15.
Maximus überzeugte mich von der Pflicht der Menschen, sich selbst zu beherrschen, sich durch nichts vom rechten Wege abbringen zu lassen, unter allen Umständen und namentlich in Krankheiten guten Mutes zu bleiben, einen aus Milde und Würde gemischten Charakter sich anzueignen und ohne Murren die vorliegenden Geschäfte zu besorgen. Von ihm selbst glaubte jedermann, er rede, wie er denke, und tue nichts von dem, was er tue, in schlimmer Absicht. Nie ließ er sich von Bewunderung oder Staunen hinreißen, nirgends zeigte er Übereilung oder Saumseligkeit, nie war er ratlos, niedergeschlagen, scheinbar freundlich und wiederum zornig oder argwöhnisch. Wohltätig, versöhnlich, ein Feind der Lüge, gewährte er mehr das Bild eines geraden Mannes, denn das eines Menschen, der an sich nachbessert. Nie glaubte jemand, von ihm verachtet zu sein, und wagte es ebenso wenig, sich über ihn zu erheben. Endlich beobachtete er beim Scherze jederzeit den Anstand.
16.
Das Leben meines Vaters war für mich eine Schule der Milde und doch zugleich auch unerschütterlicher Beständigkeit in allem, wofür er sich einmal nach reiflicher Erwägung entschieden hatte. Er war unempfindlich gegen jede Eitelkeit auf anscheinende Ehrenbezeigungen, ein Freund der Tätigkeit und unverdrossen darin, hörte gern gemeinnützige Vorschläge anderer an, ließ sich durch nichts abhalten, jeden nach Verdienst zu behandeln, wusste recht wohl, wo man die Zügel anziehen und wo nachlassen müsse. Von der Knabenliebe entwöhnt, hatte er nur noch Sinn fürs Gemeinwohl; seinen Freunden erließ er den Zwang, immer mit ihm zu speisen oder auf seinen Reisen ihn stets zu begleiten; diejenigen aber, welche dringender Umstände wegen hatten zurückbleiben müssen, fanden ihn bei seiner Rückkehr gleichgestimmt. In seinen Erwägungen prüfte er zuerst gründlich, bestand aber dann auch auf ihrer Ausführung; auch trat er nie vor der Zeit von der Untersuchung zurück, noch begnügte er sich mit den ersten besten Einfällen. Seine Freunde suchte er sich zu erhalten und wurde ihrer weder überdrüssig noch war er unvernünftig für sie eingenommen. In jeder Lage zufrieden, war er stets heiter; auf die Zukunft nahm er von ferne schon Bedacht und machte ohne viel Aufhebens sich auf die geringsten Vorfälle gefaßt. Alles Zujauchzen und jede Schmeichelei wies er zurück. Auf die Staatsbedürfnisse war er jederzeit wachsam und haushälterisch beim Ausgeben öffentlicher Gelder und ließ den Tadel solcher Grundsätze willig über sich ergehen. Um die Gunst der Götter buhlte er ebenso wenig auf abergläubische Weise, als um die Gunst der Menschen durch Künste der Gefallsucht oder durch Begünstigung des Pöbels; vielmehr war er in allem nüchtern und fest, nirgends unanständig, noch neuerungslustig. Die Güter, welche zur Erheiterung des Lebens etwas beitragen und die ihm das Glück in Fülle darbot, benutzte er ebenso fern von Übermut als von Ausflüchten und genoss daher das Vorhandene ebenso ungesucht, als er das Fehlende nicht vermisste. Niemand konnte von ihm sagen, er sei ein Sophist oder ein Schwätzer nach der Art und Weise der Haussklaven oder ein Schulpedant; vielmehr mußte jeder zugestehen, er sei ein Mann von reifem Verstand und großer Vollkommenheit, erhaben über Schmeichelei und gleich geschickt, eigene wie fremde Angelegenheiten zu besorgen. Zudem wusste er den Wert wahrer Freunde der Weisheit zu schätzen, ohne die anderen herabzusetzen oder sich von ihnen verleiten zu lassen. Dabei war er umgänglich und liebte den Scherz, jedoch ohne Übertreibung. So pflegte er auch seines Leibes mit Maßen, nicht wie ein Mensch von zu großer Lebenslust, um ihn herauszuputzen, aber ebenso wenig vernachlässigte er denselben, weshalb er bei der ihm eigentümlichen Aufmerksamkeit der Heilkunst mit ihren inneren und äußeren Mitteln sehr selten bedurfte. Insbesondere aber ist an ihm das zu rühmen, daß er Männern, welche in etwas eine vorzügliche Stärke besaßen, wie in der Beredsamkeit, der aus Forschung stammenden Gesetzeskunde, der Sittenlehre oder in anderen Fächern, ohne Neid den Vorrang einräumte und ihnen sogar dazu behilflich war, daß jeder nach dem Maße seiner besonderen Geschicklichkeit Anerkennung finde. Obgleich er ferner alles gemäß den Einrichtungen der Vorfahren behandelte, so vermied er doch selbst den Schein der Anhänglichkeit an dieselben. Überdies hielt er sich fern von Wankelmut und Unbeständigkeit und verweilte gern an denselben Orten und bei denselben Geschäften, kehrte auch nach den heftigsten Anfällen von Kopfschmerzen mit verjüngter Jugendkraft bald wieder zu seinen gewohnten Arbeiten zurück. Nie hatte er viele Geheimnisse, im Gegenteil sehr wenige und sehr selten, und diese betrafen nur das Gemeinwohl. Bei Veranstaltung öffentlicher Spiele, Aufführung von Gebäuden, Austeilung von Spenden und anderem derart zeigte er sich verständig und gemäßigt und als ein Mann, der bei seinem Tun allein die Pflicht, nicht aber den durch Handlungen zu gewinnenden Ruhm im Auge hatte. Er badete nie zur Unzeit, war auch nicht baulustig und ebenso wenig auf Leckerbissen, auf Gewebe und Farbe seiner Kleider, als auf Schönheit seiner Sklaven bedacht. Meistens trug er eine Toga von der untern Villa zu Lorium und ein Unterkleid in Lanuvium und nicht ohne sich zu entschuldigen einen Oberrock in Tusculum; und so war sein ganzes Benehmen. Nichts Unfreundliches, noch auch Ungeziemendes, Ungestümes, noch etwas derart war an ihm zu entdecken, wovon man nach dem Sprichwort hätte sagen können: »Es war vom Übermaß«, sondern alles wohl und gleichsam bei guter Muße überlegt, unerschütterlich geordnet, fest und mit sich selbst übereinstimmend. Und so konnte man denn auf ihn anwenden, was von Sokrates gemeldet wird, daß er Dinge zu entbehren und zu genießen gewußt habe, bei deren Entbehrung sich viele schwach und bei deren Genuß sie sich unmäßig verhalten. Dort aber mutig zu ertragen, hier nüchtern zu bleiben, verrät einen Mann von vollendeter und unbesiegbarer Geistesstärke, und in diesem Lichte zeigte er sich während der Krankheit des Maximus.
