„Dann lass uns keine Zeit verlieren!“
Alan streifte sich hurtig die schwarze Jeans und das hellblaue Hemd ab.
Julienne fühlte sich von seinem athletischen Körper angezogen.
Behutsam berührte er ihre Schultern, strich ihr sanft über den Rücken. Seine Berührung löste ein anregendes Prickeln aus, das sie innerlich erregte.
„Komm mit mir!“, hauchte er ihr ins Ohr.
Julienne legte das Chiffonkleid ab, warf ihre Schuhe in den Sand. Alan ergriff ihre Hand, um mit ihr in die stürmenden Wellen zu springen.
Die eiskalte Strömung durchfuhr sie bis in die Fingerspitzen. Fröstelnd tauchte sie ihren Körper in das eisige Meereswasser. Sie spürte, wie ihr Herz von der Kälte immer heftiger schlug.
Verfroren zog sie ihre Hand aus Alans Umklammerung und hüpfte zum Ufer, wo sie sich ins seichte Wasser setzte. Die glühende Sonne wärmte ihren zitternden Körper.
Er schaute ihr irritiert hinterher, bevor er weiter hinauslief und mit einem Satz in die Tiefe sprang.
Sekunden später tauchte er auf, kraulte durch die tosenden Wogen. Der Sechsundvierzigjährige sprang durch die Wellen, die mit ihrer Urkraft zum offenen Meer strömten.
Erschöpft hüpfte Julienne aus dem knöchelhohen Wasser, hüllte sich frierend in ein wärmendes Badetuch.
Mit einem Mal stand Alan hinter ihr und rubbelte ihren Rücken.
„Du ungehorsames Mädchen, warum bist du einfach so aus dem Wasser gerannt?“, neckte er sie.
„Es war so kalt im Wasser, ich habe es nicht länger ausgehalten“, erklärte sie ihrem verstimmten Begleiter.
„Du bist ziemlich egoistisch“, kritisierte er sie, klatschte ihr auf den Po.
Julienne verdrängte das unangenehme Gefühl. Sie bemühte sich um ein ungezwungenes Lächeln.
Verwirrt setzte sie sich in den weichen Sand und sah Alan dabei zu, wie er sich mit dem Handtuch trockenrieb.
„Du schaust so traurig aus“, überraschte er sie.
„Warum hast du das getan?“
„Pardon! Es war doch nur ein kleiner Klaps. Außerdem hat mich dein knackiger Po gereizt“, entschuldigte er sich und hockte sich neben sie. Behutsam streichelte er ihr Gesicht.
„Du bist süß, wenn du schmollst. Tut mir leid.“ Alan schmunzelte sie an, um ihre Vertrautheit zurück zu gewinnen.
Er legte seine Arme um ihre Schultern, schob sie näher an sich heran.
„Ich bin glücklich, dass du gekommen bist“, flüsterte er.
„Deine Annonce hat mich neugierig gemacht!“ Julienne dachte daran, wie aufgeregt sie war, als sie den ersten Brief an ihn schrieb, ihre Hände dabei zitterten.
„Ich hoffe, dass es dir ein bisschen Spaß gemacht hat.“
„Es hat mir nicht ein bisschen Spaß gemacht“, foppte sie ihn.
„Ich finde es toll!“
„Dann lass uns den Nachmittag bei einer Tasse Tee krönen“, schlug Alan vor.
„Okay, aber ich habe nicht mehr viel Zeit!“
„Pas de problème! Wir schaffen das!“
Nachdem Juliennes Bikini durch die glühenden Strahlen der Sonne und dem heftigen Wind getrocknet war, hüpfte sie in ihr weißes Chiffonkleid, packte die Sachen ein.
Alan zog sich flink seine Couture an.
Entspannt schlenderten sie über den perlfarbigen Sand, an den Dünen vorbei, hinter welchen sich eine flache Landschaft aus weitläufigen Wiesen und vereinzelten Baumgruppen erstreckte.
„Wir können zum Schloss laufen oder wir fahren mit dem Auto hin. Was ist dir lieber?“
Alan blickte Julienne erwartungsvoll an. Sie betrachtete die flimmernden grünen Wiesen, die sich vor ihr erstreckten. In der Ferne entdeckte sie ein ausgedehntes Waldgebiet, zwischen dessen unzähligen Baumkronen ein granitfarbiges Türmchen hervorragte.
„Wenn es nicht zu weit ist, würde ich lieber laufen“, entgegnete Julienne, indes sie die für die Renaissance typische Form des Türmchens bewunderte. Gedanklich stellte sie sich den Rest des Schlosses vor. Sie liebte die Renaissance, die Wiedergeburt der Antike, deren ausgewogene Architektur, Kunst und Literatur, vor allem Shakespeares Theaterstücke.
