„Wer sonst, wenn nicht du, Onkel, kann uns helfen!" drang Vladana in ihren Verwandten. „Mein Vater hat uns ausdrücklich auf dich verwiesen. Du kennst die Welt wie kein anderer. Worauf, glaubst du, warten wir so lange?"
Onkel Wodnik machte eine Handbewegung der Ratlosigkeit.
„Das passt zu Ahira", knarrte er dazu, und es war das erste Mal, dass eine Andeutung von Ärgerlichkeit bei ihm spürbar wurde. „Wenn das Abwälzen schwieriger Aufgaben das Zeichen fürstlicher Auserwähltheit darstellte, es gäbe nur einen, der zum Herrn der Welt berufen worden sein könnte - meinen lieben Bruder! Große Worte waren schon immer seine Stärke. Die unbequemen Arbeiten durften die anderen übernehmen."
„Heißt das, daß du uns nicht helfen willst", forschte Vladana, von der Äußerung ihres Onkels verunsichert, sofort nach. „Sind wir eine unbequeme Aufgabe für dich?"
„Nein, nein", verbesserte Onkel Wodnik ohne Zögern. „Das natürlich nicht. Zum Helfen bin ich ja gekommen. Nur - was heißt hier: helfen wollen, meine beste Nichte? Die Frage lautet: Kann ich helfen?"
Onkel Wodnik rollte seine Augen ziellos wie Kugeln in einer runden Schale.
„Selbstverständlich helfe ich euch, besonders wo es um dich und dein Glück geht. Aber ich fürchte, du erwartest zuviel von mir, und ich möchte euch nicht enttäuschen."
Onkel Wodnik fasste vorsichtig nach Vladanas Hand und streichelte sie mit einer zarten Bewegung.
„Besonders jetzt nicht", fügte er bedeutungsvoll an.
Vladana war gerührt.
„Weißt du, Onkel. Keinem Weg sieht man an, wo er endet. Aber wenn man nicht loszieht, wird man auch nicht ankommen."
„Das hast du fein gesagt, liebe Nichte. Gut so! Einen Kampf gibt man erst dann auf, wenn man ihn verloren hat. Aber meine Erfahrung sagt mir doch, dass ihr nach den Sternen greift. Die sind unerreichbar. Dafür sind unsere Arme zu kurz."
„Weswegen hältst du die Sterne für unerreichbar?" Vladana gab sich mit der Skepsis ihres Onkels nicht zufrieden. „Heißt es nicht: Wo ein Wille ist, findet sich auch ein Weg? Und die vielgerühmte Erfahrung der Alten? Was ist sie anderes als das Eingeständnis von Bequemlichkeit und Kleinmut."
„Na, na, liebe Vladana! Nicht so forsch!" hielt der Onkel dagegen. „Ich bin mir nicht so sicher, ob ich dir da so ganz ohne Widerspruch recht geben kann. Übertreibst du nicht ein bisschen? Ich gebe zu, aus fremden Erfahrungen zu lernen, das ist eines der schwersten Dinge der Welt. Kenntnisse kann man weitergeben, Erfahrungen kaum. Manchmal will es mir scheinen,wenn ich so den Gang der Welt betrachte, dass nichts so verbissen beansprucht wird wie das Recht auf das eigene Unglück. Aber trotzdem meine ich: Vorsicht ist kein Vorrecht des Alters, sondern eines der Klugheit. Und klug kann man auch in der Jugend sein."
„Also, was rätst du uns?" versuchte Vladana ihr Anliegen durch die sich wie gefährliche Meeresklippen plötzlich auftürmenden Weisheiten ihres Onkels geradewegs und tollkühn hindurch-zusteuern.
Aber der Onkel tat sich mit seiner Meinung schwer. Es war ihm unangenehm, sich festzulegen.
„Weißt du, liebe Nichte", fuhr er in seinen vorigen Überlegungen fort, „mit Ratschlägen hat das so seine eigene Bewandtnis. Je eindeutiger ein Ratschlag sein soll, desto schwerer kann man ihn erteilen. Denn die Dinge liegen meist nicht so einfach, als dass man sie einfach beurteilen könnte. Im Grund kann man immer nur für sich selbst Entscheidungen treffen, nicht für seinen Nächsten. Das macht es mir schwer, auf deine klare Frage eine klare Antwort zu geben. Ich will es trotzdem versuchen. Ich für meine Person hätte den Blick nicht zu den Sternen erhoben, ich hätte ihn auf den Boden unter meinen Füßen gerichtet. Denn was heißt schon, die Herrschaft über die Welt sei deinem Mann vorhergesagt? Bedenke, die Lebenszeit deines Gemahls ist begrenzt. Wie schnell ist sie vertan! Warum genießt ihr nicht das, was euch sicher gegeben ist, und seid glücklich? Ihr werdet euere Kraft an ein Ziel verschwenden, das nicht zu erreichen ist. Ihr werdet die Zeit eueres Glücks vergeudet haben, und es wird nur Enttäuschung übrigbleiben. Deshalb, wenn du meinen Rat wirklich wissen willst - und nimm mir das nicht übel, liebe Vladana - beschränkt euch auf das, was ihr habt und greifen könnt, und von dem anderen lasst die Finger."
