Als Fafr in die folgende Ruhe lauschte, setzte er die Vorderläufe wieder auf. Er sank zu einer liegenden Pose zurück und legte den Kopf auf seinen Vorderläufen ab.
Einige Stunden mochte er so geschlafen haben, als er wieder erwachte. Sein noch schläfrig trüber Blick schweifte umher und erkannte Bewegungen in einem glitzernden Sonnenstrahl.
Gähnend weckte er seine Augen, um genauer hinsehen zu können.
Da erkannte er den Sonnenstrahl, der durch den aufklarenden Himmel und die schwere Wolkendecke gebrochen war. Ihm folgten weitere Sonnenstrahlen.
Licht!
Es fiel in breiten glänzenden Strahlen auf die Wälder und Felder und die Flüsse und die Berge. Überall erkannte es der uralte Drache, wie es den Grauschleier lüftete und Grün und Blau und Goldgelb preisgab.
Farben!
Fafrs Augen erinnerten sich an diese Farben. Weit riss er die schuppigen Lider von den schwarzen Pupillen fort. Da sah er auch die Drachen, die im blühenden Lichte flogen. Frei und fröhlich, spielend und tobend. Seine Kinder, seine Nachkommen, die alle schlimmen Zeiten überdauert hatten.
Wärme schlich zurück in seine Knochen. Nun berührte das Licht auch ihn.
Wie hatte er es vergessen können? Es war immer so gewesen: Ein Krieg brach aus, grau und rot färbte sich die Welt um ihn herum. Er hasste es, fürwahr, denn er mochte Frieden lieber und die Freude, die ihm innewohnte. Doch wenn die Kriege endeten und die Welt eine Weile brach gelegen hatte, dann erhob sie sich aus ihrem Grau und erstrahlte in einem Blühen, das die vormals schöne Welt erneuerte und sie noch schöner und heller strahlen ließ. Zumindest, so dachte Fafr, zumindest hatte er immerzu dieses Gefühl gehabt. Aber tatsächlich, und das wusste er mit all seiner Jahrtausende alten Erfahrung, war die Welt durch die Kriege nicht schöner geworden. Sie hatte sich verändert. Aber das langanhaltende Grau ließ alle glauben, dass die Welt nachher viel schöner blühte als vor dem Krieg. Schließlich freute man sich über alles, was das Schlechte von zuvor in die Vergessenheit rückte.
Nichts destotrotz, und obwohl sich auch Fafr kein einziges Mal dagegen wehren konnte, den Anblick einer wieder erstarkenden Welt faszinierend zu finden, so wusste er, die Menschen und auch andere Völker würden sich niemals in Frieden begegnen. Missverständnisse und Andersartigkeiten machten sie sich gegenseitig spinnefeind. Sie waren stets auf der Suche nach der einen Wahrheit und liefen dabei jeder Lüge hinterher in ein verworrenes Labyrinth. Fafr wusste, welche Konsequenz daraus folgte. Aber er hatte gelernt, mit der Weisheit seines Alters, dass es niemals nur eine Wahrheit gab. Es gab viele davon und jede einzelne Kreatur auf der Welt erschuf sie sich selbst.
Fafrs Wahrheit war, dass ein neuer Sturm heraufziehen würde, ein neuer Krieg. Da senkten sich seine Lider. Langsam begab er sich zurück zu seiner Höhle, legte sich davor auf den kargen Boden nieder und schlief ein. Er wusste, wenn er wieder erwachte, würde sich die Welt erneut verändert haben.
[veröffentlicht am 5. Januar 2018]
Alina! Alina!“, rief aufgebracht eine kleine Fee, „als sie stürmend in das kleine Häuschen Alinas gerannt kam.
Die junge Eisfee hatte gerade ihre Käferbohnen gezählt und war bei dem plötzlichen Lärm so sehr erschrocken, dass sie alle Bohnen durcheinander warf. Vor Schreck schwer atmend drehte sie sich der anderen Fee zu. Die hatte die Augen zugekniffen und stand mit schützend erhobenen Armen in der weit aufgerissenen Tür.
„Was erschrickst du mich denn so, Milena?“, wollte Alina wissen, als der Schreck ihre Worte frei ließ.
Die andere Fee, Milena, nahm die Hände runter und zückte aus ihrem Blätterbeutelchen eine Käferbohne. „Hier, die ist für dich!“, sprach sie aufgeregt und hielt Alina das Böhnchen hin.
