„Bist du zu Dreharbeiten viel unterwegs?“, hielt er die Unterhaltung am Laufen.
„Überhaupt nicht!“, erwiderte sie und schmunzelte ihren Verehrer an.
Nein, wirklich nicht?“, erkundigte er sich ungläubig.
„Nein, ich trete im Theater auf, da wo ich wohne.“
Alan studierte Juliennes gerötetes Gesicht. Offenbar war sie aufgeregt. Ihre jugendliche Ausstrahlung und das schüchterne Lächeln gefielen ihm. Würde sie seinen Lifestyle akzeptieren?
„Und was machst du so?“, fragte Julienne scheinbar beiläufig.
„Na, Schlossherr! Da hat man genug zu tun!“
Die Schauspielerin blickte ihren Charmeur verdutzt an, der sich über ihre Verwunderung amüsierte.
„Gut, jetzt mal ehrlich! Ich bin diplomierter Kunsthistoriker. Das Studium hat mir geholfen, mich besser um die Restauration des Schlosses und die Evaluation der Kunstwerke zu kümmern.“
Der Kellner war inzwischen mit dem Cappuccino und einem Whiskey zurückgekehrt. Gewandt reichte er seinen Gästen die Drinks.
„Haben Sie sich entschieden, was Sie essen möchten?“
„Nein, wir bestellen später“, wies Alan den Kellner an.
„Wie Sie wünschen“, antwortete er und eilte zu den anderen Gästen.
Julienne nahm einen Schluck und leckte sich den Schaum von den Lippen. Sie genoss den sahnig-süßen Geschmack. Dabei entging ihr nicht, wie sie ihr Verehrer beobachtete.
„Du stehst wohl auf süße Sachen?“, spielte er auf ihre Vorlieben an.
Die Dreiunddreißigjährige spürte die aufwallende Röte in ihrem Gesicht. Sie fürchtete, er würde ihre Schüchternheit bemerken und sich im Stillen über sie lustig machen, dass sie mit über dreißig noch errötete.
„Kannst du dir vorstellen, in einem Schloss zu leben?“, fragte er unverhofft.
„Irgendwie nicht, aber als Schauspielerin liebe ich solch ein Ambiente“, bemühte sie sich, ihre gegensätzlichen Lebensstile zu vermitteln.
„Würdest du auch an einem anderen Theater arbeiten?“
„Ich liebe das Theater in meiner Stadt, die Schauspielkollegen und das ganze Team. Für mich ist es eher unwahrscheinlich, das Engagement aufzugeben.“
„Für die Liebe würdest du es auch nicht tun?“, blieb er hartnäckig.
„Wenn es die große Liebe ist, vielleicht.“
Nachdenklich nippte der Sechsundvierzigjährige an seinem Whiskey. Er studierte Juliennes Gesicht - ihre jadegrünen Augen funkelten, wenn sie über ihren Beruf sprach; die grazile Nase und der schmollende, rote Mund hatten etwas Kindliches an sich.
Er stellte sie sich in schwarzen Spitzendessous und Strumpfbändern vor, die ihre schlanken Beine betonten. Von seinen erotischen Fantasien gefesselt, lächelte er verführerisch.
„Hast du Lust, dir das Schloss anzuschauen?“
„Ich weiß nicht, ob ich die Richtige für dich bin“, wich sie ihm aus. „Du kennst mich kaum!“
„Du bist eine wunderschöne Frau. Tu es belle, ma chère!“, entgegnete er. „Ich möchte dir meine Welt zeigen. Vielleicht gefällt sie dir!“
„Ist dein Schloss hier in der Nähe?“
„Es ist nicht weit von der Küste entfernt. Vom Turm aus hat man einen fantastischen Blick über die Wälder bis hin zum Meer. Es ist wirklich schön!“, versuchte er, sie zu überzeugen.
Julienne blickte ihrem Verehrer in die Augen. Konnte sie ihm über den Weg trauen? Warum sollte der Beau eine Frau über eine Zeitungsannonce suchen?
„Bevor du noch hungerst, bestellen wir erst mal etwas zu essen“, brachte er sich in Erinnerung.
„Ich würde gern Tortellini mit Tomaten und Mozzarella essen“, erwiderte Julienne nach einem kurzen Blick auf die Speisekarte. Zum Frühstück hatte sie ihr Müsli hastig hinuntergeschlungen, und das war Stunden her.
Alan gab dem Kellner ein Zeichen, worauf dieser zum Tisch eilte.
„Was darf ich Ihnen bringen?“, fragte der Italiener seine Gäste.
