»Meister Jacob Charmolue, königlicher Procurator beim Kirchengerichtshofe!«
»Johann von Harlay, Junker, Offizier vom Dienst der reitenden Nachtwache der Stadt Paris!«
»Herr Galiot von Genoilhac, Ritter, Herr von Brussac, Chef der königlichen Artillerie!«
»Meister Dreux-Raguier, Wasser- und Forstinspector unseres königlichen Herrn im Lande Frankreich, Champagne und Brie!«
»Herr Ludwig von Graville, Ritter, Rath und Kammerherr des Königs, Admiral von Frankreich, Vogt des Vincenner Waldes!«
»Meister Denis Le Mercier, Vorsteher des Blindenhauses zu Paris!« u. s. w. u. s. w.
Das wurde unausstehlich.
Diese seltsame Begleitung des Stückes, welche es schwer machte, seinem Gange zu folgen, erregte Gringoire's Unwillen um so mehr, als er sich nicht verheimlichen konnte, daß der Reiz desselben mehr und mehr zunahm, und daß ihm nichts fehlte, als angehört zu werden. Es war in der That schwer, sich einen genialeren und dramatischeren Aufbau zu denken. Die vier Personen des Prologes wehklagten eben in ihrer peinlichen Bedrängnis, als Venus in Person (vera incessu patuit dea) vor ihnen erschienen war, in ein schönes Gewand gekleidet, das mit dem Schiffe der Stadt Paris als WappenDas Wappen von Paris enthält einen Dreimaster auf wogender See und die Devise: Fluctuat nec mergitur. Anm. d. Uebers. geschmückt war. Sie wollte selbst den Dauphin, welcher der Schönsten versprochen war, für sich fordern. Jupiter, dessen Donner man im Ankleidezimmer grollen hörte, munterte sie dazu auf, und die Göttin wollte ihn entführen, d. h. unbildlich geredet, den Herrn Dauphin heirathen, als ein junges Mädchen in weißen Damast gekleidet und eine PerlePerle heißt französisch: marguerite; die Bedeutung des Sinnbildes liegt im Gleichklange der Wörter »marguerite« und »Margarethe« (Prinzessin von Flandern). Anm. d. Uebers. in der Hand (eine leicht ersichtliche Personification des Fräuleins von Flandern) erschienen war, um ihn der Venus streitig zu machen. – Theatereffect und plötzlicher Wechsel. – Nach einem Wortstreite waren Venus, Margarethe und die Coulissen übereingekommen, sich deshalb dem unparteiischen Urtheile der heiligen Jungfrau zu unterwerfen. Es war noch eine schöne Rolle im Stück: die des Dom Pedro, des Königs von Mesopotamien; aber wegen der vielen Unterbrechungen war es schwer, herauszufinden, was sie vorstellte. Alles das war die Leiter hinaufgestiegen.
Es war aber darum geschehen; keine der Schönheiten wurde empfunden oder verstanden. Man hätte sagen mögen, daß mit dem Erscheinen des Cardinals ein unsichtbarer Zauberfaden alle Blicke von der Marmorplatte nach der Tribüne, von dem südlichen Ende nach der nördlichen Seite des Saales hingezogen hätte. Nichts konnte die Zuhörerschaft entzaubern, alle Augen blieben da festgebannt, und die Neueintretenden, ihre verdammten Namen, ihre Gesichter und Trachten verursachten eine anhaltende Zerstreuung. Das war traurig. Mit Ausnahme von Gisquette und Liénarde, die sich von Zeit zu Zeit umwandten, wenn Gringoire sie am Aermel zog, den großen, geduldigen Nachbar ausgenommen, hörte kein Mensch hin, niemand sah auf das arme, verlassene Schauspiel, und Gringoire sah die Gesichter nur noch von der Seite.
Mit welcher Bitternis sah er sein ganzes Ruhm- und Poesiegebäude Stück um Stück zusammensinken! Und man denke nur, daß dieses Volk auf dem Punkte gewesen war, sich gegen den Herrn Palastvogt zu empören, rein aus Ungeduld, sein Werk zu vernehmen! Jetzt, da man es hatte, kümmerte man sich nicht darum. War das dieselbe Vorstellung, welche unter so einmüthigem Beifalle begonnen hatte? Beständige Ebbe und Flut der Volksgunst! Man denke sich, daß die Diener des Vogts beinahe gehangen worden wären! Was hätte er nicht dafür gegeben, um noch in dieser Wonnestunde zu sein!
