„Sie ist immer noch blind vor Liebe? Die arme Simona, das Erwachen wird furchtbar sein, wenn sie hinter die Wahrheit kommt.“
„Ich bin nur traurig, weil ich gar nicht weiß, wie ich ihr helfen kann, ohne sie zu verletzen. Mama, was soll ich nur machen? Sie einfach in ihr Unglück rennen lassen?“
Katja zuckte mit den Schultern.
„Vielleicht haben die Männer eine Idee. Lasst uns heute Abend Kriegsrat halten. Es wird wehtun, aber so wie es jetzt ist, kann das auch nicht weitergehen. Ich bin da, wenn du mich brauchst. Wie läuft es denn mit Marius?“
„Ach Mama, das ist so schön. Es ist, als würden wir uns ewig kennen. Wir verstehen uns super und er küsst ganz toll. Das ist wie nach Hause kommen. Ich bin schon sehr glücklich. Mit ihm kann ich den ganzen Mist mit Gabriel und Martin vergessen. Es ist auch schön, dass wir nach den Ferien zusammen in die Schule gehen. Er fängt ja nochmal an.“
„Dein Abitur steht bevor, das wirst du sicher mit Bravour meistern. Willst du danach wirklich nach Südfrankreich gehen?“
Nelly beschrieb ihre Ideen und Katja lauschte, hatte sie doch selbst immer alles alleine entscheiden müssen. Sie versprach Nelly ihre Unterstützung.
„Papa und Benni stehen auch hinter dir. Wir sind sehr stolz auf dich. Es gibt so viele junge Leute, die haben keine Perspektive und auch keine Ideen, was sie aus ihrem Leben machen sollen.“
Als die Männer kamen, küsste Marius Nelly zärtlich. Es war Freitagabend und das Wochenende stand bevor. Sie saßen noch eine Weile draußen zusammen, als ein Polizeiauto vor dem Haus hielt. Leon und seine Kollegin kamen um die Ecke.
„Hallo, guten Abend. Nelly, ich dachte mir, dass du hier bist. Können wir kurz reden? Keine Angst, es ist eher privat. Wir waren gerade in der Nähe.“
Der dunkelhaarige Italiener war ruhig und gelassen, hatte er Nelly doch verziehen, dass sie Paolo so enttäuscht hatte. Schließlich war sie ja selbst Opfer. Nelly hatte eine Gänsehaut, folgte ihm aber ins Haus. Die junge Kollegin setzte sich zu den anderen.
„Ich wollte dich nur mal fragen, wie es dir geht“, begann Leon drinnen.
„Es geht mir gut, danke der Nachfrage. Bist du nur deswegen gekommen? Hast du etwas von Gabriel und Martin gehört? Oder … oder von Paolo?“
„Nelly, ich habe ihn vor einer Woche besucht und ihm alles erzählt. Du kannst dir vorstellen, wie er sich fühlt. Die Schuldgefühle sind heftig. Er macht sich Vorwürfe, dass er so schnell aufgegeben hat.“
„Das hat er wirklich, aber ich kann ihn verstehen. Bleibt er jetzt für immer in Italien?“
Leon berichtete, dass Paolo das Weingut seines Großvaters übernommen hatte und sich mächtig ins Zeug legte, um Erfolg zu haben. Er war sichtlich stolz, dass sein Cousin so weit gekommen war. Die Arbeit bei Benjamin hatte ihm einen guten Start ermöglicht.
„Er kommt in zwei Wochen für ein paar Tage zu mir. Sicher wird er dann mit dir reden wollen. Das finde ich übrigens auch richtig.“
Nelly war zusammengezuckt und starrte Leon an.
„Oh weh. Dass wir uns wiedersehen, damit hätte ich niemals gerechnet.“
„Ich wollte dir das nur sagen, damit du nicht überrumpelt wirst.“
Sie gingen hinaus zu den anderen, Leon und seine Kollegin verabschiedeten sich und fuhren vom Hof. Alle sahen aufmerksam in Nellys Gesicht. Sie war blass und still geworden.
„Was ist passiert?“
Nelly schaute in die Runde und ihr Blick blieb an Marius hängen. Sie räusperte sich.
„Paolo kommt in zwei Wochen zu Besuch.“
Marius schwieg, denn er wusste nicht, was er sagen sollte. Katja stand auf, forderte die Männer auf, die beiden alleine zu lassen und alle gingen ihrer Wege. Nelly war froh, dass sie nun ungestört mit Marius reden konnte. Sie setzte sich auf seinen Schoß und umarmte ihn. Er machte sich los, um ihr in die Augen zu sehen.