Mit jedem Schritt an der Seite dieses faszinierenden Mannes, fühlte sie, wie ihre Erregung wuchs.
„Dort vorn ist das Schloss“, unterbrach Alan ihre romantische Träumerei.
„Es ist wunderschön!“, schwärmte Julienne.
„Ja, das ist es“, pflichtete er ihr bei.
Alan lächelte Julienne an, die gegen ihre Nervosität ankämpfte. Sie fühlte sich zu ihm hingezogen, ob sie es wollte oder nicht. Die Gefühle für ihn schienen wie ein Schwarm wilder Hummeln durch ihren Körper zu schwirren, wirbelten ihre Gedanken durcheinander.
Trotz allem kamen in ihrem Bewusstsein Zweifel auf. War es nicht verrückt, worauf sie sich da einließ? Schließlich kannte sie ihn nicht, er war ein Fremder.
Dennoch konnte sie nicht bestreiten, dass sie irgendeine Kraft vorantrieb, ihm zu folgen. Sie empfand diese wachsende Zuneigung für ihn, gegen die sie außerstande war, sich zu widersetzen.
Die granitfarbigen Turmspitzen des Schlosses ragten hinter den üppigen Baumkronen in den Himmel.
Wortlos folgte Julienne ihrem Gastgeber, der selbstbewusst auf sein Ziel zu schritt. Der Waldweg endete am Schlossgarten, dessen geradlinig angelegten Wege zum Schlösschen führten. Julienne bewunderte die kunstvollen Säulen, die den Eingang markierten.
„Es ist wunder …, wunderschön!“, jubelte Julienne und kramte ihr mobiles Telefon aus der Tasche. „Darf ich?“, fragte sie aufgeregt, derweil sie den Bildsucher aktivierte.
„Bien sûr! Fais des photos!“
Julienne suchte den perfekten Ausschnitt für das Bild, visierte die Türmchen und das Dach an, dann drückte sie den Auslöser. Von der Architektur beeindruckt lief sie neben Alan durch den Torbogen.
„C’est magnifique!“
Begeistert strahlte die Schauspielerin ihren Verehrer an. Allmählich erinnerte sie sich an französische Redewendungen aus ihrer Schulzeit.
„Vraiment! Da hast du recht.“
Der Sechsundvierzigjährige lächelte Julienne an, während er ihre grazilen Gesichtszüge studierte. Ihre Augen funkelten im flackernden Licht.
Plötzlich bemerkte er die Ähnlichkeit. Wenn sie lächelte, sah er Giulietta, als wäre sie ihre jüngere Schwester. Warum fiel ihm das erst jetzt auf? Vermutlich fühlte er deshalb diese Sehnsucht seit ihrem ersten Brief.
„Komm, gehen wir in den Salon. Marie bereitet uns einen schmackhaften Tee und wir können noch ein wenig plaudern.“
Alan führte sie in die Eingangshalle, wo sie von einer Frau mittleren Alters und einem älteren Herrn in schwarzer Kleidung begrüßt wurden.
Behutsam tippelte Julienne über das glänzende Parkett, das ein Vermögen wert sein musste. Das Weiß der meterhohen Wände strahlte eine sagenhafte Frische aus.
Am unteren Ende der Wendeltreppe rekelte sich Aphrodite auf einem Marmorsockel, deren unverhüllter Körper im gedämpften Licht schimmerte, das durch die Bogenfenster hereinströmte.
Julienne hastete die Stufen zur ersten Etage hinauf, wo sich die Ahnengalerie befand. Alan bemerkte, wie sie die in Goldrahmen gefassten Ölgemälde bewunderte.
„Schau, das sind meine Urgroßeltern, die das Schloss von einem Grafen gekauft hatten. Ursprünglich war es nur als Sommerresidenz gedacht.“
Fasziniert vertiefte sich Julienne in die Gemälde, die im Stil der alten Meister gemalt waren. Die Porträtierten schienen aus dem Schatten des schwarzbraunen Hintergrundes ins Licht des Betrachters zu treten. Ihre leicht gebräunte Haut hob sich deutlich von dem dunklen Grund ab.
Alans Urgroßmutter trug ein schlichtes, lavendelfarbiges Kleid, das mit einem weißen Spitzenkragen versehen war. An ihrem schmalen Hals funkelte eine Perlenkette. Ihre Wangen schienen vor Aufregung zu glühen. Sie hatte sich das dunkelblonde Haar hochgesteckt, einzelne Löckchen umspielten ihr Gesicht.
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