»Gott im Himmel, was ist das für ein tolles Unterfangen, sich mit leerem Beutel auf dem europäischen Kontinent absetzen zu lassen – das ist in meinen Augen kaum anständig – kaum anständig!« wiederholte ich aufgeregt.
»Ihr vergeßt, James More, mein Vater, ist ein armer Gentleman. Er ist ein gehetzter Verbannter.«
»Aber all Eure Freunde sind, soviel ich weiß, nicht gehetzte Verbannte«, rief ich aus. »Ist das gerecht gegen die gehandelt, denen Ihr teuer seid? Ist es gerecht gegen mich? Gerecht gegen Miß Grant, die Euch den Rat, zu fahren, gab, und die fuchsteufelswild wäre, wenn sie davon wüßte? War es selbst gegen diese Gregorys gerecht, mit denen Ihr zusammenlebtet, und die sehr gütig zu Euch waren? Es ist ein Segen, daß Ihr in meine Hände fielet. Wenn nun Euer Vater durch irgendeinen Zufall verhindert wäre, was sollte wohl aus Euch werden, falls Ihr Euch mutterseelenallein in einem fremden Ort befändet? Schon der Gedanke macht mir Angst.«
»Ich habe sie alle belogen«, erwiderte sie. »Ich sagte allen, ich hätte reichlich Geld. Ich sagte es auch ›ihr.‹ Ich konnte James More in ihren Augen nicht herabsetzen.«
Später entdeckte ich, daß sie ihn selbst bis in den Staub herabgesetzt haben mußte; die Lüge war ursprünglich von dem Vater, nicht von der Tochter ausgegangen, und sie war gezwungen gewesen, des Mannes Ruf zu decken. Im Augenblick wußte ich jedoch nichts hiervon; bereits der Gedanke, in welche Not und Gefahr sie hätte geraten können, genügte, um mich über die Maßen zu irritieren.
»Ja, ja,« antwortete ich, »Ihr müßt lernen, mehr Vernunft anzunehmen.«
Ich ließ ihr Gepäck vorübergehend in einem Wirtshaus am Strande, wo ich mich auch in meinem neuen Französisch nach Sprotts Wohnung erkundigte. Wir gingen zu Fuß dorthin – sie lag eine ganze Strecke entfernt – und staunten im Gehen den Ort an. Es gab hier für Schotten wirklich viel zu bewundern: Kanäle und Bäume zwischen den einzelnen Häusern; Häuser, jedes für sich abgeschlossen, aus schönen roten, rosenfarbenen Ziegeln mit Treppen und Bänken aus blauem Marmor an jeder Türschwelle, das ganze Städtchen so sauber, daß man von der Straße hätte essen können. Sprott saß zu Hause über seinen Rechnungsbüchern, in einem niederen, sehr ordentlichen, properen Wohnzimmer, das ganz mit Porzellan und Bildern und mit einem Globus in messingnem Rahmen ausgeschmückt war. Er war ein pausbäckiger, kräftiger, vollblütiger Mann mit einem harten, unehrlichen Ausdruck und hatte nicht einmal die Höflichkeit, uns einen Stuhl anzubieten.
»Ist James More McGregor zur Zeit in Helvoet, Sir?« erkundigte ich mich.
»Ich kenne niemanden jenes Namens«, entgegnete er ungeduldig.
»Da Ihr es so genau nehmt,« antwortete ich, »werde ich meine Frage vervollständigen und mich bei Euch erkundigen, ob in Helvoet ein gewisser James Drummond, alias McGregor, alias James More, weiland Pächter in Inveronachile, zu finden ist?«
»Sir,« erwiderte er, »er kann meinetwegen in der Hölle sein, was weiß ich; ich persönlich wünsche, er wäre es.«
»Diese junge Dame hier ist jenes Gentlemans Tochter, Sir,« sagte ich, »und Ihr werdet, nehme ich an, mit mir übereinstimmen, daß es nicht gerade der Schicklichkeit entspricht, sich in ihrer Gegenwart über seinen Charakter zu äußern.«
»Ich habe weder mit ihm noch mit ihr noch mit Euch selbst was zu schaffen!« schrie er mit seiner groben Stimme.
»Mit Verlaub, Mr. Sprott,« entgegnete ich, »diese junge Dame ist aus Schottland gekommen, um ihn aufzusuchen und erhielt, einerlei durch welchen Irrtum, Euer Haus als seine Adresse angegeben. Es scheint hier in der Tat ein Irrtum vorzuliegen, aber ich glaube, das legt sowohl Euch wie mir – der ich zufällig einer ihrer Mitreisenden bin – die starke Verpflichtung auf, unserer Landsmännin zu helfen.«
»Wollt Ihr mich noch verrückt machen?« schrie er. »Ich sage Euch ja, ich weiß nichts von ihm seiner Brut und frage noch weniger danach. Ich sage Euch, der Mann ist mir Geld schuldig.»
