»Damit meinen Sie doch sich selbst?«
»Wen denn sonst? Nennen Sie mir drei Männer in Europa, die meinen Verstand besitzen oder mir in Bezug auf kriminalistische Fähigkeiten auch nur das Wasser reichen können«, erwiderte Peas selbstzufrieden.
Manchmal kamen argwöhnische Leute in Morlays Büro, und gewöhnlich hatten sie auch allen Grund, an der Redlichkeit ihrer Mitmenschen zu zweifeln. Sie wollten den Inhaber des Detektivinstituts beauftragen, diese verdächtigen Mitmenschen zu beobachten, damit belastendes Material für eine Anzeige beim Staatsanwalt herbeigeschafft werden konnte. Aber mitten in ihrer Erzählung unterbrach Mr. Morlay sie gewöhnlich mit einigen Worten des Bedauerns und erklärte, daß er ihr Ersuchen ablehnen müsse. Das geschah besonders, wenn es sich um mißtrauische Eheleute handelte.
John Morlay war allerdings tatsächlich Inhaber eines Detektivinstituts, aber er hatte sich spezialisiert und bearbeitete nur Handelsauskünfte. Er beobachtete auch Leute und ihre Tätigkeit, aber nur von zehn Uhr morgens bis sechs Uhr nachmittags, und in dieser Zeit sündigen die meisten Menschen am wenigsten. Er hatte mit Scheinkapitalisten zu tun, die Fabrikanten ruinieren, mit Schwindelgründungen, mit unehrlichen Kaufleuten, mit pflichtvergessenen Kassierern und anderen Angestellten. Seit fünfzig Jahren befaßte sich die Firma mit diesem einträglichen, aber wenig abwechslungsreichen Beruf.
John Morlay saß wieder in seinem Büro, von dem aus er den Hanover Square überschauen konnte, und hatte ganz vergessen, daß es so friedliche, stille Orte wie Ascot gab, wo eine geheimnisvolle junge Gräfin eine Besitzung wie Little Lodge hatte.
Selford, ein alter Angestellter, trat in das Privatbüro.
»Wollen Sie Mr. Lester sprechen?« fragte er.
Wenn John Morlay gesagt hätte, was er dachte, hätte er die Frage verneint, aber so verzog er nur das Gesicht.
»Lassen Sie ihn hereinkommen.«
John Morlay haßte den jungen Mann zwar nicht gerade, da Julian unter Umständen ganz amüsant und unterhaltend sein konnte, aber er zog doch andere Besucher vor. Julian trug etwas zu elegante Anzüge und juwelengeschmückte Manschettenknöpfe; sein Benehmen war reichlich affektiert. Die Perlnadel, mit der er den Schlips zusammenhielt, war etwas zu groß und auffällig. Morlay konnte auch nicht leiden, daß Julian seinen Hut stets so vorsichtig auf den Tisch legte, als ob dieser eine Kostbarkeit wäre. Er sah auf die Uhr, dann auf seinen Notizblock und stellte mit Befriedigung fest, daß er in einer Viertelstunde einen Besuch erwartete und dann Gelegenheit hatte, Julian zu verabschieden.
Lester trat herein und sah wie immer tadellos aus. Kein Stäubchen war auf seinem Jackett zu sehen. Er legte den Hut genauso hin, wie John Morlay es erwartet hatte, und zog dann seine hellen Glacéhandschuhe langsam aus. Die beiden waren vollständige Gegensätze: John Morlay schlank, hager, blauäugig und sonnengebräunt; Julian dagegen mehr der Typ eines hübschen Jungen, etwas ausdruckslose Züge, olivfarbene, glatte Haut und kleiner, modisch geschnittener schwarzer Schnurrbart.
»Nehmen Sie Platz«, sagte John. »Sie sehen vergnügt aus – wen haben Sie denn wieder um sein Geld gebracht?«
Julian zupfte an den Bügelfalten seiner Hose, bevor er sich niederließ, und bemerkte dann das Lächeln Morlays.
»Sie haben gut lachen, Sie sind ein reicher Mann. Ich dagegen bin ein armer Teufel, der zusehen muß, wie er seine Schneiderrechnungen bezahlt.«
Morlay zog eine Schublade des Schreibtisches auf, nahm einen silbernen Kasten heraus und bot seinem Besucher eine Zigarre an.
»Danke, nein, ich rauche niemals Zigarren. Aber vielleicht gestatten Sie, daß ich eine meiner eigenen Zigaretten rauche? Danke.«
Er zog ein Silberetui aus der Tasche, entnahm ihm eine Zigarettenspitze und paßte die Zigarette ein.
