Steigs Augen glänzten. Jens schaute fragend. Er wollte sich nach dem Standort oder der konkreten Lage der Mine erkundigen.
„Also Jens, Sie sind ein wichtiger Leitender Angestellter in meiner Firma. Wenn Sie die Information, die ich Ihnen jetzt gebe, weitergeben sollten, sind Sie nicht mehr mein Mann. Und ich halte mein Wort. Ich gehe davon aus, dass die Versorgung mit Seltenen Erden in den nächsten Jahren nicht einfacher werden wird. Die Beschaffungsseite sieht zurzeit nicht besonders gut aus. Da gibt es eine untypische Wettbewerbssituation. Dagegen habe ich vorgebeugt. McCartinson und ich haben einen letter of intent auf ein Schürfungsgebiet in Kanada. Wir werden einen eigenen Zugang zu den Rohstoffen haben.“
Jens nickte anerkennend:
„Das nenne ich Voraussicht!“
Steig dachte an die letzte Nachricht von Li Mei, schaute an die Decke des Raumes und gab sich nur eine kleine Pause.
„Das bedeutet, dass seine Firma unter Berücksichtigung dieser Verbindung in der Rohstoffbeschaffung auch in Zukunft unsere Geräte kaufen wird, falls die erste Sendung zufriedenstellend ausfällt. Vielleicht gibt es die Chance für exklusive zusätzliche Anwendungen. Aber reden wir erst einmal vom ersten ausstehenden Auftrag. Das wäre alleine schon ein Volumen von - warten Sie mal…“
Er schloss für einen Moment die Augen.
„…noch in diesem Jahr zwanzig Komma sechs Millionen Dollar. Und das bei guten Deckungsbeiträgen. Was sagen Sie dazu?“
Jens war auf diese Frage nicht gefasst. Er fand es nicht angebracht, ein Lob zu äußern, sondern setzte diesen Betrag ins Verhältnis zum Jahresumsatz des Vorjahres.
„Das sind ja über drei Prozent vom Gesamtumsatz eines Jahres! Zusätzlich! Und das im ersten Jahr mit einem neuen Kunden!“
Steig streckte sich, und verlieh damit seiner gesteigerten Freude Ausdruck. Er nahm wieder eine normale Sitzhaltung ein, warf einen Blick auf die auf seinem Schreibtisch liegende Umsatzstatistik, nickte Jens zustimmend zu und erklärte:
„Es fehlen nur noch ein paar formelle Überprüfungen, ob die Geräte auch die gewünschten Anforderungsprofile und Spezifikationen der amerikanischen Behörden erfüllen. Die dazu nötigen Testreihen werden in Frankreich durchgeführt. In Lille. Dort hat McCartinson eine kleine Tochtergesellschaft, die SudMet Sarl. Aber da sehe ich kein Problem.“
Steig war ein Zupacker. Er wollte den Erfolg. Sein Gesicht zeigte Willen.
Frau Essig trat in den Raum ohne anzuklopfen.
„Wie wäre es mit einem Kaffee, die Herren?“, fiel ihre Stimme direkt hinter dem kein Problem ein.
„Ja, und vielleicht ausnahmsweise einen kleinen Cognac?“, schloss sich Steig ihrer Frage an. Jens lehnte Cognac am Vormittag ab. Er trank nie Alkohol im Büro. Er beantwortete stattdessen höflich Essigs Frage nach den Kaffeezutaten. Nur Zucker. Kaffee schwarz, wie meine Seele. Das Lächeln von Essig fiel sparsam aus. Bei dieser Gelegenheit studierte Essig durch ihre Goldrandbrille seine Augen. Jens ließ seinen Blick kurz an ihr herunter gleiten und gewann den Eindruck, dass sie es verstand, sich sorgfältig und geschmackvoll zu kleiden. Er wusste immer noch nicht, wofür das K. ihres Vornamens stand.
Für eine weitere Viertelstunde nistete sich Paul McCartinson in dem Raum ein. Steig ging etwas von seiner Art, die Dinge direkt zuzupacken, ab und erging sich in einem amerikanisch orientierten Ausflug. Hierbei erkannte Jens seine Sehnsucht, der Erste aus der Branche der Messtechnik zu sein, der eine neue digitale Generation von Messgeräten in die USA verkaufen würde. Steig wollte unbedingt Pionier auf diesem Gebiet sein. Dieses Geschäft sollte auf jeden Fall gelingen. Dann würde er es geschafft haben. Die Konkurrenz aus der Bahn geworfen, gesiegt. Einer der Konkurrenten, er würde ihn von den Anfängen her kennen, habe ihm schon immer den Rang ablaufen wollen. Aber nichts da. Steig war stolz.
