1 ...6 7 8 10 11 12 ...25 Corvus corvo nigredinem objicit!«
Dieses sein Latein machte mir riesigen Spaß. Da er nur Sprichwörter brachte, nahm ich ihn
sehr stark in Verdacht, sie irgend einem alten Verzeichnisse entnommen und sich eingeprägt
zu haben, um sie gelegentlich loszulassen und als Lateiner zu gelten. Den lateinischen Text
hatte er sich gemerkt, aber nicht den Sinn desselben, und so durfte man sich nicht darüber
wundern, daß er sie meist grad dann in Anwendung brachte, wenn ihr Gebrauch zum Unsinn
wurde. Es giebt solche eigentümliche Menschen, und er ist nicht der einzige dieser Art, den
ich kennen gelernt habe.
Es kann nicht meine Absicht sein, die nun folgende Unterhaltung wiederzugeben; sie wurde
von uns mit Reimen und von seiten des Wirtes mit den tollsten Lateineleien gespickt,
wodurch er aber den sich sehr zahlreich einstellenden Gästen außerordentlich zu imponieren
schien. Welche Schule er besucht und welchen Bildungsgang er hinter sich hatte, das konnten
wir nicht erfahren; er schien Gründe zu haben, nicht davon zu sprechen, und wir waren nicht
so rücksichtslos, ihm darauf bezügliche Fragen vorzulegen.
Ein kleines Intermezzo darf ich nicht umgehen. Mein Carpio hatte unterwegs bemerkt, daß
ihn ein durch die Stiefelsohle gedrungener Nagel in den Fuß stach, und den Stiefel
ausgezogen, um ein zusammengefaltetes Stück Papier unterzulegen. Jetzt bemerkte er, daß
der Nagel auch in dieses Papier ein Loch gemacht hatte und ihm nun neue Schmerzen
bereitete. Er vertraute diese schmerzliche Angelegenheit einem mit anwesenden Schuhmacher
an, und da dieser sich bereit erklärte, die vorwitzige Nagelspitze abzustumpfen, so zog er den
Stiefel aus, um ihn dem Helfer in der Not anzuvertrauen. Dabei fiel das nun durch die
eingedrungene Feuchtigkeit des Schnees sehr unscheinbar gewordene Papier heraus. Es sah
wie ein alter, abgebrauchter Guldenzettel aus. Als ich es aufhob, bemerkte ich, daß es
Schriftzüge enthielt, welche freilich nicht mehr zu enträtseln waren; aber der noch ziemlich zu
unterscheidende Gymnasialstempel belehrte mich, welch ein wichtiges Dokument ich in den
Händen hatte. Ich gab es dem Freunde mit den Worten:
»Hier ist die Ehrenrettung deiner Schwester; ich hoffe, daß du ihr den schnöden Verdacht,
welchen du ausgesprochen hast, nach unserer Heimkehr abbittest!«
Er faltete den Zettel auseinander, schüttelte den Kopf, gab ihn, nämlich den Zettel und nicht
etwa den Kopf, dem noch anwesenden Polizisten hin und sagte:
»Sie sehen, daß ich meinen Paß sehr gut aufgehoben hatte; kein Spitzbube hätte ihn finden
können. Ich bitte, sich nun zu überzeugen, daß Sie es wirklich mit den Schülern einer
königlichen Bildungsanstalt zu thun haben!«
Als der Beamte sah, in welchem Zustande sich die Legitimation befand, wies er sie mit den
freundlichen Worten zurück:
»Oh bitte, bitte, zweifeln Sie doch nicht an meiner Menschenkenntnis, die mir gleich beim
ersten Blicke gesagt hat, daß ich es mit geistig hochstehenden und polizeilich
unbeanstandeten Personen zu thun habe!«
»Schön!« nickte Carpio. »Wir erkennen Ihren Scharfsinn an und werden jenseits der Grenze
an geeigneter Stelle erzählen, daß die Bewohner der österreichischen Länder auf ihre
Polizeimacht stolz sein können.«
Indem er den wieder zusammengefalteten Paß in die Westentasche steckte, nickte er dem
Gendarm in so gönnerhafter Weise zu, als ob er eine der höchsten Stellen im Wiener
Justizministerium bekleide.
