Als er vor die Stadt kam, lag da Eulenspiegel unter einem grünen Baum im Schatten. Er hatte sich am Hof der Herren so überfressen und betrunken, dass er weder essen noch trinken konnte und eher einem toten Menschen als einem lebendigen glich. Als nun der brave Mann an ihm vorbeifuhr, da redete Eulenspiegel den Mann so kläglich an, wie er es zuwege brachte, und sprach: »Ach, guter Freund, sieh her, ich liege hier so krank drei Tage und Nächte ohne aller Menschen Hilfe. Wenn ich noch einen Tag so liegen soll, muß ich vor Hunger und Durst sterben. Darum fahre mich um Gottes willen nach der Stadt.« Der gute Mann sprach: »Ach, lieber Freund, ich wollte das recht gern tun. Aber ich habe Pflaumen auf dem Karren. Wenn ich dich darauf setze, so machst du sie mir alle zuschanden.« Eulenspiegel sagte: »Nimm mich mit, ich will mich vorn auf dem Karren behelfen.«
Der Mann war alt und mußte sich sehr anstrengen, ehe er den Schalk, der sich möglichst schwer machte, auf den Karren brachte. Um des Kranken willen fuhr der Bauer desto langsamer.
Als nun Eulenspiegel eine Weile gefahren war, zog er das Stroh von den Pflaumen, erhob sich heimlich etwas hinter dem Rücken des Bauern und beschiß dem armen Mann die Pflaumen ganz schändlich. Dann zog er das Stroh wieder darüber.
Als der Bauer an die Stadt kam, rief Eulenspiegel: »Halt, halt! Hilf mir von dem Karren, ich will hier draußen vor dem Tor bleiben!« Der gute Mann half dem argen Schalk von dem Karren und fuhr seine Straße weiter, den nächsten Weg zum Markt. Als er dort angekommen war, spannte er sein Pferd aus und ritt es in die Herberge.
Indessen kamen viele Bürger auf den Markt. Unter ihnen war einer, der immer der erste war, wenn etwas auf den Markt gebracht wurde, und doch selten etwas kaufte. Der kam gleich hinzu, zog das Stroh halb herab und beschmutzte sich die Hände und den Rock. Währenddessen kam der Bauersmann wieder aus seiner Herberge. Eulenspiegel hatte sich inzwischen verkleidet, kam auch auf einem anderen Weg gegangen und fragte den Bauern: »Was hast du auf den Markt gebracht?« »Pflaumen«, sagte der Bauer. Eulenspiegel sprach: »Du hast sie als ein arger Schalk gebracht, die Pflaumen sind beschissen, man sollte dir mit den Pflaumen das Land verbieten.« Der Bauer sah nach, erkannte, dass es so war, und sagte: »Vor der Stadt lag ein kranker Mensch, der sah ebenso aus wie der, der hier steht. Nur hatte er andere Kleider an. Den fuhr ich um Gottes willen bis vor das Tor. Der Schuft hat mir den Schaden angetan.« Eulenspiegel sprach: »Der Schuft verdiente Prügel.«
Der brave Mann aber mußte die Pflaumen wegfahren auf die Abfallgrube und durfte sie nirgends verkaufen.
21. Historie
Die 21. Historie sagt, wie Eulenspiegel sich bei dem Grafen von Anhalt als Turmbläser verdingte; und wenn Feinde kamen, so blies er sie nicht an, und wenn keine Feinde da waren, so blies er sie an.
Nicht lange danach kam Eulenspiegel zum Grafen von Anhalt und verdingte sich bei ihm als Turmbläser. Der Graf hatte viele Feindschaften und hielt deshalb in dem Städtchen und auf dem Schloß zu dieser Zeit viele Reiter und Hofvolk, die man alle Tage speisen mußte.
Darüber wurde Eulenspiegel auf dem Turm vergessen, so dass ihm keine Speise gesandt wurde. Und am selben Tage kam es dazu, dass des Grafen Feinde vor das Städtlein und das Schloß ritten, die Kühe nahmen und sie alle hinwegtrieben. Eulenspiegel lag auf dem Turme, sah durch das Fenster und machte keinen Lärm, weder mit Blasen noch mit Schreien. Als die Nachricht von den Feinden vor den Grafen kam, damit er ihnen mit den Seinen nacheilte, sahen einige, dass Eulenspiegel auf dem Turm im Fenster lag und lachte. Da rief ihm der Graf zu: »Warum liegst du im Fenster und bist still?« Eulenspiegel rief herab: »Vor dem Essen rufe oder tanze ich nicht gern.« Der Graf rief ihm zu: »Willst du nicht die Feinde anblasen?« Eulenspiegel rief zurück: »Ich darf keine Feinde heranblasen, das Feld wird sonst voll von ihnen, und ein Teil ist schon mit den Kühen hinweg. Bliese ich noch mehr Feinde heran, sie schlügen Euch zu Tode.« Für diesmal blieb es bei den Worten.
