Hermann Scherm
Spines
Das ausradierte Ich
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Inhaltsverzeichnis
Titel Hermann Scherm Spines Das ausradierte Ich Dieses ebook wurde erstellt bei
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Impressum neobooks
»Jeder wach verbrachte Tag ist eine Bühne, die, zum Guten oder Bösen, in Komödie, Farce oder Tragödie, von einem einzigen Hauptdarsteller, dem Selbst, beherrscht wird. Und so wird es sein, bis der Vorhang fällt … Auch wenn [das bewusste Selbst] durch viele Aspekte charakterisiert wird, dieses Selbst ist eine Einheit.«
Charles Sherrington, The Integrative Action of the Nervous System , New Haven, 1947
Montag, 8 Dezember 1980. Vier Schüsse peitschen in schneller Folge durch die Lobby des Appartementblocks am Rand des Central Parks. Die Kugeln schlagen zielsicher in den Rücken eines dunkelhaarigen Mannes in Blue Jeans und Lederjacke. Keine gewöhnlichen Kugeln, die sich einfach ihren Weg durch Fleisch und Knochen bahnen, sondern Hohlmantelgeschosse, die beim Einschlag zersplittern und große Zerstörungen anrichten. »That’s a good shot group!«, bemerkt einer der Ermittler vom NYPD anerkennend, »Eine sehr gute Treffergruppe!« Und auch die Waffe, die der Schütze benutzt hat, ist etwas Besonderes. Eine Undercover .38 Special, mit ihrem schlanken, kurzen Lauf eine ideale Waffe für Undercover Detektive und für Leute, die sicher gehen wollen. Die Waffe ist dafür bekannt, dass es keine Versager gibt, keine Fehlschüsse.
Der Schütze, Mark David Chapman, macht keine Anstalten zu fliehen. Der hilflos wirkende junge Mann lässt sich widerstandslos festnehmen. Er bittet die Polizisten, ein kleines rotes Buch mitzunehmen, das neben ihm auf dem Boden liegt. Es trägt den Titel »Der Fänger im Roggen«, von J. D. Sallinger.
»Eine Stimme in meinem Kopf hat immer wieder gesagt, tu es, tu es!«, wird Chapman bei den folgenden Vernehmungen zu Protokoll geben.
Am nächsten Morgen bestimmt eine Meldung die Nachrichten der Welt: »John Lennon ist tot.«
Company: Gene Design Technologies, San Diego
Sector: Biotechnology
Symbol: GDTN
IPO: $ 18.50
Recommendation: Strong buy
This is one of the hottest IPO’s at NASDAQ this year. Don’t miss. Soon there will be news releases that will push the stock over 400 – 500 %.
Gene Design Technologies owns or has exclusive license rights to sublicense an intellectual property portfolio that contains more than 500 issued and pending biotechnology patents worldwide.
The company has researched the genetic background of Alzheimer’s disease since 1998. In a phase II study designed to evaluate the efficacy and safety of AD-11, an Alzheimer’s disease therapy, patients receiving AD-11 displayed clinically and statistically significant improvements in symptoms.
Alzheimer’s disease is a progressive, irreversible brain disorder. Till now there is no known cause or cure. More than 18 million people worldwide are estimated to have Alzheimer’s disease. By 2025, this figure is projected to increase to 34 million people.
An incredible market for GDT!
Don’t miss this great opportunity. Good Trading To You All.
Er las den Text noch ein paar Mal durch, fügte noch ein, dass die Firma so genannte »Booster« in der Pipeline hat, Medikamente zur Verbesserung der Gedächtnisleistung, die das Zeug zum Blockbuster haben, und dann schickte er die E-Mail mit einem Klick an 10.000.000 Adressen weltweit und ging in die Bar, um sich eine Cola Light aus dem Eisschrank zu holen. Es war bereits 2 Uhr morgens, aber er wollte unbedingt noch die Texte für die zahllosen Aktienforen fertig machen, die er in den nächsten Tagen unter einer Reihe von Pseudonymen mit Informationen zu Gene Design Technologies füttern würde.
