absterbensvorgänge nach Gattungen und Arten.
Wenn der Schüler so weit ist, dass er solch geistige Gestalten von Erscheinungen sehen kann, die sich seinem äußeren Auge auch physisch zeigen: dann wird er auch nicht weit entfernt sein von der Stufe, Dinge zu sehen, die kein physisches Dasein haben, die also dem ganz verbergen (okkult) bleiben müssen, der keine, Unterweisung in der Geheimlehre erhalten hat.
Zu betonen ist, dass der Geheimforscher sich nicht in ein Nachsinnen verlieren soll, was dieses oder jenes Ding bedeutet. Durch solche Verstandesarbeit bringt er sich nur von dem rechten Wege ab. Er soll frisch, mit gesundem Sinne, mit scharfer Beobachtungsgabe in die Sinnenwelt sehen und dann sich seinen Gefühlen überlassen. Was die Dinge bedeuten, das soll nicht er mit spekulierendem Verstande ausmachen wollen, sondern er soll es sich von den Dingen selbst sagen lassen. 1
Ein Weiteres, worauf es ankommt, ist das, was die Geheimwissenschaft die Orientierung in den höheren Welten nennt. Man gelangt dazu, wenn man sich ganz von dem Bewusstsein durchdringt, dass Gefühle und Gedanken wirkliche Tatsachen sind, genau so wie Tische und Stühle in der physisch-sinnlichen Welt. In der seelischen und in der Gedankenwelt wirken Gefühle, und Gedanken aufeinander wie in der physischen die sinnlichen Dinge. Solange jemand nicht lebhaft von diesem Bewusstsein durchdrungen ist, wird er nicht glauben, dass ein verkehrter Gedanke, den er hegt, auf andere Gedanken, die den Gedankenraum beleben, so verheerend wirken kann wie eine blindlings losgeschossene Flintenkugel für die physischen Gegenstände, die sie, trifft. Ein solcher wird sich vielleicht niemals erlauben, eine physisch sichtbare Handlung zu begehen, die er für sinnlos hält. Er wird aber nicht davor zurückschrecken, verkehrte Gedanken oder Gefühle zu hegen. Denn diese erscheinen ihm ungefährlich für die übrige Welt. In der Geheimwissenschaft kann man aber nur vorwärtskommen, wenn man auf seine, Gedanken und Gefühle ebenso achtet, wie man auf seine Schritte in der physischen Welt achtet. Wenn jemand eine Wand sieht, so versucht er nicht, geradewegs durch dieselbe durchzurennen; er lenkt seine Schritte seitwärts. Er richtet sich eben nach den Gesetzen der physischen Welt.
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