„Ja, wieso nicht.“
„Mir gefällt deine Frisur.“ Mit ihrer zarten Handfläche strich sie über seinen Borstenschnitt. Als er ihre Haut auf seinem Schädel spürte, hätte er am liebsten die Augen geschlossen, aber das wagte er nicht.
„Der sieht doch eher aus, als müsste er morgen zum Militärdienst.“ Mit Eifersucht hatte Soo-Jung sie beobachtet.
„Nein, ich finde es schön“, widersprach sie und gab Soo-Jung einen Kuss auf die Wange, was den Kahlkopf wieder ruhiger werden ließ.
Es war lange her, dass ein Mädchen einen so tiefen Eindruck bei Haekwon hinterlassen hatte. Schlagartig kamen ihm seine früheren Beziehungen bedeutungslos vor. Wie ein Mathematiker an seinem Lebensende feststellen musste, dass seine Theorien ins Leere führten. Sie schien nicht aus reichem Hause zu stammen und gerade das gefiel ihm am meisten. Im Laufe der Jahre wusste Haekwon genau, wie reiche Frauen sich bewegten, über welche Oberflächlichkeiten sie redeten und wie affektiert sie sich in der Öffentlichkeit verhalten konnten. Er hatte sie regelrecht studiert. Und Hyuna war das glatte Gegenteil von ihnen, sozusagen das weiße Schaf im Rudel schwarzer.
„Lass uns doch nach dem Essen in die Spielehalle“, schlug sie vor. Sie hatte ihre Suppe kaum angerührt und der Dampf, der geisterhaft aus der Schale gestiegen war, hatte sich ebenfalls in Wasser an der Scheibe transformiert. Im Geschirr der Jungs hingegen erinnerten nur noch braune Spuren aus Sojasauce an ein sättigendes Mahl. Mit einer Serviette wischte sich Haekwon die verkrustete Sauce auf seinem Mund ab. Soo-Jung ließ sie sich von Hyuna abwischen. Haekwon zahlte die Rechnung. Nicht weil er Eindruck schinden wollte, nichts erregte seine Abneigung mehr als zu zeigen, dass seine Eltern reich waren, sondern weil er einfach wieder an der Reihe war. Als sie den Laden verließen, hatte der Regenschauer eine Pause eingelegt. Die kurze Gnadenfrist nutzten sie und liefen über den Bürgersteig, auf dessen brüchigem Relief sich glänzende Pfützen gebildet hatten, die sie spielerisch übersprangen. Die Spielehalle war glücklicherweise nicht weit vom Imbiss entfernt und das Mädchen schien den Besitzer gut zu kennen. Als sie den dumpf beleuchteten Kellerraum betraten, strömte Haekwon ein harziger Geruch in die Nase, als wenn die greisenhaften Holzsäulen, die das Deckengemäuer stützen, frisch gebohnert worden waren. Soo-Jung stürzte sich mit Begeisterung ans Lenkrad, um zwei anderen Kids zu zeigen, dass er der wahre König der Rennbahn war. Hyuna bestand darauf, wenigstens das virtuelle Vergnügen zu spendieren, wenn sie schon für das Essen nichts bezahlen musste. Aus Haekwons Milieu ließen sich die Frauen gerne etwas spendieren. Es galt als Bestätigung ihres aus Mascara wohlgeformten Äußeren.
Verblüfft sah Haekwon ihr dabei zu, wie sie einen alten Mann bezahlte und mit ihm einige Worte wechselte. Die Kakophonie aus Schusswechseln, Motorengeräuschen und Kung-futritten trat für einen Moment in den Hintergrund.
„Ich möchte dir jemanden vorstellen“, sagte sie etwas lauter zum Alten, der seinen mageren Oberkörper auf einen Gehstock stützend auf einem hohen Hocker saß.
Interessiert blickte der Greis Haekwon an und winkte ihn rüber. Die dürre Hand des Alten fühlte sich überraschend warm an, als er sich vorstellte. Aus den sanften Zügen kam eine freundliche Stimme, aus der Geduld und Erfahrung zu hören waren.
„Wie halten Sie den Lärm hier aus?“, fragte Haekwon.
„Ich arbeite hier schon so lange. Ich höre ihn schon gar nicht mehr.“ Das hagere Gesicht formte sich unbeholfen zu einem Schmunzeln.
„Tae-Min ist so etwas wie mein Großvater geworden.“ Behutsam umarmte sie den Spielhallenbesitzer, als würde er aus zerbrechlichem Glas bestehen.
„Ja, gewonnen! Ich bin der Beste und Schnellste!“ Mit hochgerissenen Armen kam Soo-Jung auf sie zu. Die anderen Kids missgönnten ihm den Sieg und schauten ihm finster hinterher, als er im Freudentaumel auf die drei zuwankte.
