Ich erhielt nun eine Anstellung im Bureau der Direktion der direkten Steuern zu Lüneburg; und als diese im nächsten Jahre gleichfalls aufgelöst wurde, kam ich in das Bureau der Unterpräfektur zu Ülzen. Hier arbeitete ich bis gegen Ende des Jahres 1812, wo der Präfekt, Herr von Düring, mich beförderte und als Mairiesekretär zu Bevensen anstellte. Diesen Posten bekleidete ich bis zum Frühling des Jahres 1813, wo die herannahenden Kosaken uns zur Befreiung von der französischen Herrschaft Hoffnung machten.
Ich nahm meinen Abschied und ging in meine Heimat, mit keinem anderen Plan und Gedanken, als mich sobald wie möglich den Reihen der vaterländischen Krieger anzuschließen, die sich im stillen hier und dort anfingen zu bilden. Dieses vollführte ich und trat gegen Ende des Sommers mit Büchse und Holster als Freiwilliger in das Kielmannseggesche Jägerkorps und machte mit diesem in der Kompagnie des Kapitän Knop den Feldzug des Winters 1813 und 1814 durch Mecklenburg, Holstein und vor Hamburg gegen den Marschall Davoust. Darauf marschierten wir über den Rhein gegen den General Maison und zogen im Sommer viel hin und her in dem fruchtbaren Flandern und Brabant.
Hier, vor den großen Gemälden der Niederländer ging mir eine neue Welt auf; ich verbrachte ganze Tage in Kirchen und Museen. Es waren im Grunde die ersten Gemälde, die mir in meinem Leben vor Augen gekommen waren. Ich sah nun, was es heißen wolle, ein Maler zu sein; ich sah die gekrönten, glücklichen Fortschritte der Schüler, und ich hätte weinen mögen, daß es mir versagt worden, eine ähnliche Bahn zu gehen. Doch entschloß ich mich auf der Stelle; ich machte in Tournay die Bekanntschaft eines jungen Künstlers, ich verschaffte mir schwarze Kreide und einen Bogen Zeichenpapier vom größten Format und setzte mich sogleich vor ein Bild, um es zu kopieren. Große Begierde zur Sache ersetzte hiebei, was mir an Übung und Anleitung fehlte, und so brachte ich die Konture der Figuren glücklich zustande; ich fing auch an, von der linken Seite herein das Ganze auszuschattieren, als eine Marschordre eine so glückliche Beschäftigung unterbrach. Ich eilte, die Abstufung von Schatten und Licht in dem nicht ausgeführten Teile mit einzelnen Buchstaben anzudeuten, in Hoffnung, daß es mir in ruhigen Stunden gelingen würde, es auf diese Weise zu vollenden. Ich rollte mein Bild zusammen und tat es in einen Köcher, den ich, neben meiner Büchse auf dem Rücken hängend, den langen Marsch von Tournay nach Hameln trug.
Hier ward das Jägerkorps im Herbst des Jahres 1814 aufgelöst. Ich ging in meine Heimat; mein Vater war tot, meine Mutter noch am Leben und bei meiner ältesten Schwester wohnend, die sich indes verheiratet und das elterliche Haus angenommen hatte. Ich fing nun sogleich an mein Zeichnen fortzusetzen; ich vollendete zunächst jenes aus Brabant mitgebrachte Bild, und als es mir darauf ferner an passenden Mustern fehlte, so hielt ich mich an die kleinen Rambergischen Kupfer, die ich mit schwarzer Kreide ins Große ausführte. Hiebei merkte ich jedoch sehr bald den Mangel gehöriger Vorstudien und Kenntnisse. Ich hatte so wenig Begriffe von der Anatomie des Menschen wie der Tiere; nicht mehr wußte ich von Behandlung der verschiedenen Baumarten und Gründe, und es kostete mich daher unsägliche Mühe, ehe ich auf meine Weise etwas herausbrachte, das ungefähr so aussah.
Ich begriff daher sehr bald, daß, wenn ich ein Künstler werden wolle, ich es ein wenig anders anzufangen hätte, und daß das fernere Suchen und Tasten auf eigenem Wege ein durchaus verlorenes Bemühen sei. Zu einem tüchtigen Meister zu gehen und ganz von vorne anzufangen, das war mein Plan.
Was nun den Meister betraf, so lag in meinen Gedanken kein anderer als Ramberg in Hannover; auch dachte ich in dieser Stadt mich um so eher halten zu können, als ein geliebter Jugendfreund dort in glücklichen Umständen lebte, von dessen Treue ich mir jede Stütze versprechen durfte und dessen Einladungen sich wiederholten.
Ich säumte daher auch nicht lange und schnürte meinen Bündel und machte mitten im Winter 1815 den fast vierzigstündigen Weg durch die öde Heide bei tiefem Schnee einsam zu Fuß, und erreichte in einigen Tagen glücklich Hannover.