Doch das ungeschliffene Selbstgespräch des Thürhüters hörte auf; alles war angelangt, und Gringoire athmete auf; die Schauspieler fuhren muthig fort. Aber da – erhebt sich da nicht Meister Coppenole, der Strumpfwirker, plötzlich? Und Gringoire hört ihn unter allgemeiner Aufmerksamkeit folgende schreckliche Anrede halten:
»Meine Herren Bürger und Junker von Paris! ich weiß, Kreuz Gottes, nicht, was wir hier beginnen. Ich sehe wohl da unten in dem Winkel, auf diesem Gerüste, Leute, die Miene machen, als ob sie sich schlagen wollten. Ich weiß nicht, ob das ist, was ihr ein »Schauspiel« nennt; aber unterhaltend ist das nicht; sie fechten mit dem Munde, und weiter ist's nichts. Seit einer Viertelstunde warte ich auf den ersten Hieb, nichts erfolgt; das sind feige Schufte, die sich nur mit Beleidigungen kratzen. Man sollte Ringkämpfer von London oder Rotterdam kommen lassen, und meiner Treu, da würde es Fausthiebe gesetzt haben, daß man's da unten auf dem Platze würde hören können; aber jene erregen Mitleiden. Sie sollten uns wenigstens einen maurischen Tanz oder eine andere Mummerei zum besten geben! Das da hatte man mir nicht gesagt; ein Narrenfest mit Papstwahl war mir versprochen worden. Wir haben auch unsern Narrenpapst in Gent, und darin sind wir, Gottes Kreuz, hinter euch nicht zurück. Aber das machen wir so: man versammelt sich, ein Haufe wie hier; dann steckt abwechselnd jeder seinen Kopf durch ein Loch und schneidet den andern eine Grimasse; wer die häßlichste macht, wird mit Zustimmung aller zum Papst gewählt; damit abgemacht. Das ist sehr unterhaltend. Wollt ihr, daß wir euern Papst nach der Sitte meiner Heimat wählen? Das wird weniger langweilig sein, als diesen Schwätzern zuzuhören. Wenn sie ihre Grimasse im Loche machen wollen, so können sie mitspielen. Was sagt ihr dazu, meine Herren Bürger? Es ist eine hinlänglich komische Musterprobe beiderlei Geschlechts hier, um einmal auf flämisch lustig zu sein, und wir sind häßliche Gesichter genug, um auf eine schöne Fratze rechnen zu können.«
Gringoire hätte gern antworten wollen: Staunen, Zorn, Unwille nahmen ihm aber das Wort. Uebrigens wurde der Vorschlag des populären Strumpfwirkers mit einem solchen Enthusiasmus von diesen Bürgern, die sich geschmeichelt fühlten, »Junker« zu heißen, aufgenommen, daß jeder Widerstand nutzlos war. Es blieb nichts weiter übrig, als sich von dem Strome fortführen zu lassen. Gringoire verbarg sein Gesicht in seinen beiden Händen, da er nicht so glücklich war, im Besitze eines Mantels zu sein, um, wie der Agamemnon des Timantes, sein Haupt verhüllen zu können.
In einem Augenblicke war alles bereit, Coppenole's Gedanken zu verwirklichen. Bürger, Studenten und Parlamentsgerichtsschreiber hatten sich an die Arbeit gemacht. Die kleine Kapelle, der Marmorplatte gegenüber, wurde zum Schauplatze der Fratzenschneiderei ausersehen. Eine zerbrochene Fensterscheibe in der hübschen Rosette über der Thüre ließ einen Steinkranz frei, durch welchen die Bewerber, so wurde bestimmt, den Kopf stecken sollten. Um dahin zu gelangen, genügte es, auf zwei Fässer zu steigen, welche irgendwoher genommen, und so gut als möglich über einander gestellt worden waren. Es wurde bestimmt, daß jeder Bewerber, Mann oder Weib (denn man konnte auch eine Päpstin wählen), sein Gesicht verhüllen und sich in der Kapelle bis zum Augenblicke des Erscheinens versteckt halten sollte, damit der Eindruck seiner Grimasse vollkommen und neu bleiben möchte. In weniger als einem Augenblicke war die Kapelle mit Bewerbern gefüllt, hinter denen die Thüre sich schloß.
Coppenole bestimmte, leitete und ordnete alles von seinem Platze aus. Während des Tumultes hatte sich der Cardinal, der ebenso wie Gringoire außer Fassung gerathen war, mit seinem ganzen Gefolge unter dem Vorwande von Geschäften und des Nachmittaggottesdienstes davon gemacht, ohne daß die Menge, die bei seinem Erscheinen so lebhaft bewegt worden war, die geringste Erregung bei seinem Verschwinden gezeigt hätte.
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