17.
Den Göttern verdanke ich es, daß ich rechtschaffene Großväter, rechtschaffene Eltern, eine rechtschaffene Schwester, rechtschaffene Lehrer, rechtschaffene Hausgenossen, Verwandte, Freunde, ja fast durchaus rechtschaffene Menschen um mich gehabt habe, aber auch das, daß ich gegen keinen derselben zu einem Fehltritt durch Übereilung mich verleiten ließ, obgleich ich hierzu die Anlage in mir trug, vermöge der ich bei gegebenem Anlass etwas derart hätte tun können. Doch die Huld der Götter verhütete das Zusammentreffen von Umständen, wodurch ich überwältigt worden wäre. Denselben verdanke ich es, daß ich bei der Beischläferin meines Großvaters nicht noch länger auferzogen ward; daß ich meine Jugendunschuld bewahrte; daß ich nicht vor der Zeit meine Manneskraft verschwendete, sondern sie sogar über die Zeit hinaus aufsparte; daß ich einem Herrn und Vater untergeordnet war, der jeden Keim des Übermutes in mir vertilgen und mich zu der Überzeugung erheben konnte, daß man, ohne Leibwächter, Feiergewänder, Fackeln und Statuen und andern Aufwand derart zu bedürfen, am Hofe leben und sich beinahe wie ein Privatmann einschränken könne, ohne deshalb der Würde und dem Ernste in Erfüllung seiner Herrscherpflichten gegen das Gemeinwesen etwas zu vergeben. Den Göttern verdanke ich es auch, daß mir ein Bruder beschieden ward, der durch sein sittliches Benehmen mich zur Sorgfalt für mein Inneres aufmunterte und zugleich durch seine Achtung und Zuneigung mich erfreute; daß mir Kinder geboren wurden, welche geistig nicht unbegabt, körperlich nicht verkrüppelt waren; daß ich in der Rede- und Dichtkunst und in den anderen Wissenschaften keine größeren Fortschritte machte, die mich bei der Wahrnehmung eines glücklichen Fortschreitens vielleicht zu sehr gefesselt haben würden; daß ich unverweilt meine Erzieher zu den Ehrenstellen, welche sie gerade mir zu wünschen schienen, erhoben habe, ohne sie mit der Hoffnung hinzuhalten, ich werde das, weil sie für solche noch zu jung seien, erst in der Folgezeit tun. Auch dafür sei ihnen Dank, daß ich den Apollonius, Rusticus, Maximus kennen lernte; daß ich mich über die Art und Weise eines naturgemäßen Lebens lebhaft und oft in Gedanken beschäftigte; daß von Seiten der Götter und der von dorther stammenden Gaben, Hilfsleistungen, Rührungen nichts mich hinderte, alsbald der Natur gemäß zu leben, wenn ich nicht durch eigene Schuld und durch Nichtbefolgung der göttlichen Mahnungen und fast möchte ich sagen Offenbarungen darin zurückbleiben wollte; daß mein Körper bei einer solchen Lebensweise so lange ausdauerte; daß ich weder die Benedicta, noch den Theodotus berührt habe und auch von meinen späteren Liebesfiebern genesen bin; daß ich, obgleich oft ungehalten auf Rusticus, mir doch nichts weiter erlaubt habe, was ich jetzt bereuen müßte; daß meine Mutter, die so jung sterben sollte, doch noch in ihren letzten Jahren mit mir zusammen wohnen durfte; daß, so oft ich einen Armen oder sonst einen Hilfsbedürftigen unterstützen wollte, ich nie hören mußte, meine Geldmittel gestatteten eine solche Unterstützung nicht, und daß ich selbst nie in die drückende Lage geriet, um von einem anderen etwas annehmen zu müssen. Den Göttern verdanke ich den Besitz einer Gemahlin, die so lenksam, so zärtlich liebend, so einfach ist, den Reichtum an geeigneten Erziehern für meine Kinder, die Eingebung von Heilmitteln in Träumen, unter anderem wider das Blutspeien und den Schwindel und namentlich von dem Mittel zu Cajeta, wie durch ein Orakel; daß ich endlich bei meiner Neigung zur Philosophie keinem Sophisten in die Hände fiel, auch nicht mit Lesen von Schriften, Auflösung von Trugschlüssen, Untersuchungen über die Gestirnwelt ein müßiges Leben führte. Ja, zu diesem allem bedurfte es des Beistandes der Götter und des Glückes.
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