„Simon, die Luft ist rein“, sagte Egon Wagner im Flüsterton.
Im Schrank herrschte Totenstille, Egon Wagner befiel eine dunkle Ahnung. Er riss die Schranktür auf, fand den Polen in einer unbequemen Sitzhaltung und einer andächtigen Gesamtstellung vor. Mit dem Augenöffnen hielt in Oppenheim eine Heiterkeit des Gemütes Einzug.
„Im Leben zählt jeder Tag in Freiheit ein Vielfaches gegenüber der Knechtschaft.“
„Iss etwas.“
Oppenheim entstieg dem Schrank mit Geschick, führte Leibesübungen des Dehnens und Streckens aus, begab sich zu Egon Wagner, der seine Mitbringsel auf der Werkbank ablegte.
Oppenheim biss kräftig in die geräucherte Blutwurst, verrichtete einige Kniebeugen, sagte kauend: „Mich plagte große Angst, dass mich mein Magen durch Knurren verrät.“
„Warst Du die ganze Zeit im Schrank?“
„Erst seit ich Stimmen dicht am Fenster hörte. Beim Verstecken gab es Probleme, die Schranktür ging immer wieder auf. Ohne Dein nochmaliges Gehen ins Haus …“
Oppenheim legte einen Zeigefinger an den Hals, riss ihn zur Seite.
„Lass Dir alles schmecken.“
Oppenheim aß und trank mit Hingabe, Egon Wagner schaute zu, empfand Freude wie über die Esslust eines Kleinkindes.
„Was wird das?“, fragte Oppenheim, zeigte auf die Holzteile neben sich.
„Eine Babywiege, die mir nicht recht gelingt“, klagte Egon Wagner stirnrunzelnd, hob die Hände. „Es grüßen zwei linke Hände.“
Oppenheim beäugte alles Herumliegende im Raum, sagte: „Ich sehe fast alles, was eine schöne Babywiege ausmacht. Wenn Du ja sagst, steht ein gutes Stück bald fertig vor Deinen Augen.“
Egon Wagner hielt seine Überlegung nicht lange zurück: „Mein Urlaub geht noch bis Sonntag in einer Woche. Bleib bis dahin. Ich denke, mein Schulkamerad erspart uns bis dahin seine Wiederkehr. Morgen bringe ich Dir warme Kleidung mit.“
„Du bist ein guter Mensch. Überlebe ich, erzähle ich den Siegern unsere gemeinsame Geschichte. Und jetzt gehe ich ans Werk.“
„Niemand hier weiß von Deiner Gegenwart und dabei bleibt es“, mahnte der Andere mit erhobenem Zeigefinger. „In meiner Abwesenheit arbeitest Du nur bei Tageslicht und Geräusche entstehen bitte nur in meiner Gegenwart.“
Als vorbeugende Sicherheitsmaßnahme für die nächsten Stunden einigten sich beide Männer auf ein Schweigen ohne Ausnahmeregelung. Oppenheim sägte, hobelte, schraubte und feilte in gewöhnungsbedürftiger Langsamkeit, jeder Handgriff kündete von meisterlichem Geschick, sein Augenmaß ersetzte zumeist den Zollstock und die Wasserwaage.
Zu fortgeschrittener Stunde unterhöhlte Egon Wagner die Übereinkunft, indem er gerührt sagte: „Ich hole uns noch zwei Bier. Leg eine Pause ein.“
In der restwarmen Küche stieß Egon Wagner auf Lisbeth, die am Tisch ihre klein geratenen Beine in Nylonstrümpfen übereinander winkelte. Sie trank selbstgemachten Apfelwein, rauchte eine Zigarette. Der Ausschnitt des leichten Kleides mit fröhlichen Blumenmustern und ohne Knielänge gestattete tiefe Einblicke zu den schweren Brüsten, die Füße steckten in roten Schuhen. Sie walzte ihre frisch feuerrot geschminkten Lippen aufeinander, tupfte auf ihrem ungleichmäßig gelockten und gewellten Haar herum, blies ihm den Qualm eines tiefen Zuges herausfordernd ins Gesicht.
„Egon, mein liebster, weil einziger Schwager. In der Werkstatt brennt Licht. Endlich errätst Du meine Gedanken.“
Er setzte lange Schritte zum Vorratsschrank, zögerte Augenblicke, fischte inmitten der Gläser mit selbst eingeweckten Früchten und mit mehreren Wurstsorten sowie einiger Apfelweinflaschen eine Flasche Bier mit Bügel heraus.
„Wieso schläfst Du nicht längst?“, fragte er gequält.
„Ich bin schön für Dich“, sagte sie aufreizend. „Oder bin ich nicht schön?“
„Doch, das bist Du zweifellos.“
Sie löste die Beine voneinander, spreizte sie weit auseinander, das Kleid rutschte über die Oberschenkel.