Der Graf eilte den Feinden nach und stritt mit ihnen. Und Eulenspiegel wurde erneut mit seiner Speise vergessen. Der Graf kehrte zufrieden zurück: er hatte seinen Feinden einen Haufen Rindvieh wieder abgenommen. Das schlachteten und zerlegten sie, sotten und brieten. Eulenspiegel dachte auf dem Turm, wie er auch etwas von der Beute erhielte, und gab darauf acht, wann es Essenszeit sein würde. Da fing er an zu rufen und zu blasen: »Feindio, Feindio!« Der Graf lief mit den Seinen eilends von dem Tisch, auf dem schon das Essen stand. Sie legten ihre Harnische an, nahmen die Waffen in die Hände und eilten sogleich dem Tore zu, um im Felde nach den Feinden Ausschau zu halten. Dieweil lief Eulenspiegel behend und schnell von dem Turm, kam über des Grafen Tisch und nahm sich von den Tafeln Gesottenes und Gebratenes und was ihm sonst gefiel; dann ging er schnell wieder auf den Turm. Als die Reiter und das Fußvolk hinauskamen, sahen sie keine Feinde und sprachen miteinander. »Der Türmer hat das aus Schalkheit getan« und zogen wieder heim, dem Tore zu.
Der Graf rief zu Eulenspiegel hinauf: »Bist du unsinnig und toll geworden?« Eulenspiegel sprach: »Ich bin ohne Arglist. Aber Hunger und Not erdenken manche List.« Der Graf sagte: »Warum hast du ›Feindio‹ geblasen, obwohl keiner da war?« Eulenspiegel antwortete: »Weil keine Feinde da waren, mußte ich etliche heranblasen.« Da sprach der Graf: »Du krauest dich mit Schalksnägeln. Wenn Feinde da sind, willst du sie nicht anblasen, und wenn keine Feinde da sind, so bläst du sie an. Das könnte wohl Verräterei werden!« Und er setzte ihn ab und dingte an seiner Statt einen anderen Turmbläser. Eulenspiegel mußte nun als Fußknecht mit den anderen herauslaufen. Das verdroß ihn sehr, und er wäre gern von dannen gegangen, konnte aber mit Anstand nicht ohne weiteres davonkommen. Wenn sie gegen die Feinde auszogen, so blieb er stets zurück und war immer der letzte zum Tore hinaus. Wenn sie den Streit beendet hatten und wieder heimkehrten, war er immer der erste zum Tore hinein. Da fragte ihn der Graf, wie er das verstehen sollte: wenn er mit ihm gegen die Feinde auszöge, so sei er stets der letzte, und wenn man heimzöge, sei er der erste. Eulenspiegel sprach: »Ihr solltet mir darüber nicht zürnen. Denn wenn Ihr und Euer Hofgesinde schon aßet, saß ich auf dem Turm und hungerte; davon bin ich kraftlos geworden. Soll ich nun der erste an den Feinden sein, so müßte ich die Zeit wieder einholen und besonders eilen, dass ich auch der erste an der Tafel und der letzte beim Aufstehen sei, damit ich wieder stark werde. Dann will ich wohl der erste und der letzte an den Feinden sein.«
»So höre ich wohl« sprach der Graf, » dass du es nur so lange bei mir aushalten wolltest, als du auf dem Turme saßest?« Da sagte Eulenspiegel: »Was jedermanns Recht ist, das nimmt man ihm gern.« Und der Graf sprach: »Du sollst nicht länger mein Knecht sein«, und gab ihm den Laufpaß. Darüber war Eulenspiegel froh, denn er hatte nicht viel Lust, jeden Tag mit den Feinden zu fechten.
22. Historie
Die 22. Historie sagt, wie Eulenspiegel ein Brillenmacher wurde und in allen Landen keine Arbeit bekommen konnte.
Zornig und zwieträchtig waren die Kurfürsten untereinander, so dass kein römischer Kaiser oder König gewählt wurde. Endlich wurde der Graf von Supplinburg von allen Kurfürsten zum römischen König gekoren. Es waren aber auch andere da, die meinten, sie könnten mit Gewalt in das Reich eindringen. So mußte sich der neu gekorene König sechs Monate vor Frankfurt legen und warten, ob ihn jemand von dort hinwegschlüge.
Als er nun soviel Volk zu Roß und Fuß beieinander hatte, überlegte Eulenspiegel, was es für ihn da zu tun gäbe: Dahin kommen viele fremde Herren, die lassen mich nicht unbeschenkt; werde ich in den Kreis ihres Gefolges aufgenommen, so stehe ich mich gut. Und er machte sich auf den Weg dorthin.
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