Welcher Opa war das nicht.
Ur-Opa. Er war Nazi.
Reichsjugendführer war er ja wohl nicht.
Bitte?
Stinknormaler Nazi-Opa ist keine Leiche im Keller. Wen interessiert das denn noch!?
Könnte das nicht meine Verbindung zu diesen Texten hier sein?
Als wenn das Nazi-Texte wären.
Natürlich sind das –
Das ist die Satzung der CHP.
CH was?
P. Türkische Regierungspartei. Ende der Dreißiger. So kommen wir nicht zusammen.
Das Stück spielt kurz vor dem Zweiten Weltkrieg in der Türkei?
Darum geht es doch gar nicht.
Wenn das kein Zufall!
Lass es mich SO formulieren. Ich werde mich nicht bei dir melden.
Genau zu der Zeit hat mein Urgroßvater in Istanbul gelebt!
Also doch Migrationshintergrund?
Gewissermaßen.
Eben war dein Opa noch Nazi.
UR-OPA. Der räudige Hund. Hier. Tief in mir drinnen. Da.
Gibt es etwas, was du für diesen Job nicht machen würdest?
Er war dort Gauleiter.
Bitte?
GAULEITER.
Dein Opa war dort Gauleiter?
Mein Ur-Opa. Ja. Er war der Gauleiter von Istanbul. Hab ich die Rolle?
Der Nächste bitte!
Ich brauche den Job!
Du sollst dich verpissen!
Ich flehe sie an!
Als wenn die Türkei ein deutscher Gau –
Mein Urgroßvater war der Gauleiter von Istanbul!
Du bist dir wirklich für nichts zu schade.
Wenn es doch die Wahrheit ist!? Sie müssen mir diesen Job geben!
Erzähl mir von ihm.
Von wem?
Von deinem Gauleiter!
Ich habe ihn ja nie kennengelernt. Beziehungsweise. Es gibt da ein Foto. Da muss ich so. Ich konnte gerade laufen. Und da laufe ich an seiner Hand. Er war ja mein Urgroßvater. Aber daran kann ich mich natürlich überhaupt nicht mehr –
Willst du nun den Job oder nicht!?
Ja.
Dann erfinde was.
Jetzt? Ich meine –
Guten Abend!
Wieviel Zeit hast du noch?
Keine.
Eben.
Bin ICH jetzt dran?
0.
Mein Istanbuler Hauswirt, Engländer, ein sehr würdiger älterer Herr, erzählte mir eines Tages, dass sein deutscher Mieter, ein „großer Nazi“, wie er sagte, ihm schon seit vielen Monaten die Miete schuldig geblieben sei. Ich ließ mir den Mann kommen und stellte fest, dass seine Geschäfte, von denen er sprach, nur aus Windbeuteleien bestanden. Ich schlug ihm vor, alsbald seine Koffer zu packen und in die Heimat zu fahren, andernfalls ich ihm durch das Generalkonsulat seinen Pass entziehen würde. Er fuhr, und der Engländer bekam aus der Parteikasse die rückständige Miete auf Heller und Pfennig auf den Tisch geblättert.
1.
Darf ich dich mal was fragen?
Ist da was?
Woher nimmst du dir eigentlich das Recht? Dass es immer um DICH gehen muss!? Die ganze Zeit stehst DU im Zentrum! Wann bin ICH dran?!
Sei mal kurz still.
Da ist nichts!
Ich hab doch was gehört.
Du bist ja paranoid.
Psst!
Rhythmisches Brummen.
Hörst du das nicht?
Höchste Zeit, dass du mal wieder einen Job kriegst.
Als wenn es MEINE Schuld.
Hört ein arbeitsloser Schauspieler sein Publikum husten.
Meinst du das eigentlich ernst?
Ich bin AUCH nur ein Mensch!
Glaubst du das wirklich? Dass ich paranoid bin!?
Guck dich doch an.
Weißt du, was das heißen würde?
Wie lange soll das eigentlich noch so weitergehen?!
Das wäre meine Rettung!
Du kannst doch nicht dein Leben lang abtauchen!
Dafür gibt es Gründe.
Nur EINEN! Und der ist deine scheiß Paranoia.
Davon rede ich doch die ganze Zeit! Wie wunderbar das wäre! Wäre ich wirklich krank.
Bist du.
Und warum bin ich dann immer noch arbeitslos?
Dein Selbstmitleid kotzt mich an.
Du willst es einfach nicht wahrhaben.
Weil es nicht stimmt. Die Geschichte wiederholt sich nicht.
Hab ich das jemals behauptet?
Und wovor versteckst du dich dann?
Es gibt Parallelen!
Du bist nicht nur paranoid. Du bist völlig gestört.
