Die Aborigines dagegen betrachteten die Umwelt als eine scheinbar materielle Welt, von geistigen Wesen, die sich als Felsen, Pflanzen, Wasserquellen, Insekten oder Tiere verkleideten und die Kraft hatten, eine Traumwelt hervorzuzaubern. Ihre ständigen Wanderungen durch die Endlosigkeit des Kontinents nannten sie Traumreisen und den bevorstehenden Weg, den sie morgens antreten würden, träumten sie sich im Voraus. Für alle Dinge hatten sie einen Namen und dazu passende spirituelle Zeichen, die sie mit großem Respekt verehrten. Die Auswahl und Aufnahme der Nahrungsmittel vollzog sich in Form von Zeremonien, deren strenge Einhaltung die Ältesten mit Argusaugen überwachten. Die Abweichler, die diese rituellen Regeln missachteten, wurden streng bestraft. Nicht selten wurden Stammesmitglieder ausgestoßen oder verstarben an unerklärlichem Herzversagen.
Für den jungen Don José eröffnete sich hier eine neue Welt, die ihn zwar faszinierte, aber mangels Kenntnis der komplexen Aboriginessprache nur bruchstückhaft zugänglich war. Mit der Zeit lernte er einige Sätze, die ihm im alltäglichen Umgang Zutritt zu den scheuen Ureinwohnern verschafften. Insbesondere Geschenke, die er von einem Stamm bekam, schienen bei dem nächsten Stamm wie Passierscheine zu funktionieren. Manche Geschenke bewirkten aber auch helle Aufregung bei den Stammesältesten und er lernte schnell solche Geschenke lieber in der Kiste zu belassen und nur allgemein populäre Geschenke anzubieten. Von diesen seltsamen Menschen, die von der hochnäsigen Akademikerwelt als Steinzeitmenschen deklariert wurden, lernte er, wie wenige Dinge ein Mensch im Leben wirklich braucht. Er war erstaunt zu erfahren, wie viel Wissen sich die Aborigines über die komplexe Welt der australischen Flora und Fauna angeeignet hatten, um zu überleben. Würde man eine Langzeitprüfung ansetzen, könnte man jedem heranwachsenden Aborigine nach Maßstäben der europäischen Universitäten bedenkenlos einige Doktortitel in Landschaftskunde, Biologie, Zoologie und Astronomie erteilen.
Angesichts dieser Erfahrungen sinnierte Don José, man sollte die Steinzeitmenschen dadurch kennzeichnen, dass sie umfangreiches und sehr komplexes Wissen über die Natur und die Kommunikation mit der Geisterwelt, als allgemeines Kulturgut verkörperten.
Dagegen ist die zivilisierte Welt trotz mühsam erforschten Wissens ziemlich schlecht mit der Natur zurechtgekommen. Wenn also die Kunst der Kriegsführung und die Erfindung von Massenvernichtungswaffen das Hauptanliegen der Zivilisation darstellen sollte, dann würde Don José lieber unter den Steinzeitmenschen leben.
Eine kleine Gruppe der weißen Rasse, die in der spirituellen und materiellen Welt herumforscht, ein temporär geltendes Wissen zu Tage bringt, welches nur bruchstückhaft an die Allgemeinheit weiter vermittelt wird, nennt sich dann arroganterweise „Die zivilisierte Welt“.
Er erkannte auch die Tragödie, die sich seit einigen Jahrhunderten aus diesen so konträren Welten wie ein sich ausbreitendes Lauffeuer ergab. Wo die weißen Seefahrer ihre nationalen Flaggen aufstellten und das Land unter dem Motto „Macht euch die Erde untertan“ besetzten, wurden Jahrtausende lang erprobtes Wissen und damit verbundene Lebensweisheiten wie durch eine Toilettenspülung in unwiderrufliche Vergessenheit weggespült.
So scheint sich genau dieselbe Tragödie, die am Ende des antiken Zeitalters von zerstörungswütigen Barbarenvölkern in Europa und im Mittleren Osten angerichtet wurde, zu wiederholen. Was sich aus diesem Trümmerhaufen herauskristallisierte, war eine heillose Unordnung von Restwissen des Orients, verquickt mit der Raffgier der Barbaren.
Don José machte in seinem Tagebuch einige Notizen, damit er später mit seinen klugen Freunden über diesen Themenkreis diskutieren konnte. Er erinnerte sich auch an ein Buch, das er in Deutschland gelesen hatte. In diesem Buch bemühte sich ein Historiker dem dunklen Mittelalter und insbesondere dem sagenumwobenen Kaiser Karl dem Großen, die historische Existenz streitig zu machen. Von irgendwo her befiel ihn ein intensives Bedürfnis, über dieses Zeitalter viel mehr wissen zu wollen. Er hatte einiges über antike Kunst und Geschichte gelesen, einige Abhandlungen über die Entstehung des Christentums und die Zeit der Renaissance. Überhaupt war er für einen Bergbauingenieur recht gut belesen, aber weit davon entfernt, kompetent einen Vergleich der westlichen Kulturen mit der Geisterwelt der Aborigines in einem akzeptablen Werk zu veröffentlichen.