Als wir jeder drei Gläser Buttermilch getrunken hatten, wurden wir zum Schankbier avanciert
und bekamen dazu Cigarren angeboten, welche der Wirt als zur besten Sorte Österreichs
gehörig bezeichnete. Wenn ich mich nicht irre, waren es Virginias, die man zuweilen auch mit
dem hochpoetischen Namen »Giftnudeln« zu bezeichnen pflegt. Als Carpio die seinige
anbrannte und den lächelnden Ausdruck bemerkte, mit welchem er dabei von rundumher
beobachtet wurde, machte er eine hoheitsvolle Handbewegung und sagte in geringschätzigem
Tone:
»Ich will Ihren Kaiserstaaten gewiß nicht zu nahe treten, aber was Cigarren betrifft, so sind
wir Ihnen in jeder Beziehung über. Diese hier zum Beispiel, welche von vorzüglicher Qualität
sein soll, würde mir für den täglichen Gebrauch viel zu schwach sein. Es giebt bei uns eben
ganz andere Raucher als hier bei Ihnen, meine Herren!«
Leider aber ließ er seine »Nudel« so oft ausgehen, daß er mit den Zündhölzern immer
zwischen ihr und dem Asbestgläschen unterwegs war – es stand nämlich ein sogenanntes
Tunkfeuerzeug auf dem Tische. Da ihm dabei der Geruch des Schwefels so oft in die Nase
fuhr, zog er, ohne daß ich weiter darauf achtete, ein Papier aus der Tasche, zerriß es in lange,
schmale Streifen, um Fidibus aus ihnen zu machen, und holte sich nun mit deren Hilfe das
zum Anbrennen nötige Feuer von der in seiner Nähe qualmenden Öllampe. Damals gab es
bekanntlich weder Gas- noch gar elektrisches Licht.
Trotz dieser immerwährenden Unterbrechungen war er, als ich die erste Cigarre geraucht
hatte, schon mit seiner zweiten fertig. Man bot uns neue an, und als ich da für uns beide
ablehnte, schlug Carpio diese Anmaßung in empörtem Tone zurück:
»Mische dich nicht in meine Angelegenheiten, Sappho! Eine Mondscheinnatur, wie die
deinige ist, kann freilich nichts vertragen; ich aber bin aus Stahl und Stein gebaut und möchte
die Cigarre kennen lernen, die meine Konstitution erschüttern könnte!«
»So ist es recht!« stimmte Franzl bei. »Ein guter Student muß ausgepicht und gegen Nikotin
und Spiritus unempfindlich sein. Nummus ubi loquitur, Tullius ipse tacet. Nehmen Sie also
immer noch eine!«
Und der Busenfreund nahm noch eine und hatte sie noch nicht aufgeraucht, als seine Fidibus
zu Ende waren. Ich sah, daß er, wie ein Orientale sich ausgedrückt hätte, die Morgenröte
seines Angesichts verlor, sagte aber nichts, weil ich ihn nicht beleidigen wollte.
Dann brachte die Wirtin das Abendessen herein. Es bestand in einer mächtigen Schüssel
Fisolen und einer ebenso großen Schüssel geräuchertem Schweinefleisch. Beim Anblicke der
großen, appetitlichen Fleischstücke lief mir, wie es später dem persischen Schah in London
ergangen sein soll, das »allerhöchste Wasser seiner Majestät« im Munde zusammen; den
Busenfreund aber schien die Lukullität dieses Nachtmahls kalt zu lassen; wenigstens lag,
während meine Augen höchst wahrscheinlich vor Freude leuchteten, in den seinen ein
entsagungsvoll nach innen gerichteter Blick und in seinen wehmutsvoll zusammengezogenen
Mundwinkeln der Ausdruck jener schmerzlichen Resignation, mit welcher ein sonst sehr
vernünftiger Bettler einst behauptet haben soll, daß es ihm niemals einfallen werde, einen
Hundertthalerschein anzunehmen.
Wenn man bedenkt, daß zu diesen Fisolen und zu diesem Fleische nicht Bier, sondern Wein
getrunken wurde, so wird man mir glauben, daß ich mich nicht allzu sehr nötigen ließ. Mein
guter Carpio aber wollte, wie Franzl sich auszudrücken beliebte, »gar nicht anbeißen« und
erklärte schließlich, als er sich durch teilnahmsvolle Fragen und Zusprüche in die Enge
getrieben sah, daß er leider heute mittag zuviel gespeist und infolgedessen jetzt noch gar
keinen Appetit habe. Dabei richtete er sein Auge mit der stummen Bitte um Verschwiegenheit
auf mich; ich gewährte sie ihm im stillen, wurde aber dafür von ihm mit dem grassesten
Undank belohnt, denn als man ihn darauf aufmerksam machte, daß doch ich nicht so ganz
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