»Und wie kommt es, daß Sie in diese Gegend Londons verschlagen werden? Es ist doch ein großes Rennen heute nachmittag? Ascot steht vor der Tür, und sicher haben Sie ein Dutzend Einladungen erhalten?«
»Ihre Ironie ist an mir verschwendet«, entgegnete Julian und entfernte etwas Asche von seinem Knie. »Ich bin hergekommen, um geschäftlich mit Ihnen zu sprechen.«
»Zum Teufel, das ist ja interessant!« John hob erstaunt die Augenbrauen.
Julian nickte.
»Ich sage es Ihnen natürlich im Vertrauen, und selbstverständlich zahle ich für Ihre Bemühungen. Ich weiß zwar nicht, welche Preise Sie verlangen –«
»Ach, darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Aber ich möchte Ihnen vor allem erklären, daß ich keine Nachforschungen in Scheidungssachen anstelle und mich auch nicht mit Werkspionage beschäftige.«
Julian atmete tief ein, blies einen Rauchring nach dem anderen zur Decke und beobachtete, wie sie sich an dem weißen Plafond zerteilten.
»Ich bin Junggeselle und nehme mich gut in acht; ich finde das Leben auch ohne weiblichen Anhang schon kompliziert genug.«
Er rauchte eine Zeitlang schweigend.
»Kennen Sie eigentlich die Gräfin Marie Fioli?« fragte er dann plötzlich.
John sah ihn überrascht an.
»Ich habe von ihr gehört; noch vor ein paar Tagen sprach ich über sie. Aber ich habe sie noch nicht persönlich kennengelernt.«
Julian lächelte.
»Sie müssen tatsächlich ein Herz von Eis haben. Ich habe Sie doch kurz vor Weihnachten der jungen Dame vorgestellt, und zwar bei Rumpelmeyer.«
»Ach, dieses junge Mädchen? Aber die ist doch –«
»Sie ist achtzehn«, erklärte Julian geduldig, »und sie kommt diese Woche aus dem Internat, mitten im Jahr. Außergewöhnlich, aber in vieler Beziehung sehr angenehm. Meine verstorbene Mutter heiratete mit siebzehn, mein seliger Vater war nicht älter als achtzehn. Eheschließungen in jugendlichem Alter sind nichts Außergewöhnliches in unserer Familie.«
»Da war aber Ihr Vater sehr voreilig, und Sie sind der beste Beweis für meine Behauptung. Soll Marie Fioli mit achtzehn heiraten?«
Julian machte eine leichte Bewegung mit seiner Zigarette.
»Ich bin noch nicht definitiv entschlossen; es müssen erst noch einige dunkle Punkte aufgeklärt werden, aber sie ist wirklich ein charmantes Mädchen.«
»Ich kann mich jetzt auf sie besinnen«, entgegnete Morlay nachdenklich. »Sie ist sehr schön.« Plötzlich sah er auf. »Sie sind doch nicht etwa ihretwegen gekommen?«
Julian nickte.
»Ich bin arm, John, das habe ich Ihnen ja bereits gesagt. Ich habe ein Einkommen von dreihundert Pfund im Jahr und verdiene mir noch etwas dazu durch die Artikel, die ich für Zeitschriften schreibe. Ich habe keine Eltern mehr, die eine passende Frau für mich aussuchen und – was noch wichtiger ist – auch die nötigen Nachforschungen über die junge Dame anstellen könnten.«
John lehnte sich in seinem Sessel zurück und lachte herausfordernd.
»Nach und nach begreife ich, was Sie von mir wollen. Ich soll also an Stelle Ihrer Eltern herausbringen, ob das Vermögen der jungen Dame so groß ist, daß es sich lohnt, ihr einen Antrag zu machen?«
Zu seinem größten Erstaunen schüttelte Julian Lester den Kopf.
»Auf die Höhe ihres Vermögens kommt es durchaus nicht an. Ich bin ganz sicher, daß sie wohlhabend ist, ich habe allen Grund, das anzunehmen. Selbst nach all den Abzügen bleibt genug übrig, daß eine junge Dame ihres Standes glänzend davon leben kann.«
»Nicht zu vergessen den jungen Mann, der sie heiratet«, erwiderte John sarkastisch. »Erklären Sie mir aber bitte, was Sie damit sagen wollen, daß ›genug übrigbleibt‹. Ist sie bestohlen worden?«
Julian erhob sich, ging zum Fenster und sah düster auf den Hanover Square hinunter.
»Ich weiß es nicht. Es ist alles so seltsam. Die alte Frau hat ihr einen kleinen Landsitz bei Ascot gekauft, der ungefähr fünftausend Pfund kostet. Natürlich habe ich die Kaufurkunde nicht gesehen und weiß daher auch nicht, ob das Grundstück auf den Namen von Marie oder auf den Namen der alten Frau eingetragen wurde.«
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