Mord in Kamerun
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6 von 7
Mord am Kanal
Eifersucht
Rosenkrieg
Der Zeuge im Koma
Mörderische Randnotiz
Literarisch-kriminelle Energie
Impressum
Mord in Kamerun
Antje Haugg
Die Sonne war leuchtend orangerot über Kamerun aufgegangen, ein paar Schritte über den Himmel gewandert und hatte auf ihrem Weg einen blassgelben Farbton angenommen. Der frühe Morgen hatte schon einen wunderschönen, warmen und gleißend hellen Sommertag versprochen, und er hielt Wort.
Mittlerweile waren die Morgengesänge der Vögel verstummt, intensives Grillenzirpen hatte sie abgelöst. Die umstehenden Bäume spendeten ein wenig Schatten und Kühle, aber nicht genug. Die Hitze würde am späten Nachmittag unerträglich werden. Es hatte lange nicht geregnet, sodass die spärlichen Grashalme beleidigt ihre Spitzen hängen ließen und eine kränklich-braune Färbung aufwiesen.
Ebenfalls eine kränklich-braune Färbung wies der Wirt auf, der vor seiner Ausflugsgaststätte ›il Tramonto‹ im Gras lag. Eine Grille saß auf seiner Nasenspitze und zirpte ihm einen hysterisch anmutenden Totengesang. In seiner Brust steckte ein großer Wurfspeer, dessen nicht blutbeflecktes Ende wie der Zeiger einer Sonnenuhr zum Himmel aufragte.
Wesentlich hysterischer noch als die Nasenspitzengrille kreischte die Frau auf, die soeben zur Witwe geworden war, als sie ihren Mann in diesem Zustand entdeckte. Und dieses Kreischen sollte so schnell nicht aufhören …
***
Kriminalhauptkommissarin Julia Lehmann kaute gelangweilt auf dem Ende ihres Kugelschreibers herum, während ihr Kollege Stefan Siems ihr gegenüber an seinem Schreibtisch saß und sie amüsiert beobachtete. In der Ecke ihres Büros surrte ein Standventilator, ohne viel zu bewirken. Die stickige Luft waberte dickflüssig durchs Zimmer und erschwerte das Atmen. Die Hitze war hier in der Bayreuther Innenstadt schon am späten Vormittag schier unerträglich. Es war der heißeste Juli seit Jahren, und außerdem der trockenste. Seit Wochen hatte es nicht mehr geregnet, und die Festspielstadt lechzte wenige Tage vor der Premiere regelrecht nach Regen und Abkühlung. Vergeblich – keine Aussicht auf ein Gewitter oder gar ein richtiges Tief. Niemand bewegte sich mehr als nötig, alle schleppten sich lethargisch durch die Tage. Sogar die Verbrecher schienen Sommerferien zu machen: Es passierte so gut wie gar nichts, nicht einmal simple Taschen- und Trickdiebstähle wurden gemeldet. Dementsprechend unterbeschäftigt saßen die beiden Kriminalbeamten an ihren Tischen. Der Nordbayerische Kurier von heute war bereits gelesen, sie waren also zu untätigem Warten auf den Feierabend verurteilt, denn auch der leidige Papierkram war schon aufs Laufende gebracht.
Als sich das schrille Klingeln des Telefons seinen Weg durch die zähe Luft bahnte, schreckten beide hoch und jeder versuchte, als Erster den Hörer zu erwischen. Stefan war einen Tick schneller als Julia und streckte ihr triumphierend die Zunge heraus, bevor er sich meldete. Doch dann wurde er sehr schnell ernst.
Nach wenigen Minuten, die sich für Julia endlos dehnten, legte er auf und winkte ihr aufzustehen.
»Arbeit, Julia – wir müssen nach Kamerun. Da liegt eine Leiche, mit einem Speer aufgespießt.«
Er angelte nach dem Autoschlüssel und wartete mit einem Anflug von Ungeduld auf seine Kollegin, die noch eine lauwarme Flasche Mineralwasser aus ihrer Schublade holte, bevor sie ihm folgte.
