Diese Geschichte erzählt von Rolli, laut Reisepass offiziell Roland und laut Datum in diesem unbestechlichen Dokument bereits einige Jahre Zugehöriger der Generation 50plus. Und von seiner Wandlung vom unbescholtenen Bürger zum Rock’n’Roll-Musiker im Seniorenalter.
Während Rolli früher viele Jahre aufgrund seines reiseintensiven Berufes ein Leben aus dem Koffer führte, wohnt er heute in einem überschaubaren 1.000-Seelen-Dorf mit viel Bodenerdung. Doch seine globale Perspektive möchte er nicht missen. Die hat er einfach beibehalten.
….. und deren Weg in die 50Plus-Phase? Ohne Frage: das KKK-Modell ‘Küche, Kinder, Kirche’ hat längst ausgedient. „Glaubst du denn wirklich, dass deine Geschichte zur Opa-Wandlung ausschliesslich für Männer gilt …. ?“, klagte seinerzeit Marion, eine Bekannte Rollis, als er ihr von seinem Buchprojekt ‘Opa & der Rock’n’Roll’ erzählte . Marions Kommentar war durchaus plausibel, insbesondere, als sie ihre Sichtweise noch weiter erklärte: „Neulich las ich in einer Marketing-Fachzeitschrift einen Artikel über’s Älterwerden“, bemerkte Marion voller Hingabe, „und wunderte mich darüber, dass darin nur sechs Männer und nicht eine einzige Frau interviewt wurden. Ein Merkmal der neuen 50plus-Generat-on ist doch gerade auch die ‚Neue Frau‘!“ Und sie meinte dazu weiter: „Mich hätte an dieser Stelle schon interessiert, wie Frauen diese neue Lebensphase für sich interpretieren. Von ein paar berühmten Alterskolleginnen wie Madonna, Demi Moore, usw. weiss man das ja aus allen möglichen Promi-Magazinen und TV-Sendungen. Aber gerade von normalen Frauen, die beispielsweise wie ich in der Marketing- oder Medienbranche ihren ‚Mann‘, eigentlich besser ihre ‚Frau stehen‘, erfährt man das eigentlich kaum. Dabei ist doch gerade in meiner Branche der Druck des ‘Ewig Jungseins’ besonders hoch!“.
Dieser weibliche Einwand Marions stimmte mich nachdenklich. Sollte man nicht den Versuch eines verbindenden Wortes zum anderen Geschlecht unternehmen? Es ist bestimmt jedermann be-wusst, dass man im Zeitalter der gesetzesgestützten Quotenfrauen eigentlich nicht mehr am anderen Geschlecht achtlos vorbeigehen bzw. vorbei- schreiben sollte. Doch letztlich sind der Autor und auch der Hauptakteur dieser Geschichte Männer. Wäre es da nicht vermessen, den Versuch zu wagen, die Denk- und Sichtweise von Frauen in diese Geschichte hineinzuinterpretieren, nur um dem Geschlechterproporz genüge zu tun?
Im Endeffekt verhält es sich doch bei Geschlech-terbeziehungen ein bisschen wie mit linker und rechter Gehirnhälfte. Das Optimum liegt vermutlich im Streben nach einem Ausgleich, einem mittleren Weg der Ganzheitlichkeit. Das sich gegenseitig Akzeptieren und dem anderen seinen Raum lassen, kann zu einer Entspanntheit führen, die einem schon zu Lebzeiten ein kleines Paradies schaffen und zu beiderseitigem Seelenfrieden verhelfen kann. Andererseits ist es auch nur ein schmaler Grat zwischen der ‘Ja, Mutti’-Hingabe - aus Männersicht - mit dem Verlust der Selbstbehauptung bis hin zu nervenzehrenden Geschlechterkämpfen.
Doch die 50Plus-Lebensetappe lässt eigentlich gar keine Zeit zu sinnlosem Streiten. Sollten sich nicht sowohl Männer als auch Frauen ihre Energie in Toleranz und Eintracht auf die neu anstehenden Aufgaben dieses Lebensabschnittes konzentrieren?
Der Auftritt beim Stadtfest
Das Publikum war sofort im Bild. Besser gesagt ‘im Ton’, denn der akustische Wiedererkennungswert der ersten Akkorde des Startliedes von Rolli’s Band liessen keinen Zweifel zu: die Melodie von Elvis‘ ‘Jailhouse Rock’ hallte unverkennbar aus der Verstärkeranlage und liess vermutlich sogar die Spatzen von den Dächern mitpfeifen. Wahrscheinlich kroch die Musik sogar in alle Winkel des kleinstädtischen Marktplatzes und animierte wahrscheinlich auch die Kellerasseln in den Mauerritzen mit ihren vierzehn Asselbeinchen zum rhythmischen Mitstampfen.