„Von mir aus geht es sofort los“, brachte sie ihr Verlangen hemmungslos zum Ausdruck. „Schenk mir Deinen Heldenschwanz und ich schenke Dir meine feuchtfröhliche Möse.“
„Ich liebe meine Frau“, entwich sein fortgesetztes Schamgefühl.
„Das weiß ich, Egon. Aber Du besitzt die Manneskraft für zwei Frauen. Denk an die Ostfront ab nächster Woche. Da macht höchstens sibirische Kälte aus Deinem Schwanz einen Knüppel. Also ficke lieber auf Vorrat. Hier? Oder lieber in der Werkstatt?“
Sie erhob sich, ein strahlendes Lächeln begleitete ihre Rückkehr vom Küchenfenster.
„Den Schlüssel zur Tür der Werkstatt verwahrst allein Du, die zugeklebten Fenster schützen vor dem Verrat, eine geeignete Unterlage zum Flachlegen sah ich unlängst, als die Tür zufällig einmal offenstand. Insofern lockt ein Liebesnest ohne Fehl und Tadel. Wie für uns erschaffen. Und falls es an Wärme fehlt, wie verrückt einheizen, Herr Soldat, tun wir uns gegenseitig.“
„Ich begehre nicht die Frau meines Bruders.“
„Dein Bruder ist ein Krüppel“, giftete sie jählings. „Früher ein Langweiler, heute eine grausige Zumutung. Weißt Du, wie ich fühle, wenn ich beim Ficken an seinen Beinstumpf anecke? Mehr Teufelei erwartet uns bloß, wenn der Russe in der Tür steht."
„Er ist mein Bruder und ich liebe ihn“, begehrte er auf.
„Dein Bruder“, schniefte sie. „In seinem Schädel lebt nur noch der Führer und aus seinem Schwanz fließt nur noch Pisse.“
"Ich gehe zurück in die Werkstatt und Du ins Bett“, sagte er in geradliniger Strenge. „Mein letztes Wort.“
Lisbeth leerte ihr Glas, schenkte sich nach, trank es ohne Unterbrechung aus. Schnurstracks steuerte sie auf ihn zu, drückte ihm in der Umklammerung die Luft ab. Sie packte seinen Penis, der tatenlos in der Hose ruhte. Im Zurückfallenlassen landete sie auf dem Stuhl, er klatschte auf ihre Oberschenkel, die Auflösung der misslichen Körperverbindung glückte erst durch derbe Griffe an ihre Schulter.
Ihr Blick härtete sich ins Feindselige: „Was mag wohl in der Werkstatt so interessant und wichtig sein, dass mein Schwager dort mehr Zeit verbringt als am Kamin mit seiner Familie“.
Egon Wagner schnippte den Bierbügel auf, schlürfte den ausströmenden Schaum ab.
Lisbeth lachte mit kalter Wut: „Dort versteckt sich der Teufel“.
Die Tür zur Werkstatt riegelte er sofort hinter sich ab, horchte eine Weile auf verräterische Laute hinter der Wand. Oppenheim schlief im verschlissenen Ohrensessel, sandte piepende Töne aus. Egon Wagner breitete die Pferdedecke über ihn, stellte die Bierflasche auf der Werkbank direkt neben die halbfertige Babywiege. Mit dem Löschen des Lichtes und der Rückkehr ins Wohnhaus wartete er eine halbe Stunde, Oppenheims mehrmalige Stöhnschreie förderten Egon Wagners Angst.
Am Tag vor seinem Einberufungsbefehl an die Ostfront mistete Egon Wagner am Vormittag die Kühe vollständig aus. Er sorgte für Vorrat, indem er zwei Wände des Stalles hoch mit Strohballen stapelte, im Anschluss half er Grete und Lisbeth in der Herstellung von Butter und Käse. Die Gespräche kreisten um die Eisverdickung des Flusses, die Nachricht von zwei Gefallenen im Dorf, die stark schwindenden Vorräte an Heizmaterial. Als sie Egon Wagners Rückkehr an die Front anschnitten, schossen aus Grete jene Tränen, die sie bis dahin mühsam unterdrückte. Egon Wagners Umarmung seiner Frau kündete von ungelenker Leidenschaft.
Das Türklopfen trennte die Körper, alle Gesichter im Raum sahen sich sprachlos an. Egon Wagner eiste sich aus der Erstarrung los, Schulzes Gegenwart an der Haustür löste Herzstiche aus.
„Die Hoftür stand sperrangelweit offen“, gab sich Schulze arglos.
„Wahrlich, nicht gut in diesen Zeiten.“
„Ich komme nicht mit leeren Händen“, flüsterte Schulze in Egon Wagners Ohr. „Ich bringe Räder für Deine Babywiege. Vom Gefährt für die Kinder meiner Schwester, das jetzt auf dem Dachboden Staub fängt.“
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