1 ...8 9 10 12 13 14 ...38 Fürst Ahira verzichtete auf die üblichen Fürstenallüren, einen Besucher erst einmal warten zu lassen, um ihm dann umso gnädiger das Ohr zu leihen; er wandte sich Konrad sofort zu.
„Mein Sohn", sprach er den eben Angekommenen mit einer Stimme an, deren patriarchalisch wohlwollender Orgelton nichts davon verriet, dass sie noch wenige Augenblicke zuvor ernsthafte Mordabsichten geäußert hatte. „Sei in meinem Haus willkommen!"
Konrad bedankte sich für das Wohlwollen und erwiderte den Gruß in gesetzten und gewählten Worten, die ganz auf die hohe Würde des zukünftigen Schwiegervaters abgestellt waren.
Das machte Eindruck, und Vladana, die doch etwas unsicher und daher auch besorgt dem Beginn des Dialogs zwischen ihrem Vater und seinem Schwiegersohn entgegengeharrt hatte, registrierte den Abzug allen finsteren Gewölks aus dem Gemüt ihres Vaters mit aufatmender Erleichterung.
Fürst Ahira fuhr in seiner Rede fort, und Konrad hörte mit jener höflich geduldigen Aufmerksamkeit zu, die darum weiß, dass die Eitelkeit der Mächtigen sich am liebsten selbst reden hört.
Zuerst trug Ahira Glückwünsche zum Bund Konrads mit seiner Tochter vor. Er verwies auf die Außergewöhnlichkeit dieser Verbindung, deutete die Schwierigkeiten an, die sich aus ihr ergeben könnten, betonte jedoch gleichzeitig seinen Respekt vor der Entscheidung und betonte seine Bereitschaft, in schwieriger Situation dem jungen Paar hilfreich zur Seite zu stehen.
Konrad beantwortete diese Deklamation mit ähnlichen Floskeln. Er nahm die hoheitlichen Glückwünsche mit einem Ausdruck ehrerbietiger Hochschätzung entgegen, verwies auf die Liebe und Zuneigung zwischen Vladana und sich, die ein sicherer Garant für die Überwindung aller kommenden Schwierigkeiten sei, und bedankte sich für die Bekundung der schwiegerväterlichen Hilfsbereitschaft.
Mit dem vom Schwiegervater angebotenen Hochzeitsgeschenk - einer Burg - erklärte er sich unverzüglich einverstanden, bat aber darum, dass die Errichtung des Bauwerks erst dann beginnen solle, wenn Vladana und er in dem ferngelegenen Waldtal einen geeigneten Platz ausgesucht hätten.
Das wurde zugestanden.
Seiner offiziellen Hochzeitsgabe fügte Fürst Ahira ein privates Geschenk an Konrad hinzu. Er nahm einen gewöhnlichen, rundgeschliffenen weißen Kieselstein aus einer Muschel und hielt ihn sorgsam in die Höhe, als handele es sich um einen Edelstein von großer Kostbarkeit.
„Ihr Menschen", so philosophierte der Fürst, „seid ein verwundbares, sterbliches Geschlecht. Der Gefahren gibt es viele für euch, der Tod lauert überall. Vielen Bedrohungen seid ihr nicht gewachsen."
Ahira beugte sich vor und überreichte den Stein Konrad, der diesen ebenso würdevoll und ernsthaft entgegennahm, wie ihn der Schwiegervater präsentierte.
„Verachte mir diesen Stein nicht, mein Sohn", fuhr Ahira fort. „Selbst wenn er nur wie ein gewöhnlicher Kiesel aussieht, wie man ihn in jedem Bachbett findet, so trügt der Schein. Der harmlose Stein besitzt große Kraft. Wo auch immer du bist, in welchem Teil der Welt du immer dich befindest, der Stein, hinter dich geworfen, ruft augenblicklich meine Hilfe herbei. Allerdings", ergänzte der Fürst gewichtig, „ich muss dich zur Vorsicht mahnen. Der Zauber des Kiesels wirkt nur einmal. Sei also vorsichtig und vergeude sie nicht. Was du aus eigenem Mut und eigener Tapferkeit leisten kannst, erledige selbst. Denn, einmal gebraucht, ist die Kraft des Steines dahin. Der Kiesel ist dann nichts weiter mehr als jeder andere Kiesel auch."
So sprach der Fürst, und Konrad, den unscheinbaren Stein in der Hand, verbeugte sich und dankte und gelobte, die Empfehlung des Schwiegervaters zu beherzigen.