Gerade wollten sie zur Zimmertür hinaus, als diese von außen so schwungvoll aufgerissen wurde, dass Stefan sie beinahe an den Kopf bekommen hätte. Im letzten Moment ging er einen Schritt zurück, und das war auch gut so, sonst hätte ihn Staatsanwalt Strasser wohl über den Haufen gerannt. Strasser, den alle hinter vorgehaltener Hand ob seiner Körpergröße nur den Bonsai nannten, schnarrte sofort wütend los:
»Sagen Sie mal, was ist denn das nun wieder für ein schlechter Scherz?!? Ist da jemandem die Hitze nicht bekommen? Was haben wir denn bitteschön mit einem Mord in Kamerun zu schaffen? Müssen wir demnächst auch nach Syrien oder Afghanistan, wenn dort jemand umgebracht wird? Ich verbitte mir solche Anrufe!«
Julia schnaufte genervt durch. Jedes Mal war es dasselbe mit Strasser: Er schaffte es innerhalb von fünf Sekunden, sie auf die Palme zu bringen. Auch heute wieder. Und wie meistens war sie nur zu bereit, sich mit dem Bonsai anzulegen.
»Herr Strasser, darf ich Sie darauf hinweisen, dass dieser Anruf nicht von uns kam, sondern von der Leitstelle? Und davon abgesehen: Sie leben jetzt doch auch schon seit drei Jahren in Bayreuth – da müssten Sie mittlerweile auch wissen, dass es nach Kamerun keine fünf Kilometer sind. Von daher in unserem Zuständigkeitsbereich, und deswegen fahren wir jetzt hin. Also halten Sie uns bitte nicht von unserer Arbeit ab – Sie sind es doch, der es nie erwarten kann, dass endlich Ergebnisse auf dem Tisch liegen.«
Mit diesen Worten rauschte sie an Strasser vorbei und hinaus in die drückende Hitze, gefolgt von ihrem grinsenden Kollegen Stefan. Undeutlich war eine laut knallende Tür zu hören, der Schall schien in der heißen Luft stecken zu bleiben.
»Das war der Bonsai – jetzt ist er wieder auf 180«, kommentierte Stefan und öffnete die Autotür. Sie wichen zurück, da drin war es tatsächlich noch wärmer, obwohl das Auto im Schatten geparkt war.
Es half nichts: Sie mussten hinein und zum Tatort fahren. Julia fluchte leise, als sie das brennend heiße Gurtschloss anfasste. Sie öffneten sämtliche Fenster und fuhren los, über die Nürnberger Straße in Richtung Wolfsbach auf die Bundesstraße und dann links in den Wald hinein, zu der idyllisch gelegenen Ausflugsgaststätte Kamerun, auf einer versteckten Waldlichtung, umgeben von hohen Bäumen, die Schatten spendeten – ohne heute Abkühlung zu verschaffen.
Kurz nachdem sie in den Wald abgebogen waren, bemerkte Julia einen etwa einen Meter großen, auberginefarbenen, dirigierenden Wagner, der am Straßenrand auf einem Sandsteinquader stand. Verwirrt schüttelte sie den Kopf. Diese Hörlfiguren standen doch wirklich überall! Der Künstler hatte, nachdem seine hundertfach angefertigten Russhunde, Wagners Lieblingshund, sehr erfolgreich gewesen waren, nachgelegt und den Meister selbst in großer Stückzahl und einer gewöhnungsbedürftigen Farbauswahl in ganz Bayreuth verteilt.
Noch bevor sie die Leiche sahen, wies ihnen der Schaft eines großen Wurfspeers den Weg, und direkt daneben sahen sie Doktor Kollrab werkeln, der den Toten bereits untersuchte. Er nickte den beiden Beamten freundlich zu, wie immer fasziniert von seiner Arbeit.
»Grüß Gott miteinander! Sehen Sie nur: Der Mörder hat ganze Arbeit geleistet. Ein Volltreffer mitten ins Herz, und das mit diesem Speer. So wie ich es einschätze, aus Distanz geworfen. Das muss ein Profi gewesen sein, der hat nicht zum ersten Mal so ein Gerät in der Hand gehabt. Und ich gehe davon aus, dass der Täter ein Mann war – oder eine professionelle Speerwerferin. Da steckt Kraft dahinter.«
Kollrab bückte sich und zeigte auf die Brust des Toten, die schwarz war von getrocknetem Blut.
»Der Mann musste nicht leiden. Ich schätze mal, bevor er überhaupt wusste, was los ist, war er schon tot.«
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