»Das kann sehr leicht möglich sein«, entgegnete ich, jetzt noch um einen Grad aufgebrachter als er. »Ich aber zum mindesten schulde Euch nichts; diese junge Dame steht unter meinem Schutz, und ich bin derartige Manieren weder gewöhnt, noch bin ich gesonnen, sie mir gefallen zu lassen.«
Als ich mit diesen Worten, ohne mir etwas dabei zu denken, ein, zwei Schritt näher trat, bemerkte ich, daß ich durch schieres Glück das einzige Mittel entdeckt hatte, das den Mann irgendwie zu berühren vermochte. Das Blut wich aus seinem roten, gesunden Gesicht.
»Um des Himmels willen, nicht so hastig, Sir!« stieß er hervor. »Ich habe wahrhaftig nicht die Absicht, jemanden zu beleidigen. Aber Ihr wißt schon, Sir, ich gehöre zu den gutmütigen, ehrlichen, vorsichtigen alten Rauhbeinen. Wenn man mich hört, könnte man fast meinen, ich sei ein wenig sauertöpfisch; aber nein, nein, im Grund seines Herzens ist Sandie Sprott ein guter alter Kerl! Und Ihr könnt Euch nicht denken, welchen Ärger ich schon mit jenem Mann gehabt habe.«
»Gut, Sir, dann werde ich Eure Güte so weit in Anspruch nehmen, Euch um die letzten Nachrichten von Mr. Drummond zu bitten.«
»Herzlich gern, Sir! Und was die junge Dame betrifft (respektvollsten Diener!), so wird er sie rein vergessen haben. Sie begreifen, ich kenne den Mann; ich habe schon früher Geld an ihn verloren. Er denkt an niemand als an sich selbst; Clan, König und Tochter, er ließe sie und seinen Geschäftsfreund im Stich, um nur erst sein Schäfchen ins Trockene zu bringen. Gewissermaßen bin ich sein Geschäftsfreund. Tatsache ist, wir sind zusammen an einem Unternehmen beteiligt, und es scheint mir ganz so, als sollte das Sandie Sprott teuer zu stehen kommen. Der Mann ist so gut wie mein Teilhaber, trotzdem geb ich Euch mein Wort, daß ich nicht weiß, wo er steckt. Vielleicht ist er auf dem Wege nach Helvoet; vielleicht kommt er morgen, vielleicht in einem Jahr. Ich werde mich über nichts in der Welt mehr wundern, nur noch über das eine: wenn ich mein Geld zurückerhalte. Ihr seht also, wie's um mich steht und daß ich keine große Lust habe, mich um die junge Dame zu kümmern, wie Ihr sie nennt. Hier kann sie nicht bleiben, das ist sicher. Bei Gott, Sir, ich bin Junggeselle! Wenn ich sie bei mir aufnähme, der Teufelskerl bekäm's fertig und zwänge mich bei seiner Rückkehr, sie zu heiraten!«
»Genug von diesem Geschwätz«, sagte ich. »Ich werde die junge Dame zu besseren Freunden bringen. Gebt mir Feder, Tinte und Papier, und ich werde James More die Adresse meines Leydener Korrespondenten dalassen. Er kann sich bei mir erkundigen, wo seine Tochter zu finden ist.«
Ich schrieb und versiegelte einen Zettel dieses Inhalts, während Sprott von sich aus das willkommene Angebot machte, die Sorge für Miß Drummonds Gepäck zu übernehmen, ja einen Träger nach dem Gasthaus zu senden. Zu diesem Zweck händigte ich ihm als Deckung ein paar Taler aus, und er überreichte mir dafür eine schriftliche Quittung.
Darauf bot ich Catriona meinen Arm, und wir verließen zusammen das Haus dieses unausstehlichen Gauners. Sie hatte während der ganzen Zeit kein Wort gesprochen und mir statt dessen das Reden und das Handeln überlassen; ich meinerseits hatte mir Mühe gegeben, sie durch keinen Blick in Verlegenheit zu setzen. Und selbst jetzt war es meine Sorge, vollkommen unbefangen zu erscheinen, obwohl mein Herz vor Scham und Zorn stillzustehen drohte.
»So,« sagte ich, »jetzt wollen wir in das Wirtshaus zurückkehren, in dem man französisch spricht, zu Mittag essen und uns nach einer Reisemöglichkeit nach Rotterdam erkundigen. Ich werde keine Ruhe haben, bis ich Euch wieder sicher in Mrs. Gebbies Händen weiß.«
»Es wird uns wohl nichts anderes übrigbleiben,« meinte Catriona, »obwohl ich kaum glaube, daß sie sich darüber freuen wird. Ich möchte Euch auch noch einmal daran erinnern, daß ich nur einen Schilling und sechs Pence besitze.«
Читать дальше