„Ein großer Markt, ein großer Schritt. Das macht mir Freude und ich bitte Sie, dafür zu sorgen, dass die französische Tochtergesellschaft von McCartinson die notwendigen Geräte zum Test erhält. Sorgen Sie dafür, dass die notwendige Geheimhaltung und Sicherheit gewährleistet wird. Sie werden das Projekt persönlich begleiten.“
„Danke, das werde ich gerne übernehmen.“
„Und berichten!“
„Natürlich!“
„Zuletzt noch einen Punkt: Gestern erhielt ich einen ersten Anruf wegen einer Reklamation. Ausgerechnet wegen der Geräte aus der Null-Serie. Ich habe Doering gebeten, sich darum zu kümmern. Aber Sie sollten bitte ein Auge darauf haben und über den Vorfall berichten. Als Sie in mein Büro kamen, hatte ich den nächsten Reklamationsanruf. Da kann irgendetwas nicht stimmen. Sie kümmern sich bitte darum!“
Auf den fragenden Blick von Jens fügte er hinzu:
"Kontrolle ist besser als... Sie wissen schon und ein Führungsinstrument."
Als Jens das Büro verließ, blätterte Frau Essig gerade in den Lokalnachrichten der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung und sprach Jens an:
„Stellen Sie sich vor, da ist ein Mann in Alfeld tot aufgefunden worden. Man vermutet Mord. Die Polizei ermittelt. Es gibt keinen Täter und kein Motiv. Und so was vor den Toren unserer Stadt! Ich bin richtig aufgeregt.“
Jens hörte zu.
„Es gibt eben doch viele Übel auf dieser Welt.“
Maria Fels las den ersten Bericht der Pathologie. Nachdem der Gesundheitszustand des Toten aus Polen keinen Anlass dazu gab, ein zu frühes natürliches Ableben anzunehmen, war von Fremdeinwirkung auszugehen. Jedoch waren alle gemeinhin bekannten Arten von Fremdeinwirkung auszuschließen. Es gab überhaupt keine Spuren, die auf eine Wirkung von außen schließen lassen würden. Damit kam Fels zu der Schlussfolgerung, dass es sich hier um eine Tötung handeln musste, die entweder durch ein flüchtiges Gift, einen plötzlichen extremen Schock oder eine spezielle Kampfsportart ausgelöst worden war. Details könnten erst nach einer weiteren aufwändigen Untersuchung herausgefunden werden. Auf jeden Fall musste von einer Fremdeinwirkung ausgegangen werden.
Kokishin. Unter diesem Stichwort fand Fels Hinweise auf Kampfsportarten, die so gefährlich sind, dass sie tödlich sein können und keine Spuren hinterlassen. Auf dem Gelände wurden ja zwei Personen gesehen. Die zweite Person könnte ja diejenige gewesen sein, die dem Mitarbeiter der polnischen Bank das Leben genommen hatte. Was für ein Motiv steckte dahinter? Ich werde das nicht ohne weiteres herausfinden. Also werde ich diesen Herrn Kuczynski ansprechen müssen. Vielleicht bringt das Licht in den Hintergrund.
Die Suche nach Herrn Kuczynski war deswegen nicht besonders schwierig, weil die polnische Bank die dazu notwendigen Informationen ohne Verzug bereitstellte. Fels rief Kuczynski an. Er war sehr freundlich und erklärte sich ohne Umschweife bereit, zu helfen. Er bat nur darum, das notwendige Treffen zunächst nicht in die Firma Steig zu legen.
Man verabredete sich zu einer Zusammenkunft in einem Lokal in der Nähe des Hauptbahnhofs Hannover. Kuczynski war pünktlich. Fels sollte ihn an der mitgebrachten Broschüre der Steig AG erkennen. Er stand auf und begrüßte sie. Fels empfand seinen Händedruck als ehrlich. Sie warf einen Blick auf die auf dem Tisch liegende Broschüre und nahm am Tisch gegenüber Kuczynski Platz.
„Herr Kuczynski, ich will gleich zu dem Grund unserer Verabredung kommen. Ihren Namen und den der Firma haben wir erhalten, weil wir einen Bankvertreter einer polnischen Bank gefunden haben, der einen Hinweis auf Ihre Person bei sich trug.“
„Darf ich Sie auf ein Getränk einladen?“
„Danke, ja das ist sehr freundlich. Können Sie zu dieser Sache etwas sagen?“
„Wenn es sich um die Beteiligung an der Steig AG handelt, kann ich das. Es ist ein paar Wochen her, dass ich mit der polnischen Bank Verbindung aufgenommen habe. Unsere Firma, also die Steig AG, hat eine erfolgreiche Entwicklung vor sich. Das hat mit aktuellen bis jetzt weltweit einmaligen Innovationen zu tun. Darüber darf ich aber nichts sagen.“
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