Er war sich sicher, dass seine Aktionen einige Millionen Dollar in die Kassen von GDT spülen würden. Es war natürlich nicht genau zu beziffern, welchen Effekt er erzielen würde, das hing auch sehr von seinem Geschick ab, überzeugend zu wirken, seinen Auftraggebern waren seine Dienste trotzdem ein fürstliches Honorar wert. Einen Teil davon bekam er für seine hervorragenden Kenntnisse über das World Wide Web und die Möglichkeiten, Trends zu pushen und Informationen zu streuen. Den größten Teil davon bekam er jedoch für seine absolute Verschwiegenheit.
Jochen war wie gerädert. Es war erst 19 Uhr, aber er fühlte sich unheimlich müde und erschöpft. Er konnte sich nicht erinnern, dass er schon jemals in seinem Leben so müde gewesen war. Was war bloß los mit ihm? Er hatte doch den ganzen Tag über nichts Besonderes gemacht, jedenfalls nichts, an das er sich erinnern konnte. Es gab absolut keinen Grund für diese Müdigkeit. Er musste sich auf die Couch legen, weil er sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte und schlief sofort ein.
Als er wieder aufwachte, war er schweißgebadet. Sein T-Shirt klebte nass auf seinem Rücken. Er sah auf die Uhr. Es war kurz vor 23 Uhr. Er hatte geschlafen wie ein Stein, und es fiel ihm schwer, sich zu orientieren. Nur mit seiner ganzen Kraft schaffte er es, sich aufzurichten und ins Bad zu gehen.
Fast vier Stunden, er musste verdammt tief geschlafen haben. Durch sein Gesicht zogen sich rote Striemen, die das harte Sofakissen dort hinterlassen hatte. Nach ein paar Händen voll kaltem Wasser kam langsam die Orientierung zurück. Stück für Stück erinnerte er sich wieder. Er war seit dem Morgengrauen den ganzen Tag über wie ein Irrer durch die Stadt gerannt und hatte versucht, sich zu beruhigen. Aber auch jetzt fühlte er sich noch immer gedemütigt und verletzt.
Sie hatten sich geschworen, immer ehrlich zueinander zu sein und alles offen auszusprechen. Ihnen war beiden klar, dass eine Liebe zu Ende gehen konnte, aber sie hatten sich versprochen, dann die Wahrheit zu sagen und keine Geheimnisse voreinander zu haben. Und nun war genau das Gegenteil geschehen. Laura hatte ihn auf widerliche Art und Weise betrogen und gedemütigt, auf für ihn geradezu unfassbare Weise. Auch jetzt konnte er es noch nicht fassen und fühlte einen ungeheueren Schmerz. Warum hatte sie das getan, warum nur?
Er hatte sich so darauf gefreut, sie nach ihrer dreiwöchigen Nordamerikareise wieder zu sehen. Deshalb war er am Abend vor ihrer Rückkehr in ihre Wohnung gefahren, um alles für ein kleines Willkommensfrühstück vorzubereiten, mit dem er sie überraschen wollte. Unterwegs hatte er einen Teller italienische Vorspeisen, eine Flasche Champagner und einen Strauß Blumen besorgt. Voller Vorfreude war er damit die fünf Treppen zu Lauras Wohnung in der Danziger Straße hinaufgelaufen, um die Einkäufe im Kühlschrank zu deponieren und den Tisch zu decken, damit alles für ihre Rückkehr bereit war.
Als er die Tür aufschloss, hatte er einen Anflug von schlechtem Gewissen. Laura war sehr heikel, wenn es um ihre Wohnung und um ihre Privatsphäre ging und hatte ihn ausdrücklich gebeten, die Wohnung nur zum Blumengießen zu betreten, als sie ihm vor ihrer Abreise den Schlüssel übergeben hatte. Aber er sagte sich, dass sie ihm sicher verzeihen würde, wenn sie die Blumen und das leckere Frühstück sehen würde und trat in den Flur.
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