Weil ich dich schütze? Weil ich nicht will, dass du meinetwegen Probleme kriegst?! Dass sie dich abholen? Demütigen?! Sie werden uns alle ins Gas schicken!
Das ist doch Schwachsinn!
Ich bin einfach nur nicht so naiv wie du.
Dieser ewige Nazi-Scheiß.
Aber er hat recht.
Sei mal still.
Sie sollten auf ihn hören.
Wie?
Ich?
Irgendwann ist es dann zu spät.
Da ist doch was.
Nicht schon wieder.
Dann hat niemand was gesehen.
Hörst du das nicht?
Hustet dein Publikum wieder?
Wehret den Anfängen!
Psssst!
Rhythmisches Brummen.
Dieses Brummen. Das musst du doch hören! Dieses rhythmische –
Scheiße. Wo hab ich es nur.
Das glaub ich jetzt nicht. Wie oft hab ich es dir gesagt!? Das Handy gehört in den Kühlschrank! Nicht rangehen!
(ins Handy) Ja? Hallo? Ja. Natürlich bin ich –
(zischt) Wer ist es denn?
(ins Handy) Wen wollen Sie sprechen?
(zischt) Ich bin nicht da!
(ins Handy) Der ist nicht hier. Da muss ich Sie leider. Und woher wissen Sie das?
(zischt) Leg auf!
(ins Handy) Bitte? Das ist ja wohl die Höhe!
Hab ich es nicht die ganze Zeit?
(ins Handy) Dazu haben Sie überhaupt kein Recht! Schon mal was von Menschenrechten gehört? Privatsphäre?! Freie Entfaltung der Persönlichkeit!?
Nein.
(ins Handy) Und seit wann soll die eingeschränkt sein? Notverordnung gegen was?!
Stille.
(ins Handy) Ich scheiß auf Hindenburg!
(zischt) Mach jetzt Schluss!
(ins Handy) Aber der ist nicht hier!
(zischt) Du sollst das Handy ausmachen!
Fuck.
Was denn!?
Sie kommen hoch.
Nein.
Doch! Wenn er nicht raus kommt. Dann kommen wir rein. Das haben sie gesagt.
Willst du immer noch behaupten, dass ich paranoid bin!?
Du musst weg!
Und wohin!?
Ich weiß es doch auch nicht.
Über den Balkon?
Bist du wahnsinnig?!
Dort rein!
In den Schrank?
Fällt dir was Besseres ein?!
Das ist doch lächerlich.
LOS jetzt!
Nein. Nicht in den Schrank!
Haben wir eine Wahl?
Stille.
Nun mach schon.
Ich?
Es ist DEINE Entscheidung.
Sind sie etwa hinter MIR her?! DU musst in den Schrank. Los!
Und wenn ich niesen muss?
Dass dir selbst in so einer Situation noch nach Witzen ist.
Ich meine es völlig ernst! Wenn ich im Schrank niesen muss. Was dann!?
Dann sehen wir uns nicht wieder.
2.
Eine Menge Arbeit und Vorbereitungen verursachten die einige Male vorgenommenen Wahlen, oder richtiger gesagt: Volksbefragungen. Da diese auf türkischem Hoheitsgebiet nicht stattfinden durften, wurde ein Frachter unserer Linie gechartert und mit diesem die große Masse der Wähler außerhalb der Dreimeilen-Zone, also ins Ausland verbracht. Zum Wahlbüro im Zwischendeck führte eine extra angefertigte breite Treppe mit Geländer. Letzteres erwies sich als zweckmäßig, denn im Schwarzen Meer herrschte dieses Mal eine hohe Dünung, gegen die unser Wahlschiff „Milos“ unentwegt mit halber Kraft anstampfte, und eine ganze Anzahl unserer Passagiere hatten die Haltung verloren. Auf sie konnten wir aber nicht verzichten, und so wurden sie, flankiert von je zwei kräftigen SA-Männern, nach unten gelotst. Das Wahlresultat war dann auch ein entsprechend erfreuliches: 98,5% Ja-Stimmen.
Unter Aufbietung der gesamten Frauenschaft hatte ich in der Teutonia unter der Leitung des Schiffskochs ein Eintopfessen für die vielen hundert Wähler bereiten lassen. Es gab Labskaus, der in Fässern an Bord gebracht, dort wieder aufgewärmt und in der Kombüse in Portionen verausgabt wurde. Das Gericht war delikat, aber die Magennerven einer Anzahl der Fahrgäste revoltierten und überließen es lieber den Makrelen. Nicht das etwas unruhige Schwarze Meer, sondern mein Küchenzettel wurde für die „Katastrophe“ verantwortlich gemacht.
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