Ich verfehlte nicht, alsobald zu Ramberg zu gehen und ihm meine Wünsche vorzutragen. Nach den vorgelegten Proben schien er an meinem Talent nicht zu zweifeln; doch machte er mir bemerklich, daß die Kunst nach Brot gehe, daß die Überwindung des Technischen viel Zeit verlange, und daß die Aussicht, der Kunst zugleich die äußere Existenz zu verdanken, sehr ferne sei. Indessen zeigte er sich sehr bereit, mir seinerseits alle Hülfe zu schenken; er suchte sogleich aus der Masse seiner Zeichnungen einige passende Blätter mit Teilen des menschlichen Körpers hervor, die er mir zum Nachzeichnen mitgab.
So wohnte ich denn bei meinem Freunde und zeichnete nach Rambergischen Originalen. Ich machte Fortschritte, denn die Blätter, die er mir gab, wurden immer bedeutender. Die ganze Anatomie des menschlichen Körpers zeichnete ich durch und ward nicht müde, die schwierigen Hände und Füße immer zu wiederholen. So vergingen einige glückliche Monate. Wir kamen indes in den Mai, und ich fing an zu kränkeln; der Juni rückte heran, und ich war nicht mehr imstande den Griffel zu führen, so zitterten meine Hände.
Wir nahmen unsere Zuflucht zu einem geschickten Arzt. Er fand meinen Zustand gefährlich. Er erklärte, daß infolge des Feldzuges alle Hautausdünstung unterdrückt sei, daß eine verzehrende Glut sich auf die inneren Teile geworfen, und daß, wenn ich mich noch vierzehn Tage so fortgeschleppt hätte, ich unfehlbar ein Kind des Todes gewesen sein würde. Er verordnete sogleich warme Bäder und ähnliche wirksame Mittel, um die Tätigkeit der Haut wieder herzustellen; es zeigten sich auch sehr bald erfreuliche Spuren der Besserung; doch an Fortsetzung meiner künstlerischen Studien war nicht mehr zu denken.
Ich hatte bisher bei meinem Freunde die liebevollste Behandlung und Pflege genossen; daß ich ihm lästig sei oder in der Folge lästig werden könnte, daran war seinerseits kein Gedanke und nicht die leiseste Andeutung. Ich aber dachte daran, und wie diese schon länger gehegte heimliche Sorge wahrscheinlich dazu beigetragen hatte, den Ausbruch der in mir schlummernden Krankheit zu beschleunigen, so trat sie jetzt, da ich wegen meiner Wiederherstellung bedeutende Ausgaben vor mir sah, mit ihrer ganzen Gewalt hervor.
In solcher Zeit äußerer und innerer Bedrängnis eröffnete sich mir die Aussicht zu einer Anstellung bei einer mit der Kriegskanzlei in Verbindung stehenden Kommission, die das Montierungswesen der hannöverischen Armee zum Gegenstand ihrer Geschäfte hatte, und es war daher wohl nicht zu verwundern, daß ich dem Drange der Umstände nachgab und, auf die künstlerische Bahn Verzicht leistend, mich um die Stelle bewarb und sie mit Freuden annahm.
Meine Genesung erfolgte rasch, und es kehrte ein Wohlbefinden und eine Heiterkeit zurück, wie ich sie lange nicht genossen. Ich sah mich in dem Fall, meinem Freunde einigermaßen wieder zu vergüten, was er so großmütig an mir getan. Die Neuheit des Dienstes, in welchen ich mich einzuarbeiten hatte, gab meinem Geiste Beschäftigung. Meine Obern erschienen mir als Männer von der edelsten Denkungsart, und mit meinen Kollegen, von denen einige mit mir in demselbigen Korps den Feldzug gemacht, stand ich sehr bald auf dem Fuß eines innigen Vertrauens.
In dieser gesicherten Lage fing ich nun erst an, in der manches Gute enthaltenden Residenz mit einiger Freiheit umherzublicken, sowie ich auch in Stunden der Muße nicht müde ward, die reizenden Umgebungen immer von neuem zu durchstreifen. Mit einem Schüler Rambergs, einem hoffnungsvollen jungen Künstler, hatte ich eine innige Freundschaft geschlossen; er war auf meinen Wanderungen mein beständiger Begleiter. Und da ich nun auf ein praktisches Fortschreiten in der Kunst wegen meiner Gesundheit und sonstigen Umstände fernerhin Verzicht leisten mußte, so war es mir ein großer Trost, mich mit ihm über unsere gemeinsame Freundin wenigstens täglich zu unterhalten. Ich nahm teil an seinen Kompositionen, die er mir häufig in der Skizze zeigte und die wir miteinander durchsprachen. Ich ward durch ihn auf manche belehrende Schrift geführt, ich las Winckelmann, ich las Mengs; allein da mir die Anschauung der Sachen fehlte, von denen diese Männern handeln, so konnte ich mir auch aus solcher Lektüre nur das Allgemeinste aneignen, und ich hatte davon im Grunde wenig Nutzen.
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