„Wir hätten gern eine Portion Tortellini mit Tomaten, Mozzarella und Pesto. Außerdem nehmen wir eine Portion Rigatoni mit Sommergemüse. Dazu hätten wir gern eine Flasche Weißwein.“
„Da kann ich Ihnen ‚La Segreta‘ empfehlen. Das ist ein edler Weißwein, sehr aromatisch.“
„Okay, den nehmen wir.“
„Danke sehr, wir werden Ihre Wünsche umgehend erfüllen“, sagte der junge Kellner zuvorkommend und eilte davon.
Während sie auf das Essen warteten, blickten sie sich gegenseitig in die Augen, als hätten sie telepathische Fähigkeiten, einander ohne Worte zu verstehen.
„Du kannst mir so lange in die Augen schauen, bewundernswert“, unterbrach er ihr Schweigen. „Die meisten schaffen das nicht.“
Ich habe eben einen starken Willen“, erwiderte sie amüsiert. Wenig später brachte der Kellner zwei Gläser und die Flasche italienischen Wein.
Flink öffnete er die Flasche und füllte eine Kostprobe in ein Glas.
„Möchten Sie probieren?“
Alan nahm das Glas und trank genussvoll die Weinprobe. Julienne studierte seine Gestik, das ebenmäßige Profil seines Gesichts. Er ist zweifellos ein Genießer, konstatierte sie.
Anschließend reichte der junge Italiener beiden ein Glas mit dem köstlichen Wein.
„Zum Wohl! Alla Salute!“
„À ta santé!“, prostete der Millionär seiner Auserwählten zu.
„Cheers!“, erwiderte sie seine Floskel und griente ihn verlegen an.
Ihr Französisch hatte sie in den letzten Jahren etwas vernachlässigt. In ihrer Kleinstadt sprach niemand Französisch und ihre Reise nach Paris war lange her.
Sein französischer Akzent hatte etwas Verspieltes und überaus Liebenswürdiges an sich.
Julienne trank den süßlichen Wein, der ihre innere Erregung besänftigte.
„Hast du Verwandte in Frankreich?“, wollte sie wissen.
„Mein Urgroßvater kam aus Frankreich und verliebte sich in eine Frau aus Norddeutschland, meine Urgroßmutter. Beide heirateten und kauften sich später das Schloss. Das war um die Jahrhundertwende. Ich habe praktisch französisch-deutsche Wurzeln.“
„Da hast du eine interessante Familiengeschichte“, stellte Julienne fest. „Und leben deine Eltern auch auf dem Schloss?“
Um sie kennenzulernen, war Julienne noch nicht bereit. Davon abgesehen bezweifelte sie, ob ihre Beziehung überhaupt funktionieren würde. Dazu liebte sie ihren Schauspielberuf zu sehr.
Sie hatte ihr Leben lang davon geträumt, eines Tages auf der Bühne zu stehen und hart dafür gearbeitet. Für nichts in der Welt würde sie darauf verzichten.
„Nein, ihnen war das alles zu viel. Sie leben in einem Haus auf einer friesischen Insel.“
„Je vis tout seul!“, erwiderte er und lächelte. „Et toi? Bist du Single?“
„Yes, I am“, flüsterte Julienne erfreut.
„Ja, wirklich? So eine hübsche Frau, allein?“
„Ja! Du bist schließlich auch Single!“, verteidigte sie sich.
Alan bemerkte, wie ihn Juliennes Statement innerlich aufwühlte. Diese umwerfende Brünette lebte allein.
Inzwischen eilte der Kellner mit den frisch zubereiteten Gerichten heran.
„Buon appetito!“, wünschte er seinen Gästen und entfernte sich.
„Bon appétit!“, säuselte Alan seiner Auserwählten zu und verspeiste hungrig die toskanische Pasta.
„Bon appétit! Enjoy!“, murmelte Julienne, wonach sie sich die frisch gegarten Tortellini mit dem fruchtigen Pesto schmecken ließ.
Nach dem Essen in Alans Lieblingsrestaurant schlenderten sie zum feinkörnigen Strand, der in der frühen Nachmittagssonne schimmerte. Die Flut trieb die tosenden Wellen in Ufernähe.
Ein heftiger Wind, der vom Meer herüber wehte, streifte Juliennes Haar, wodurch ihr die langen Strähnen ins Gesicht wedelten.
„Hast du Lust, schwimmen zu gehen?“, fragte Alan spontan.
„Eigentlich schon“, entgegnete Julienne. Für diesen Fall hatte sie sich vor der Abfahrt ihren Bikini unter das Sommerkleid gezogen.
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