MARC AUREL
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Erstes Buch
Zweites Buch
Drittes Buch
Viertes Buch
Fünftes Buch
Sechstes Buch
Siebentes Buch
Achtes Buch
Neuntes Buch
Zehntes Buch
Elftes Buch
Zwölftes Buch
Impressum
Der Philosoph auf dem Kaiserthron gehört zu den bedeutendsten Männern des ausklingenden Altertums. Marcus Annius Verus wurde den 25. April des Jahres 121 n. Chr. Geb. zu Rom geboren wo seine Familie, seit der Urgroßvater aus Spanien eingewandert war, sich zu hohem Rang emporgearbeitet hatte. Sorgfältige Erziehung, gepaart mit großer Lernbegierde, erschlossen ihm die Wissenschaft seines Jahrhunderts, die in der Philosophie den höchsten, in unserem Sinn sogar den einzigen Ausdruck fand. Schon im zwölften Jahr nahm der kräftig aufblühende Jüngling den weißen Mantel und bekundete dadurch, daß er auch äußerlich zur Kaste der Philosophen gehören wolle.
Streng und ernst gab sich die Weltweisheit des zweiten Jahrhunderts. Entbehrungen, oft bis zum Übermaß gesteigert, wie sie später zur typischen Eigenschaft christlicher Asketen wurden, verlangten die Anhänger der Stoa und sahen in der Abkehr von allen Interessen, Zerstreuungen wie Freuden der Welt die einzig richtige Stellungnahme eines Weisen den vergänglichen Dingen gegenüber.
Zurückgezogen von seinen Altersgenossen, vielleicht ein wenig ostentativ in den weißen Mantel gehüllt, mit den Stoikern Rusticus, Apollonius, Claudius Maximus in anregend erzieherischem Gespräch, wandelte der Jüngling durch die stillen abgelegenen Gärten einer Villa, bis zu deren Mauern der Lärm der römischen Weltstadt brandete. Auf Bitten seiner Mutter, die mit Bangen bemerkte, daß ihr Sohn unter der Last selbstauferlegter Entbehrungen blasser und schmächtiger wurde, stellte er seinen Lebenswandel auf gesündere Basis und gesellte den geistigen Exerzitien nützliche, körperliche Übungen. Die Herrschaft des gesunden Menschenverstandes, die in den Taten und Schriften des späteren Kaisers so glücklich zum Ausdruck kommt, beginnt schon in den Jünglingsjahren, sobald der einseitige Einfluß allzu strenger stoischer Lebensanschauung gemäßigt erscheint. Den Anhängern der Stoa treten als Lehrer zur Seite Claudius Severus, der Peripatetiker und der Platoniker Sextus aus Chaeronea, ein Enkel Plutarchs. Epiktets nachgelassene, von Arrhianos gesammelte Schriften prägen sich der eindrucksfähigen jungen Seele ein und wirken bestimmend auf die ethische Entwicklung des still für sich Heranwachsenden.
Kaiser Hadrian fand Gefallen an dem ernsten, außerordentlich wahrhaften Philosophenschüler und veranlaßte im Jahr 136 dessen Verlobung mit der Tochter seines Mitregenten Verus. Als Folge dieser Verlobung ist dann die Adoptierung seitens Antoninus (eines Sohnes des Verus) zu betrachten, der selbst von Hadrian an Kindes Statt angenommen und zum Thronfolger ernannt war. Unter dem Namen Marcus Aelius Aurelius Verus trat der junge Denker aus der Verborgenheit auf den Schauplatz der großen Welt.
Sein Biograph berichtet, daß er nur ungern sein beschauliches Leben verlassen und einen Palast in der Stadt auf Hadrians Befehl bezogen habe. Doch im Treiben des Hofes, im bewegten politischen Frage- und Antwortspiel, auf dem Forum vor Gericht, bei den Mühen kriegerischer Unternehmungen wuchs und reifte erst die philosophische Saat des herben jugendlichen Frühlings zu reicher Ernte. Als Kaiser Hadrian am 10. Juli 138 zu Bajä starb, bestieg Antonin den Thron und berief sofort Marc Aurel an seine Seite, ihn in alle Geheimnisse der Regierungskunst einzuweihen. Die frühere Verlobung wurde aufgehoben und die Vermählung mit Faustina, der Kaisertochter, gefeiert. Nun war im römischen Reich jene Zeit angebrochen, die Platos Ideal vom Staate nach einer Richtung hin zu erfüllen schien. Zwei Philosophen herrschten gemeinsam, von edelster, einzig dastehender Freundschaft getragen und förderten während dreiundzwanzig friedlicher Jahre Wohlstand und Kultur in bemerkenswerter Weise. Gut bedachte soziale Maßregeln glichen manche Härten aus, es wurde für vornehm gehalten, gebildet, ja gelehrt zu sein und edle Duldsamkeit herrschte in den Fragen des Glaubens, soweit sie nur den Glauben, nicht aber die politische Betätigung betrafen.