Während in Konrads Miene unübersehbar Zustimmung zu diesen bedachtsam vorgetragenen Worten Onkel Wodniks abzulesen war, zeigte sich im Gesicht Vladanas deutlich Unbehagen und Unzufriedenheit. Die Weisheit seiner Worte beeindruckte sie wenig und sie hatte Mühe, an sich zu halten. Kaum hatte der Onkel geendet, fuhr sie hoch.
„Die Träume, Onkel Wodnik! Was ist mit den Träumen? Du kannst doch nicht so tun, als seien sie nicht geträumt worden!"
„Wer nach Träumen greift, greift ins Leere", kommentierte der Onkel diesen Einwurf lakonisch.
„Onkel Wodnik hat recht, Vladana", mischte sich nun auch Konrad in das Gespräch. „Ich habe es dir schon öfter erklärt, dass ich den Sinn meiner Träume auf dich beziehe. Die Erfüllung meiner Träume bist du. Ich bin zufrieden damit, ich will nicht mehr. Wie ich meine Träume früher beurteilte - welche Rolle spielt das noch! Ich bin zufrieden und du solltest es endlich auch sein."
Doch die Feststellung des Onkels und der Appell Konrads waren Vladana zu wenig. Das sagte sie deutlich.
„Nein, Konrad! Ich bin nicht zufrieden. Der Traum war kein Hinweis auf mich. Eine kleine Wassernixe mit der ganzen Welt gleichzusetzen, das mag für mich schmeichelhaft sein, ist aber nicht glaubwürdig. Ich bin dagegen, dass du meine Zeit ganz bei mir hier in den finsteren Wäldern verhockst. Das kann nicht gutgehen. Du darfst deiner Bestimmung nicht ausweichen. Und merke dir, deine Bestimmung ist auch die meinige."
Um die Lippen Onkel Wodniks wehte, als er dies vernahm, der Anflug eines Lächelns. Doch bevor er sich zu dem eben Gehörten äußern konnte, hatte bereits Konrad wieder das Wort ergriffen.
„Ich verhocke mich nicht bei dir, Vladana", wies er mit nachsichtigem, nichtsdestoweniger nachdrücklichem Ton zurecht. „Jeder Tag, jede Stunde mit dir ist eine Gabe, wie sie wertvoller mir niemand machen könnte. Ich habe mein Herz nun einmal dir geschenkt, und du solltest wissen, ein zweites Herz besitze ich nicht".
„Oh, du mein geliebter Konrad!" beantwortete Vladana dieses schöne Geständnis, und Liebe vertrieb alle Unzufriedenheit aus ihrer Stimme. „Ich muss dich jetzt umarmen! Komm!"
Sie sprang von ihrem Sitz hoch, eilte zu ihrem Gemahl, umarmte und küßte ihn innig.
„Wie schön du das gesagt hast!"
Onkel Wodnik nickte gerührt. „Jaja, die Liebe! Die Liebe!"
Und verstohlen schnell rieb er sich mit dem Daumenballen die Augen, als habe dort die Liebe die Wirkung eines Staubkorns.
„Kinder! Je mehr man das Glück erzwingen will, desto eher erzwingt man das Unglück. Vielleicht versteht ihr jetzt, was ich vorhin meinte. Genießt, was ihr habt. Bleibt beieinander. Warum wollt ihr euer Glück fragwürdiger Träume wegen auf´s Spiel setzen."
Doch des Onkels väterlich wiederholte Empfehlung verfehlte nicht nur ganz und gar die wohlgemeinte Wirkung, sie verkehrte sie geradezu in ihr Gegenteil. Statt in Vladana Nachgiebigkeit und Vernunft endgültig zum Durchbruch zu verhelfen, weckte sie in ihr erneut und so entschieden wie zuvor den Ehrgeiz. Vladana hob, noch ehe der Onkel seine Rede beendet hatte, ihr Gesicht von Konrad weg und wandte es Wodnik zu.
„Wer redet denn davon, dass wir nicht beieinander bleiben wollen", fragte sie verwundert. „Wie kommst du darauf, Onkelchen? Dass wir uns lieben, das heißt doch nicht, dass wir nichts Anderes vorhaben, als nur jeden Tag beieinanderzuliegen. Nein, nein! Ich sehe in Konrads Träumen keine Gefahr für unsere Liebe. Wir werden immer genug Zeit füreinander finden. Da kann geschehen, was will. Hab ich nicht recht, Liebster?"
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