»Und ich sage nochmals, es ist ein Segen, daß ich Euch an Land begleitete.«
»Meint Ihr, ich hätte die ganze Zeit an etwas anderes denken können?« entgegnete sie und lehnte sich, wie mich dünkte, etwas stärker auf meinen Arm. »Ihr seid mir ein treuer Freund.«
Dreiundzwanzigstes Kapitel Wanderungen durch Holland
Der Postwagen, ein langes Gefährt mit Reihen von Bänken, brachte uns in vier Stunden nach der großen Stadt Rotterdam. Es war inzwischen längst dunkel geworden, aber die Straßen waren ziemlich hell erleuchtet und gedrängt voll wilder, fremdländischer Gestalten – bärtiger Hebräer, Neger und Scharen von Kurtisanen, die äußerst unanständig aufgeputzt waren und Seeleute am Ärmel festhielten. Das Schreien und Reden dröhnte uns in den Ohren, und, was das Erstaunliche von allem war: all diese Ausländer schienen auf uns ebensowenig Eindruck zu machen, wie wir auf sie. Um des Mädchens willen hatte ich das zuversichtlichste Gesicht von der Welt aufgesetzt; in Wahrheit jedoch kam ich mir wie ein verirrtes Schäfchen vor, und das Herz klopfte mir vor lauter Sorge. Ein-, zweimal erkundigte ich mich am Hafen nach dem Ankerplatz der »Rose«; allein ich geriet entweder an jemanden, der nur Holländisch sprach, oder mein eigenes Französisch versagte. Als ich auf gut Glück in eine Straße einbog, stieß ich auf eine Flucht erleuchteter Häuser, deren Türen und Fenster voll geschminkter, zweifelhafter Weiber waren; sie drängten und stießen uns im Vorübergehen, und ich war froh, daß wir ihre Sprache nicht verstanden. Bald danach kamen wir auf einen freien Platz am Hafen.
»Jetzt sind wir endlich am Ziel!« rief ich, als ich die Masten gewahrte. »Wir wollen hier am Hafen auf und ab spazieren. Da werden wir sicherlich bald jemanden treffen, der Englisch spricht; ja, wenn wir Glück haben, finden wir unser Schiff.«
Der Zufall wollte es, daß sich das Nächstbeste ereignete. Wem liefen wir so um neun Uhr abends in die Arme? Niemandem anderen als Kapitän Sang! Er berichtete, sie hätten die Fahrt in unglaublich kurzer Zeit zurückgelegt, da der kräftige Wind sie bis zu dem Hafen geleitet hätte; dadurch wäre es sämtlichen Passagieren noch möglich gewesen, sich auf die Weiterreise zu begeben. Wir konnten aber unmöglich den Gebbies bis nach Süddeutschland nachjagen und hatten hier keinen Bekannten, an den wir uns halten konnten, außer Kapitän Sang. Um so froher waren wir, als dieser sich sehr freundlich und hilfsbereit zeigte. Er erklärte, es wäre eine Kleinigkeit, eine einfache und anständige Kaufmannsfamilie zu finden, bei der Catriona bis zur Neuladung der »Rose« wohnen könnte, und daß er Fräulein Drummond mit Freuden umsonst nach Leith zurückbringen und wohlbehalten Mr. Gregory abliefern würde. Inzwischen führte er uns in eine Nachtkneipe, um uns zu einer Mahlzeit zu verhelfen, derer wir beide sehr bedürftig waren. Wie gesagt, er schien sehr freundlich und hilfsbereit, zu meiner Überraschung jedoch auch etwas ausgelassen, und der Grund hierfür wurde bald offenbar. In der Gaststätte bestellte er sofort Rheinwein, den er in reichlichen Mengen hinunterspülte, und wurde bald grenzenlos betrunken. Dabei verließ ihn, wie das bei vielen Männern, vornehmlich aber bei Männern seines rauhen Handwerks, nur allzu häufig der Fall ist, auch der letzte Rest von Manieren. Sein Benehmen der jungen Dame gegenüber war skandalös; er scherzte in der unflätigsten Weise über das Bild, das sie abgegeben hätte, als sie auf der Schiffsreeling stand, und mir blieb daher nichts übrig, als mich heimlich mit ihr zu entfernen. Als wir das Speisehaus verließen, klammerte sie sich krampfhaft an meinen Arm. »Führt mich fort von hier, David«, sagte sie. »Laßt mich bei Euch sein. Vor Euch habe ich keine Angst.« »Und habt dazu auch keine Ursache, meine kleine Freundin!« rief ich laut, im Stillen jedoch hätte ich weinen können. »Wo wollt Ihr mich jetzt hinführen?« forschte sie weiter. »Was Ihr auch tut, verlaßt mich nicht, verlaßt mich bitte nie.« »Ja, wo soll ich Euch hinführen?« wiederholte ich und hielt im Gehen inne – bislang war ich blind drauflos marschiert. »Ich muß ein Weilchen stehenbleiben und nachdenken. Ich werde Euch nie verlassen, Catriona; der Herrgott tue mir das Gleiche, ja, strafe mich noch härter, wenn ich Euch im Stich lasse oder kränke.« Als Antwort preßte sie sich noch enger an mich.