Fürst Ahira entließ Konrad in Wohlwollen und Gnade und verabschiedete sich, ein paar gutgemeinte väterliche Ratschläge auf den Lippen, auch von seiner Tochter. Die Muschelfähre brachte Konrad zurück an den jenseitigen Rand des hoheitlichen Gewässers, Vladana folgte und kehrte in ihr eigenes Leben und ihre menschliche Gestalt zurück. Man machte sich auf den Rückweg.
Das Versprechen seines Hochzeitsgeschenkes wurde von Fürst Ahira, kaum waren Konrad und Vladana in ihr Waldtal zurückgekehrt und hatten sich über einen angemessenen Platz für ihren Wohnsitz geeinigt, umgehend erfüllt. In den ersten Nächten ging ein Krachen und Bersten durch den Wald, dazu ein Zischen und Ziehen, als wüte ein furchtbarer Herbststurm im Gehölz oder als bahne sich eine Schar Riesen mit ungestümer Wucht den Weg durch das Dickicht. Schon war ein freier Platz in den Hochwald gerissen; allerdings bot er noch ein Bild chaotischer Verwüstung. Büsche und Bäume lagen durcheinander und überquer, Wurzeln griffen, als suchten sie einen letzten Halt, in das trügerische, nicht fassbare Element der Luft, gesplittertes Holz hatte die Farbe bloßgelegten Wundfleisches. Die Erde war durchgepflügt wie von einem ungeheueren Maulwurf.
Auf die ersten Nächte der Rodung folgten die Nächte der Einebnung. Der Platz ward gesäubert, von all dem geborstenen und niedergebrochenen Waldzeug freigeputzt und von Felsen und Wurzelklumpen gereinigt. Ein glattgestampftes, plangestrichenes Feld entstand, inmitten der geradezu erstaunten, finsteren Fronten des Hochwaldes von angenehmer Helle.
Dann wühlten unsichtbare Kräfte eine riesige Grube in die Erde. Grundmauern, aus granitenen Blöcken zyklopisch gefügt, sprossen in die Höhe, wie von geheimen Kräften zum Wachstum gebracht. Schon stürmten die Wände der Wohngebäude hoch, erschienen Türme und Wehrmauern, wurden Plafonds aus hartem eichenem Gebälk eingezogen und setzten sich Stockwerke übereinander wie der kunstvolle Wabenbau der Bienen. Das Dach ward gedeckt, der Brunnen gegraben. Tür und Tor wurden eingesetzt, die Fenster geschlossen, der Innenhof ausgepflastert, Weg und Steg befestigt.
Als Konrad und Vladana nach der Frist eines Mondes in ihr fürstliches Heim einzogen, fanden sie es mit all dem ausgestattet, dessen es zu einer vornehmen Haushaltsführung bedurfte. Die Wände und Mauern waren wohnlich mit Fellen und Stickereien überkleidet, Fackelkörbe und Kerzenhalter dienten zur abendlichen Beleuchtung. Truhen und Schränke, Borde und Bänke, Tische, Stühle und Liegestätten machten die Räume bequem. In Kammern war Hausrat gesammelt, auf den Speichern und in den Kellern lagerten Speise und Trank. Die Waffenkammer trotzte mit Schwertern und Spießen, aus den Ställen klang das Stampfen und Kettengeklirr der Pferde. Vom Bergfried ging der Blick weit über den dunklen Ring der Wälder hinaus: nach Norden zu den wolkennahen Häuptern des Gebirges, nach Osten und Westen zu seinen niederströmenden Profilen und nach Süden zum Silberdampf des fernen Tieflandes.
„Hier werden wir glücklich sein", sinnierte Konrad.
„Von hier aus werden wir herrschen", verbesserte Vladana.
Von ihren Verwandten schätzte Vladana Onkel Wodnik am meisten. Sie erwartete täglich, fast stündlich sein Erscheinen auf der Waldburg, und das nicht nur, weil ihr von ihrem Vater der Besuch des Onkels angekündigt worden war, sondern auch, weil sie ihrem Onkel herzlich zugetan war und sich darauf freute, ihm ihren Gemahl vorzustellen. Außerdem wälzte sie wichtige Pläne, bei deren Verwirklichung sie auf den Rat und die entschlossene Hilfe ihres Onkels hoffte.
Onkel Wodnik indes ließ sich nicht blicken. Wochen, Monde und Jahre verstrichen, ohne dass sich der zunächst nur erwartete und dann immer inständiger herbeigesehnte Gast vor dem Burgtor einfinden wollte.
„Hat dein Vater nicht von einem baldigen Besuch deines Onkels gesprochen", schnitt Konrad das Thema einmal an, als Vladanas Ungeduld besonders auffällig war.
„Ja", seufzte Vladana. „Das hat er. Aber unter bald verstehen wir etwas anderes als ihr Menschen. Das kann hundert Jahre dauern."
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