Rolli wusste aus vielen Marketing-Berufsjahren, dass Produkte und Dienstleistungen möglichst ein sogenanntes Alleinstellungsmerkmal kennzeichnen sollten. Sprich, es musste gegenüber der Konkurrenz einzigartig, also nicht vergleichbar sein. Fanatische Englisch-Nutzer, also sog. ‘Heavy user’ englischen Vokabulars nennen ein solches Alleinstellungsmerkmal auch gerne ‘USP = unique selling proposition’. Obwohl man dazu genauso gut in gediegenem Deutsch ‘EVA = Einzigartiger Verkaufsaspekt’ sagen könnte. Und so boten Rolli und seine Band ihre Musiktexte in ‘phonetischer Kongruenz’ an. Ihre Spezialität war es nämlich, anglo-amerikanische Liedtexte ins Deutsche zu übersetzen. Jedoch nicht nach dem Wortsinn, sondern nach dem Wortklang und in passendem Versmass. Also eben in phonetischer Kongruenz. Und das klang bei der Version des ‘Jailhouse Rock’ von Rollis Band dann so:
Mutti macht Gymnastik
Wenn Mutti in der Küche die Kartoffel (t)schält
Und ihre rot lackierten Fingernägel quält
dazu wippt die Hüfte und dann voller Swing
Denkt sie an den Abend und sie hüpft und singt
Jetzt hopp, zur Gymnastik zack-zack
Alle Mädchen hupfen dort halbnackt
Und Mutti schlägt dazu den Takt
Der Plattenspieler heizt den Damen kräftig ein
Porentiefer Schweiss, den bringt kein Deo klein
Der Bodystocking zwickt und ist fast zu eng
mancher BH-Träger reisst mit sanftem Peng.
Jetzt hopp ....
Mutti schnauft ins Ohr der drallen Rosmarie
Mensch, schaust du heut‘ gut aus mit dem Minipli,
Es wäre eine geile Sache, du mit mir
Wenn wir zwei Boogie tanzen bis morgen Früh.
Jetzt hopp....
Marie sitzt ganz still in’einer Ecke `rum
Schaut den Tänzerinnen zu und ist völlig stumm
Marie sei nicht traurig, sondern bleib ganz cool
Hast du keinen Partner, tanz’ halt mit `nem Stuhl
Jetzt hopp....
Kenner des Orignaltextes und Feinschmecker des ‘klanglichen Übersetzens’ können sich die Gegenüberstellung des Presley’schen Originaltextes und der Version von Rolli’s Band auf der Zunge zergehen lassen.
Ob die Leiterin des Kulturamtes Rolli’s ‘Jungs’ wegen dieser Texteskapaden oder aufgrund ihrer eigenartigen Instrumente-Zusammensetzung ausgewählt hatte? Denn ein Rock’n’Roll-Konzert – oder ‘Gig’, wie viele Musiker zu einem Live-Auftritt sagen - mit Akkordeon, Akustik- und E-Gitarre verspricht schon leicht schräge Weisen. Oder ob sie die ‘Herren’ aufgrund ihrer fortgeschrittenen Jugend engagiert hatte – schliesslich hatte jeder der drei Musiker schon mehr als 50 Jahre auf dem Buckel – nun das war nicht herauszufinden. Und Rolli als ‘Frontman’, also einer Art Vorsänger mit einer Gitarre vor dem gewölbten Schnitzelmuskel gehängt, hatte in diesem Jahr sogar schon die Sechzig vollgemacht.
Sechzig und Rock’n’Roll mag sich so mancher denken!? Das passt doch wie Champagner und Kamillentee oder Bockwurst mit Kaviar …..
Doch Rolli und seine Partner Klaus und Joe lieferten eine lässige Vorstellung – oder ‘coole Performance’, um es in jugendlichem Neudeutsch auszudrücken. Zu solidem Musikhandwerk hat-ten sie mit ihren eigenwilligen Textübersetzungen eine echt überraschende Besonderheit auf Lager. So wurde dann aus Eddie Cochran’s knackiger Rocknummer ‘Summertime Blues’, sinngemäss eigentlich ‘Sommerblues’ übersetzt, bei Rollis Band ‘Im Sommer deine Blus(e)’. Oder der Moody Blues-Schmachtfetzen ‘Nights in white satin’ mutierte in ‘Schneuz‘ nicht in Servietten’. Und völlig respektlos verwandelten Rolli und seine Mitmusiker Ike & Tina Turner’s ‘Nutbush City Limits’ in ein freches ‘Knackwurst iss ich nimmer’.
Trotz der Oldie-Melodien scharten sich bald viele junge Leute direkt vor der Bühne, um zum Takt der meist flotten Melodien mitzuwackeln und mitzuwippen. Genauer gesagt die Teenies ‚groovten‘. Manches der Mädchen zeigte dabei ein Zahnspangen-blitzendes Lächeln, während sich Rolli wunderte, wie grazil sich einige Jungs trotz ihrer klobigen Turnschuhe zur Musik bewegen konnten.
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