„Und du musst Soo-Jung sein.“ Wie schmales Geäst streckte Tae-Min dem Kahlkopf die Hand entgegen.
Noch trunken vom Sieg schüttelte Soo-Jung sie kräftig.
„Ich gehe ein bisschen Flippern“, meinte Hyuna und hüpfte zum Automaten.
„Wo haben Sie Hyuna kennengelernt?“
„Der Hellste scheinst du nicht zu sein“, scherzte der Greis.
Beschämt kratzte sich Soo-Jung am Hinterkopf, aber er ließ sich die Rüge gefallen. Denn vor alten Menschen hatte er Respekt. Haekwon sagte erst gar nichts.
„Eine zeitlang ist sie regelmäßig hierhin gekommen. Ihr junges Gesicht strahlte immer so eine Traurigkeit aus. Ein hübsches Mädchen, wie sie, sollte mehr lachen. Irgendwann habe ich sie angesprochen. Es ist der natürliche Lauf der Dinge. Wenn man ein Feuer sieht, löscht man es. Wenn man etwas Trauriges sieht, dann spricht man die Person an. Eines habe ich ihr allerdings bis heute nicht verziehen.“
„Was denn?“, fragte Haekwon erschrocken, da sich die freundlichen Züge Tae-Mins schlagartig veränderten.
Der Alte beugte sich mit einer Ernsthaftigkeit nach vorne, dass ihm fast der graue Filzhut vom Schädel rutschte.
„Die Kleine hat es gewagt, meinen Flipperrekord zu brechen.“
Das Lachen der beiden Jungs krachte durch die Spielhalle und übertönte sogar den Geräuschbrei, der aus den Automaten floss. Tae-Min hingegen lächelte nur still in sich hinein, als hätte er ein Kunstwerk erschaffen, mit dessen Resultat er mehr als zufrieden war. Den Nachmittag verbrachten die Jungen am Flipperautomaten, nur Hyuna spielte. Beflügelt von den Anfeuerungsrufen ihrer Freunde ließ sie die eiserne Kugel über das Spielfeld schnellen. Das Klacken und Klingeln, wenn sie an die Banden stieß, erweckte das uralte Gerät zum Leben. Tae-Min hingegen war auf seinem Hocker eingeschlafen und der Filzhut war ihm letztendlich doch vom Kopf gefallen. Mehrere Felder aus Leberflecken bewuchsen seinen kahlen Schädel. Betrübt betrachtete Soo-Jung den Dösenden, da er sich auf einmal selbst alt vorkam. Vielleicht würde er sich die Haare wieder lang wachsen lassen. Schon allein Hyuna zuliebe. Die Partie war gespielt und das Mädchen erschöpft. Mit der Sanftmut einer Enkeltochter legte sie Tae-Min die Hand auf die Schulter. Vom zarten Weckruf öffneten sich die greisen Augen eulenartig.
„Wir gehen jetzt. Es war schön hier.“
Ein Lächeln blitzte in Tae-Mins Gesicht auf und ebenso ein Goldzahn im hinteren Rachenraum.
„Dann bis zum nächsten Mal, liebes Kind.“
Soo-Jung und Haekwon standen hinter ihr und hoben schüchtern zum Abschied die Hand. Tae-Min registrierte sie kaum. Es schien, als würde er noch halb in einem schönen Traum stecken. Erstickt vom Verkehrslärm standen sie wieder auf der Straße. Eine komplett andere Welt umhüllte sie. Unten in der Spielhalle konnte man in Geschichten eintauchen, die von der Realität ablenken sollten. Nur einige Stufen aufwärts, und sie wurden wieder gewaltsam in die wirkliche Welt gerissen.
„Ich muss jetzt los“, verabschiedete sich Hyuna mit einem Auge auf ihre Armbanduhr schielend.
Mit ein wenig Neid betrachtete Haekwon, wie sie Soo-Jung einen Kuss auf die Wange gab, während er selbst nur eine distanzierte Umarmung von ihr bekam. Genießerisch hatte der Kahlkopf seine Augen dabei geschlossen. Es war schon dunkel und beleuchtet vom Neonlicht der Reklamen liefen sie durch den kühlen Abend.
„Lass uns irgendwo was futtern gehen. Mein Magen knurrt, ich habe einen Bärenhunger.“
Nur widerwillig stimmte Haekwon zu und kurze Zeit später saßen sie unter einer Plane eingehüllt vom Rauch, das vom Grill aufstieg. Das Zelt war gut gefüllt und obwohl Haekwon zuerst nichts essen wollte, kam der Appetit mit dem brutzelnden Bauchfleisch, das vor ihm auf der Anrichte lag.
„Ist ein klasse Mädchen, was?“, meinte der Kahlkopf und tunkte das ohnehin schon vor Fett triefende Fleischstück in Sesamöl.
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