„Ach was, es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen!“, beschwichtigte Isa, „Sie sagt ihm einfach, dass er ihr erster Freund ist und damit weiß er auch, worauf er sich einlässt. Das ist doch ganz einfach! Man kann schließlich über alles reden.“
„Na, ich weiß ja nicht“, meinte Bell unsicher.
Lange standen sie so da und ließen die Gedanken auf sich wirken. Viel zu lange, denn der Mittag näherte sich bereits. Aber sie bemerkte es nicht und ihre Freundinnen wollten es nicht bemerken, sie verstrickten sich bald darauf wieder in ihre Diskussion und während Isa heißblütig darauf bestand, dass sie ihrem Schwarm ihre Gefühle gestehen musste, wollte Bell nicht zuhören und bestand ihrerseits darauf, dass alles fürchterlich schief gehen würde. Sie wollte, dass das verliebte Mädchen die wundersamen Gefühle für sich behielt und sie genoss, so lange sie währten.
„Isabell?“, ertönte urplötzlich eine bekannte Stimme hinter dem Mädchen. Sie drehte sich zu Lukas um. „Was machst du denn ganz alleine hier am See? Wir haben dich in der Schule vermisst und deine Eltern sagten, du hättest das Haus längst verlassen. Wir suchen alle nach dir.“
Und tatsächlich: Als sich das erschrockene Mädchen umblickte, erkannte es andere Leute in der Nähe, die erleichtert schienen, die Schülerin gefunden zu haben. Langsam kamen sie auf Isabell zu, manche telefonierten eifrig mit dem Handy.
„Ist alles in Ordnung?“, wollte Lukas wissen, ohne zu merken, wie sehr seine Anwesenheit sie verschüchterte.
„Ich habe… den Bus verpasst“, brachte sie beinahe flüsternd heraus und mied den Augenkontakt zu Lukas, damit er ihre Gefühle nicht bemerkte und die verlegene und verliebte Röte ihrer Wangen.
„Und da bist du allein losgegangen?“, wollte der entsetzte Junge wissen, der sehr wohl die Verlegenheit des Mädchens bemerkte, „Isa-bell?“, begann er und wartete, bis das Mädchen ihm den Blick zuwandte, „Du verpasst in letzter Zeit ziemlich häufig den Bus. Ich steige nur wenige Stationen vor dir ein, deshalb merke ich es, wenn du nicht da bist. Wenn du willst, kön-nen wir zusammen zur Schule gehen. Na ja, es heißt, es ist gefährlich allein.“
In den Augen Isabells entfachte ein warmes Feuer, der Gedanke mochte ihr gefallen, und gleichsam mochte er sie ängstigen. Verschüchtert ließ sie den Blick sinken. Sie konnte den Mut nicht aufbringen, es ihm zu sagen.
„Ich mag dich wirklich gern, weißt du…?“, sagte der Junge leise und verlegen. Und Isabell glaubte, ein leises Zittern in seiner Stimme gehört zu haben. Er mochte sie also! Seine Blicke! Isabell hatte sie also doch nicht falsch gedeutet. Lukas schien mutiger zu sein als sie, doch auch ihm war es sichtlich schwer gefallen. Nun stand er da, die schwitzigen Hände zuckten nervös, sein erwartungsvoller Blick war unstet und seine Lippen wägten ab, ob sie etwas sagen sollten oder nicht.
Nun waren alle anderen bei ihnen angekommen, ehe Isabell ihm eine Antwort hatte geben können, und wollten gleich wissen, was passiert war. Isabell schloss einen Moment die Augen. Er mochte sie. Es gab keinen Grund, jetzt noch ängstlich zu sein. Ja, sie musste ihm einfach nur sagen, dass sie unsicher war! Wenn er ihre Ängste kannte, hatte er die Möglichkeit, darauf zu reagieren.
Sie öffnete die Augen mit erfrischtem Mut: „Es tut mir leid“, sprach sie und wandte sich mit ihren Worten an alle umstehenden Leute: „Ich habe den Bus schon wieder verpasst und bin irgendwie hier hängen geblieben. Aber Lukas hat mir angeboten, mich von jetzt an zu begleiten. Ihr müsst euch also nicht mehr sorgen.“
Es war der einfache Weg: Ein Ja über Umwege. So wusste er, sie wollte das Angebot annehmen, doch sie musste dafür nicht den Mut aufbringen, ihm in die Augen zu sehen. Erleichterung durchdrang ihren bebenden Körper, doch eine freudige Angst folgte sogleich. Sie blickte zu Lukas.