„Was soll ich jetzt denken?“
„Das weiß ich nicht. Ich weiß ja selbst nicht, was ich davon halten soll. Aber eines weiß ich sicher: Ich liebe dich und will mit dir zusammen sein.“
„Gut, dann denke ich mal nur, dass ich dir vertraue.“
Er hoffte, dass das kein Fehler war, denn was Nelly mit Paolo gemacht hatte, war ihm sehr wohl bewusst. Zärtlich legte er den Arm um sie und küsste sie voller Leidenschaft. Nellys Hände wanderten unter sein T-Shirt. Plötzlich schob Marius sie von seinem Schoß.
„Ich muss heim, Süße. Morgen bin ich wieder da.“
Nelly sah ihm verständnislos hinterher. Warum wollte er nicht bei ihr bleiben? War es Zurückhaltung? Hatte er vor irgendetwas Angst? Hatte sie etwas falsch gemacht? Sie lief heim, wo ihre Eltern schon angekommen waren und setzte sich schweigend zu Katja auf die Couch. Die stieß Christian an, der verstand, gähnte und verabschiedete sich ins Bett. Katja legte einen Arm um Nellys Schultern.
„Willst du mit mir reden?“
Nelly nickte und erzählte ihr, was Marius gesagt hatte.
„Und dann ist er einfach abgehauen. Ich wünschte, er wäre geblieben und mit mir eingeschlafen. Oder will ich zu viel?“
„Süße, ihr seid doch noch ganz am Anfang eurer Beziehung. Ich finde, es ehrt ihn sehr, dass er nicht sofort mit dir ins Bett gehen will. Aber ob du zu viel willst? Keine Ahnung, ich wollte auch immer gleich alles.“
Die beiden Frauen lachten, denn Nelly wusste genau, was Katja meinte. Wie gut, dass Christian schon im Bett war, der hätte seine Frau sicher wieder geneckt.
„Marius ist toll, also sei einfach glücklich. Er wird schon mal bei dir einschlafen wollen. Wie geht es dir denn damit, dass Paolo kommt?“
„Ehrlich gesagt war ich sehr erschrocken. Was ist, wenn ich noch etwas für ihn fühle? Ich bin in Marius verliebt.“
„Warte es ab, meine Kleine, vielleicht triffst du ihn nicht alleine?“
„Solange ich nicht weiß, was genau mit Marius los ist, werde ich am besten Oliver dazu holen. Der hat genügend Abstand.“
Katja nickte, gähnte nun auch und die beiden legten sich schlafen. Marius lag zuhause schon länger auf seinem Bett und dachte über Paolo nach. Was wäre denn, wenn Nelly noch etwas für ihn empfinden würde? Sollte er sie zu dem Treffen begleiten? Aber dafür musste er erst selbst mit seinem Problem reinen Tisch machen. Er seufzte, als es leise klopfte. Seine Mutter schaute durch einen schmalen Spalt und Marius winkte sie hinein.
„Alles gut, mein Sohn?“, fragte sie mit einem Blick auf das hell erleuchtete Zimmer.
Marius rückte ein Stück und Barbara setzte sich zu ihm auf das Bett. Er berichtete von den Tagen auf dem Weingut und dass ihm die Arbeit sehr viel Spaß machte.
„Aber du siehst verwirrt aus. Ist etwas passiert? Stimmt alles mit Nelly und dir?“
„Mama, du kannst immer sehen, wie es mir geht. Ich bin vollkommen verunsichert. Ich habe ihr noch nicht die Wahrheit gesagt und jetzt kommt ihr ehemaliger Freund aus Italien zurück.“
Marius erklärte den Zusammenhang und Barbara hörte genau zu.
„Nun machst du dir Sorgen, dass noch Gefühle zwischen den beiden sind?“
Er nickte resigniert. Barbara strich ihm über den Arm und lächelte zuversichtlich.
„Sie ist mit dir zusammen, sie liebt dich, du liebst sie. Vertraust du ihr?“
Marius nickte und Barbara fuhr fort: „Lass es auf dich zukommen. Vielleicht will sie ja, dass du mit dabei bist, wenn Paolo kommt. Vielleicht hat sie aber auch eine Freundin oder einen guten Freund, der sie bei dem sicher sehr schwierigen Gespräch begleiten kann.“
Marius stellte sich Simona vor und musste lachen. Dann fiel ihm Oliver ein. Er nickte erneut.
„Ich werde Oliver bitten, dass er ein Auge auf sie hat. Nun gibt es aber noch ein anderes Problem. Ich will sehr gerne mit ihr einschlafen und wieder aufwachen, aber wie soll das gehen?“
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