»Hier«, sagte ich, »ist der stillste Platz, den wir in dieser lauten, geschäftigen Stadt gefunden haben. Wir wollen uns unter jenem Baume niederlassen und unsere Lage bedenken.«
Der Baum (den ich so bald nicht vergessen werde) stand dicht am Hafenrand. Die Nacht war dunkel, aber in den Häusern und auf den schweigenden Schiffen in unserer Nähe brannte noch Licht; uns zur Rechten schimmerte der Lichterglanz der Stadt, und über ihr schwebte das Summen vieler Tausender von in Bewegung und im Gespräch befindlichen Menschen; zur Linken lag Dunkelheit und das glucksende Wasser. Ich breitete meinen Mantel über einen Stein und hieß Catriona sich niedersetzen; sie wollte sich auch weiterhin an mich klammern, so heftig zitterten die Beleidigungen in ihr nach, aber mir lag daran, meine Gedanken zu ordnen; daher machte ich mich von ihr los und vollführte vor ihr einen Schmugglermarsch, wie wir es nennen – immer auf und ab gehend und mir den Kopf nach einem Ausweg zerbrechend. Während ich hin und her überlegte, fiel mir ein, daß ich in der Eile und Hast unseres Aufbruchs es Kapitän Sang überlassen hatte, für uns die Zeche zu bezahlen. Ich mußte laut auflachen; meiner Meinung nach geschah es dem Manne ganz recht; gleichzeitig fuhr ich instinktiv mit der Hand in die Tasche, in der ich mein Geld aufbewahrte. Wahrscheinlich war mir die Sache in der Gasse zugestoßen, als die Weiber uns anrempelten; das eine war gewiß: ich hatte meine Börse verloren. »Ihr habt soeben einen guten Gedanken gehabt«, sagte Catriona, als sie merkte, wie ich stutzte.
In der Klemme, in der wir uns jetzt befanden, sah ich plötzlich ganz klar wie durch ein Fernrohr, daß uns keine Wahl übrigblieb. Ich besaß keinen Groschen Bargeld, aber in meiner Brieftasche ruhte mein Kreditbrief auf das Leydener Bankhaus. Es gab nur eine Möglichkeit, dorthin zu gelangen: unsere zwei Paar Füße. »Catriona,« sagte ich, »ich kenne Euch als ein tapferes und kräftiges Mädchen – glaubt Ihr, Ihr könntet auf ebener Landstraße dreißig Meilen wandern?« Es stellte sich später heraus, daß die Entfernung nur zwei Drittel davon betrug, aber ich glaubte, der Weg wäre so weit. »David,« entgegnete sie, »wenn Ihr mich in Eurer Nähe behaltet, will ich überall hingehen und alles tun, was Ihr wollt. Mir ist der Mut ganz gebrochen. Laßt mich nur nicht in dieser furchtbaren Stadt allein; sonst ist mir alles recht.« »Könnt Ihr jetzt aufbrechen und die Nacht über marschieren?« »Ich will alles tun, was Ihr von mir verlangt, und Euch niemals nach dem Grunde fragen. Ich habe mich Euch gegenüber als schlechtes, undankbares Mädchen gezeigt; macht jetzt mit mir, was Ihr wollt! Ich finde auch, Miß Grant ist das beste Fräulein von der Welt«, fügte sie hinzu, »und sehe nicht ein, weshalb sie Euch verleugnet hat.« Das war für mich Griechisch und Hebräisch, aber ich hatte anderes zu bedenken. Vor allem mußten wir aus der Stadt heraus auf die Leydener Heerstraße. Das erwies sich als ein hartes Problem, und es mochte ein bis zwei Uhr nachts geworden sein, ehe wir die glückliche Lösung fanden. Sobald die Häuser hinter uns lagen, hatten wir nichts, das uns als Wegzeichen dienen konnte, weder Mond noch Sterne, nur das weiße Band der Straße inmitten zweier schwarzer Seitenwege. Außerdem gestaltete sich das Gehen zu einer ungemeinen Schwierigkeit infolge eines eisigen Nachtfrostes, der ganz plötzlich nach Mitternacht eingesetzt und die Landstraße in eine einzige, lange Rutschbahn verwandelt hatte.
Читать дальше