Er lächelte zufrieden und teilte die Röte auf Isabells Wangen.
[veröffentlicht am 14. Feb. 2018]
Ich widme diese Geschichte meiner besten Freundin
- B. C. Elgengard
Ein Schnee war in der Nacht überraschend auf die Wiese gekommen. Kälte hatte er mitgebracht. Eine Kälte, die noch frostiger und eisiger war, als die letzte verbliebene Winterkälte, in der die Blumen allmählich aufgewacht waren.
Das kleine Tausendschön konnte das Bibbern all der anderen Blumen spüren, als wenige Stunden nach Sonnenuntergang die ersten großen Flocken auf ihnen und dem hohen Gras landeten. Mit geschlossenen Blüten harrten die frühen Blumen in der dunklen Schneenacht. Höher und höher stieg die weiße Decke, glitzernd wie tausend Kristalle, über der Wiese an. Aber die Schönheit der späten weißen Pracht trog: Kälte und Lichtlosigkeit würden die Blumen und auch das kleine Tausendschön erfrieren lassen.
Immer schwerer lastete das Weiß auf ihnen, drückte das kleine Tausendschön weiter zum gefrierenden Erdboden und gegen die Gräser. Jede weitere der unzähligen Flocken ließ das Gewicht ansteigen. Stunde um Stunde sanken mehr und mehr Flocken hinab, als ob die Nacht nimmer enden mochte.
Nach drei Stunden in der Kälte, jedoch, da lichteten sich die Wolken. Sie zogen von dannen, als sei ihr grausiges Werk ihnen langweilig geworden, und nahmen die Kälte und alle ihre verbliebenen Flöckchen mit. Wohin sie zogen, das wusste das kleine Tausendschön nicht. Doch es wusste wohl, dass, wenn die Winterwolken fortgezogen waren, sich ein wunderschöner endlos weiter Himmel auftat, an dem Sonn' und Mond einander abwechselnd ihr warmes Licht zur Wiese warfen.
Nun erstrahlte ein später Nachthimmel über der weiß gewordenen Wiese. Seine Milliarden Sterne glitzerten und funkelten mit den Schneekristallen um die Wette. Frische klare Luft wurde von einem seichten Winde aufgewirbelt.
Von alledem bekam aber das kleine Tausend-schön nichts mit, denn es war noch immer begraben unter der Decke aus Schnee und kämpfte gegen den eisigen Tod an. Zerdrückt und unfähig, sich zu rühren, hielt es an dem einen Gedanken fest, der es retten konnte: die Sonne. Das Tausendschön musste nur lange genug aushalten, dann würde die Sonne aufgehen und mit ihren Feuern den Schnee von ihm niederschmelzen.
Wieder und wieder war das Tausendschön dem Aufgeben nahe. Die erdrückende Schwere des Schnees und die gefrorene Kälte brachten allenthalben eine Ohnmacht zu dem tausendschönen Blümelein. Immerzu kämpfte es dagegen an, doch mit jeder weiteren Ohnmacht, die sich ihm näherte, verlor das Tausendschön an Kraft und Mut. Als es nach vielen Stunden aufzugeben drohte, da erkannte es ein Licht, das sich von dem Funkeln der Schneekristalle hin- und hergeworfen bis zu ihm hinab verirrte. Der Sonnenaufgang war gekommen!
Eine ungeahnte Kraft löste dieses schwache kleine Licht aus, und es genügte, damit das kleine Tausendschön weiterkämpfte.
Heller und heller schien die Schneedecke zu werden und ganz langsam rieselten Tröpfchen durch die dicht beieinander liegenden Flöckchen bis hin zum Erdengrund. Ein Wasser, das dem Tausendschön genehm war, denn es glitt an seinem geschlossenen Blütenköpfchen und dem langen Hals hinab, sank in die Erde ein und nährte seine Wurzeln.
Mit der Zeit, während die Sonne warm und scheinend zu ihrem höchsten Punkt hinauf-wanderte, da schwand allmählich das Gewicht des Schnees. Zunehmend strömte mehr und mehr Wasser durch die weiße Decke und ihm folgte Licht. Kaltes Licht, aber dennoch ein Schimmer voller Hoffnung. Das kleine Tausendschön erstarkte; gleich als es sich nach Stunden, die ihm wie eine Ewigkeit erschienen, zum ersten Mal bewegt hatte, war es sicher gewesen, erst kaum merklich, doch nun mit unabdingbarer Sicherheit, dass es die Eisesnacht überleben würde.
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