Die junge Fee betrachtete das Böhnchen nachdenklich und sprach nach einer Weile: „Ich glaube nicht, dass ich sie brauche. Ich habe meine Bohnen noch nicht fertig gezählt, aber ich bin sicher, ich habe genug.“
Da senkte Milena die Hände mit der Bohne und sah Alina wütend an: „Ich will sie dir schenken! Kannst nicht einfach dankbar sein, wie es sich gehört?“, rief sie aus und verschwand darauf empört mitsamt der Bohne.
„Dankbar sein?“, wiederholte Alina verständnislos.
Sie lebte noch nicht sehr lange und wusste noch nicht alles so genau. Vieles hatte sie noch zu lernen. Deshalb wunderte sie sich über Milenas Zorn, der Alina sehr wohl nachdenklich machte. Ein leises, bislang ungekanntes Reuegefühl schlich in ihr Inneres. Der Begriff dankbar war ihr fremd, sie konnte nicht begreifen, was er bedeutete.
Kurzerhand entschloss sich die junge Eisfee, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie verließ das Häuschen hoch oben in den Bäumen ihrer kleinen Feenwelt. Mit starken Seilen führten viele blumengeschmückte Brücken zu den Häuschen der anderen Feen, kleine Hüttchen, die um die mächtigen Baumstämme herum gebaut und mit Stroh gedeckt worden waren und die Feen vor Witterung in den unfreundlichen Zeiten und vor Lärm und Vögeln in der Nacht bewahren sollten.
Sie schritt über die erste Brücke hinweg und weiter über viele andere. Die Feen, die ihr auf dem Weg begegneten, sahen Alina seltsam an. Sie tuschelten und flüsterten. Alina schnappte nur wenige Worte auf, an denen sie erkannte, dass die Feen über ihren Undank sprachen. Sie empörten sich regelrecht und das brachte ein tiefes Unwohlsein in Alina hervor. Sie wollte nicht undankbar sein, und dass, obwohl sie noch gar nicht verstand, was Dank überhaupt bedeutete.
Was hatte es mit Dank und Undank auf sich? Alina erinnerte sich zurück mit der drängenden Frage, was sie falsch gemacht hatte. Milena hatte ihr eine Käferbohne schenken wollen und Alina empfand es als äußerst freundlich und nett. Sie hatte sich gefreut, doch in dem Wissen, dass sie ausreichend Käferbohnen hatte, wollte sie das Geschenk nicht annehmen. Beim besten Willen mochte die junge Fee nicht verstehen, was daran falsch gewesen war.
Die Hohe Fee, die allen anderen in Weisheit und Wissen und sogar an Alter überlegen war, würde es wissen. So spannte Alina ihre Hände zu Fäusten an und ging trotz der unguten Gefühle entschlossen und eilig voran zur Hütte der Hohen Fee Iliya.
Jenseits der vor ihr liegenden Brücke erblickte die junge Fee mit ihren blauen Augen die Hütte der Hohen Fee. Das Feelein konnte auch Iliya erkennen, denn sie pflegte das kleine Käferbohnenbeet auf dem Balkon vor ihrer Hütte.
Alinas Entschlossenheit wich ihrer Faszination. Ein tiefes Gefühl von Ehrfurcht und Bezauberung durchdrang ihren vormals traurigen Körper. Die großen bunten Flügel der hochgewachsenen Hohen Fee schimmerten mit Lichtlein und sprühten kleine, liebliche Funken von sich. Ihr langes erdbraunes Haar war mit den frühen Blumen des Jahres geschmückt. Ein braunes Muster zog blass über die helle Haut und ihre Kleidung war so blühend grün wie die Blätter der Bäume.
„Alina?“, ertönte die liebliche Stimme der Hohen Fee. Sie hatte die kleine Eisfee bemerkt und sich ihr verwundert zugedreht. „Wolltest du zu mir?“
Alina nickte zaghaft.
Langsam näherte sie sich der Hohen Fee. Sie erkannte andere Feen, die neugierig hinzukamen, wohl, weil sie wussten, dass Alina eine Lektion zu lernen hatte, doch die junge Eisfee ließ sich nicht entmutigen, denn sie war entschlossen.
„Iliya“, begann Alina und bemühte sich, dem durchschauenden Blick der Hohen Fee standzuhalten, „Was ist Dank?“
„Dank?“, wiederholte Iliya und lachte kurz.
Alina nickte.
„Nun, Dank ist ein Wort, das anderen zeigt, wie sehr wir ihr Mitgefühl und ihre Hilfe schätzen“, erklärte die Hohe Fee freundlich und die anderen Feen nickten zustimmend. Alina hingegen blickte verständnislos in die Menge. Iliya bemerkte die Unsicherheit der Jungfee. „Willst du mir nicht erklären, wie du auf diese Frage gekommen bist?“
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