In ihrem Fall aber vermeinte er erstmals ihren Schmerz wie den eigenen zu spüren. Selbst abends in der Kammer noch versuchte ihn zu vertreiben, indem er sich die ganze Nacht über, das ‚Cor meum‘ betend, mit einer Rute geißelte.
„Herr, befreie mich von dieser Last!“, stöhnte er, als er wieder jenen Lendendruck verspürte, den er durch den Eingriff des Medicus Gregorius vor Jahren hatte dämmen lassen. Seither trägt er einen Reif unter seinem Rock, der eine Schamkapsel in seinen Schoß drückt. Diese bereitet ihm Schmerzen, sobald ihn unzüchtige Gedanken peinigen.
Das kommt hin und wieder vor, bleibt aber meist nur von kurzer Dauer. So aber vermag er die Entsagung besser zu ertragen, und niemals ist es in den letzten Jahren dazu gekommen, dass er eines Weibes bedurfte, wenngleich sich Möglichkeiten dafür genug boten.
Das ist vor allem im städtischen Badehaus der Fall, wo er öfter zu Gast ist und die Bäderinnen alles andere als zimperlich zu Werke gehen, wenn es gilt, ihre Gäste zu stimulieren Er aber lehnt ihre Dienste ab und genügt sich in fremden Beobachtungen. Allerdings bereiten ihm diese mehr Ekel als Vergnügen, vor allen, wenn er mit ansehen muss, wie leicht und schnell sie doch ihr Geld verdienen ohne nur das geringste Gefühl.
Leicht beschürzt und in den Künsten der Verführung geübt, handeln sie rein mechanisch, allein vulgären Notwendigkeiten gehorchend, die normalerweise eine Schande für Anstand und Moral darstellen, hier aber Gang du Gäbe sind. In Wahrheit gibt keine von ihnen nur einen Dreck für das Wohl eines Gastes außerhalb ihrer Dienste. Alles bleibt anonym, kalt, ohne jede Harmonie.
Männer, die darauf hereinfallen, sind Narren. Sie könne nicht begreifen, dass ihre Rolle als Verlangende sie zu Sklaven macht. Sie wären für sein Amt ungeeignet. Lange glaubte er sich darüber erhaben, doch jetzt ist er sich da nicht mehr sicher, fürchtet er das Schlimmste, was ihm als Magister disciplinae passieren kann - die Befangenheit.
Nicht auszudenken, wenn er ihr schon verfallen wäre. Er brauchte Gewissheit. Deshalb ritzte er sich noch am selben Abend mit dem Dolch in den Arm, fing das Blut in einem Becher auf und tat etwas Bilsenkraut hinzu. Angstvoll erwartete er das Ergebnis.
Glücklicherweise blieb die Verfärbung aus. Er hat den Mächten des Bösen widerstanden. Erleichtert verband er die Wunde und war entschlossener denn je. Und sollte sie es wagen, ihn noch einmal zu foppen, würde er ihr jeden Schandpflock einzeln in die Gelenke rammen.
Als Mann in den reiferen Jahren verkörpert er mit seiner imposanten Erscheinung einen würdevollen Repräsentanten des hiesigen Tribunals. Dieses Amt genießt hohes Ansehen, aber auch Respekt, da es wegen seiner Unerbittlichkeit gefürchtet ist.
Dabei mag man ihn mit seinem schulterlangen, hellbraunen Haar und dem sorgsam gestutzten Bart beim ersten Hinsehen eher für einen Krämer halten - aber das täuscht. Sein unbestechlicher Blick für das Wesentliche, kombiniert mit einer geschliffenen Logik, verrät schnell den messerscharfen Kasuisten, der selbst unscheinbarste Dinge als Ausdruck der Verderbtheit zu entlarven weiß.
Und er lässt nicht locker, bis sie eingestanden sind, selbst wenn er dabei bis zum Äußersten gehen muss. Darin hat er Erfahrung. Deshalb hat man ihn auch mit der Leitung des Prozesses beauftragt, denn es ist vor allem eine Frage des Prestiges für die hiesige Comturei, eine Hexe möglichst schnell und ‚sauber‘ zu überführen.
Vom Wesen her ist er ein sensibler, stiller und sehr belesener Mensch, der die Kunst liebt, aber auch Diskussionen. Seine Wirkung auf andere wird als angenehm bezeichnet, und sein Wort hat Gewicht.
Auch wenn er sich bescheiden gibt und keinen Wert auf diesen Umstand legt, so schmeichelt ihm doch der damit verbundene Respekt. Vielleicht hält er sich deshalb für etwas Besonderes und sich selbst unfehlbar?
Noch niemals hat er eine Hexe geschont, und das wird auch jetzt so bleiben, denn er ist ein Verfechter der heiligen Inquisition, jenem vor Gott geschaffenen Instrument der Wachsamkeit vor dem Bösen dieser Welt, ohne dem – davon ist er überzeugt – sie für alle Zeit verloren wäre.
Dennoch ist jetzt etwas neu, verspürt er eine unbestimmte Unruhe, die ihm sagt, dass dieser Prozess anders ist. Auch wenn er es noch nicht benennen kann, wird er es herausfinden.
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