Sein Interesse an der australischen Welt ergab sich einfach zwangsläufig, weil er in ihren Lebensraum eingedrungen war, um nach Erzen zu suchen, aber keineswegs um Völkerkunde zu betreiben. Es erging ihm so, wie es oft im Leben interessierter Menschen vorkommt, dass nämlich die zunächst beabsichtigten Lebenspläne durch neue Erkenntnisse zu Nebensächlichkeiten degradieren und sich daraus ein völlig neuer Lebensweg und eine Mission entwickelt. Nach fast drei Jahren seiner Wanderschaft quer durch den ganzen Kontinent konnte er mit Stolz darauf verweisen, dass er dieses Land und seine Bewohner wie kaum ein anderer Neueinwanderer erlebt und lieb gewonnen hatte. Seine Tagebücher schleppte er überall in einem Köfferchen aus eloxiertem Aluminium mit sich, damit er jederzeit nachschlagen konnte, wenn es von Nöten war. Es handelte sich hierbei um in Leder eingefasste Schiffslogbücher, die in der kommerziellen Schifffahrt allgemeine Verwendung fanden. Mit den Eintragungen machte er es genauso, als würde er mit einer Yacht unterwegs sein. Koordinaten, Wetterdaten, Skizzen von Erzvorkommen, Trinkwasserstellen, Flüsse und Nachtlagerquartiere trug er in feiner, kaum lesbarer Schrift akkurat ein. Über die Menschen, die er unterwegs traf und zu deren Geschichten machte er auf der Rückseite ausführliche Notizen.
Über einen einzigen Fund und die Umstände, unter welchen er diesen machte, konnte er aber unter keinen Umständen Notizen machen. Diese Entdeckung, die er später seinen engsten Freunden als „Begegnung der dritten Art“ anvertraute, brachte seine ganze Lebensplanung durcheinander und beeinflusste die Schicksale von Millionen anderer Menschen rund um den ganzen Globus. Darüber und über die damit zusammenhängenden Erlebnisse konnte und durfte Don José keine Eintragungen machen.
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2. DIE BEGEGNUNG DER DRITTEN ART
Don José war schon zwölf Tage unterwegs. Er benötigte frisches Wasser, Proviant und Diesel für seinen Land Rover. Auf dem Weg nach Mount Isa passierte er die Ortschaft Winton. Weil er in Winton in den letzten Jahren schon öfters gerastet hatte, träumte er unterwegs von einer heißen Badewanne und saftigen T-Bone-Steaks. Vielleicht konnte er auch ein paar Nächte mit alten Bekannten verbringen und dann in Richtung Mount Isa weiter fahren. Als er am frühen Nachmittag die Tankstelle mit dem Lebensmittelladen ansteuerte, wusste er schon, dass die heiße Badewanne im Motel an der Hauptstraße belegt war und er wahrscheinlich kein Quartier bekommen würde.
Der kleine Ort, der erfahrungsgemäß zu dieser Tageszeit wie ausgestorben wirkte, war an diesem Tag von Menschen und Fahrzeugen aller Art belagert. Der Tankwart berichtete von einem großen Volksfest und der alljährlichen Versammlung der Siedler, von verschiedenen Wettrennen, einer Menge Bier und Steaks und von zu erwartenden Schlägereien der jungen alkoholisierten Burschen. Don José kannte solche Veranstaltungen, die einen durchaus typischen Outback Charme vorzuweisen hatten. Aber für einen einsamen Reisenden, der jung und attraktiv auf die Siedlertöchter wirkte, empfahl es sich doch das Weite zu suchen.
Weil der Tag noch jung war, er die Route gut kannte, verstaute er den Proviant gut verpackt im Wagen und fuhr weiter Richtung Westen. Die Weiterfahrt entwickelte sich ziemlich unangenehm, weil ihm die Sonne direkt ins Gesicht strahlte und er andauernd vom Straßenstaub der entgegenkommenden Fahrzeuge eingenebelt wurde. Wie es schien, war die ganze Gegend in Richtung Winton unterwegs. Ihn ärgerten die unangenehmen Begleiterscheinungen was ihn dazu bewegte, die nächstmögliche Abzweigung zu nehmen. Inzwischen lag Winton schon zwanzig Meilen hinter ihm und die Sonne stand tief am Horizont. Er musste also die nächste halbe Stunde sein Nachtlager finden, denn abseits der asphaltierten Straßen zu fahren war nur bei Tageslicht ratsam.
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