Der gekrönte Apostel der Menschenliebe — wie Stuart Mill den Kaiser Marc Aurel genannt hat — hoffte nach dem Tod Antonins (im März 161) die friedliche, sonnige Zeit der Philosophenherrschaft weiter zu führen und sein Ideal eines Herrschers in sozialer Fürsorge zu verwirklichen. Aber das Schicksal, das ihm einen herrlichen Lebenssommer gewährt, gab ihm einen desto stürmischeren Herbst. Hungersnot und Pest suchten Rom und die römischen Provinzen heim, schwere Kriege mit den Parthern und Markomanen brachen aus, Aufstände wie derjenige in Ägypten vom Jahr 170 bildeten drohende Gefahren für das Reich. Dies alles lenkte von wohltätiger Friedensarbeit ab und zwang die Arbeit des Philosophenkaisers auf andere, ihm innerlich fremde Bahnen. Dazu kamen harte Mißstimmungen in der eigenen Familie. Faustinas üppiges, man sagt sogar ausschweifendes Leben stand in grellem Gegensatz zu Marc Aurels anspruchsloser Einfachheit und die ungerechten, oft auf willkürlicher Anmaßung beruhenden Handlungen seines Sohnes Kommodus führten zu schlimmen Befürchtungen in bezug auf die Zukunft des Reiches.
Stunden der Sorge und der stillen Einkehr im Feldlager oder im kaiserlichen Palast waren es, in denen der alternde Herrscher seine Gedanken niederschrieb zum eigenen Trost. Milde Gesinnung, strenge Gewissenhaftigkeit und Pflichttreue sind das Zeichen seiner Sinnesweise und haben die “Selbstbetrachtungen” zu einem Denkmal edler Menschlichkeit gemacht, das nie veraltet, weil es ein Bekenntnis ohne Pose, ohne zeitlich beschränkten Zweck und ohne Darstellung vergänglicher äußerer Tatsachen ist.
Die Handschriften, der Mode entsprechend in griechischer Sprache abgefaßt, trugen den Titel “[Greek: chatheauton],” was später mit “Selbstbetrachtungen” wiedergegeben wurde. Nach hartem Tagewerk des Abends beim Schein der unruhig flackernden Öllampen verfaßt, bald im Lager an der Donau bei Carnunt, bald nach lebhaften, ermüdenden Senatssitzungen in Rom, sind Marc Aurels Aphorismen aus der Quelle des wirklichen Lebens geflossen. Starke Taten des Geistes verkünden sie und sind Worte eines hohen Herzens.
Ihr Ursprung läßt sich nicht verkennen. Als Tagebuch einer gesunden Seele, die stark und fest die Krankheiten des Körpers und die Schläge des Schicksals von sich abweist, geben sie Kraft und Frieden. Kurz und scharf, klar gefaßt und manchmal aufleuchtend wie ein Edelstein zeigen sie Ruhe des Herzens und Begeisterungsfähigkeit, Vernunft und aufrichtige Liebe für alles Tüchtige. “Sie offenbaren” — wie Hippolyte Taine sich ausdrückt — “die Seele eines großen Dichters, der sich bezwingt, die Augen vom Herrlichen gebannt und im Flüsterton voll Bewunderung sich selber sagt: ´Mensch, als Bürger dieser großen Stadt hast du gelebt; fünf oder drei Jahre, was ficht´s dich an!´”
Die Auffassung des Kaisers über den Wert des Lebens steht der des freigelassenen Sklaven Epiktet sehr nahe. Beiden liegen am innigsten jene Lehren der Stoa am Herzen, die sich mit sittlichen und religiösen Fragen beschäftigen. Nicht darauf kommt es dem Kaiser an, daß man möglichst viel Wissen anhäufe, sondern daß man mit dem Gott in der eigenen Brust sich verständige und ihm in Lauterkeit diene. Die Philosophie soll in stetem Wechsel der Ereignisse, im Wandel von Glück und Unglück, vergänglichen Sorgen und vergänglichen Freuden einen festen Halt bieten und ein Panzer sein gegen die Eitelkeiten der Welt. Ihre Aufgabe ist also die Bildung des Charakters und die Beruhigung des Gemüts. Sie erfüllt diese beiden Bedingungen, wenn ihre Anhänger die drei wichtigsten Punkte des stoischen Systems nie außer Augen lassen: die Lehre vom steten Wechsel, dem Dahinfließen aller Dinge, dann das Bewußtsein der Hinfälligkeit des Daseins und schließlich die Erkenntnis, daß Werden und Vergehen einen Kreislauf bilden, in dem ein Einzelnes nicht Bestand haben kann.
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