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Als diesmal das Telefon läutete, war es Julia, die Stefan die Zunge herausstrecken konnte. Und deren Gesicht schnell ernst wurde. Die beiden Ermittler fuhren hinauf zu den 99 Gärten, flüchteten vor Strassers Tobsuchtsanfall. Als der Bonsai dann noch hörte, dass vor einer guten Stunde erst ein Beamter am Tatort gewesen war, ohne Verdacht zu schöpfen, knallten Türen und drohten Köpfe zu rollen. Julia und Stefan konnten wirklich froh sein, dass sie in diesem Moment schon an der Scheffelstraße parkten …
Petra Niklas war noch sehr blass um die Nasenspitze, aber sie hatte sofort einen Notruf abgesetzt, kaum dass sie aus ihrer kurzen Ohnmacht wieder erwacht war. Jetzt stierte sie ins Leere, saß im Schatten eines uralten Kirschbaums und wurde von Dr. Kollrab mit einer Flasche Wasser erstversorgt, ganz nach seinem Motto zuerst die Lebenden und dann die Toten . Nach dem dritten großen Schluck wurde sie wieder munterer, schüttelte immer wieder den Kopf, dass die kinnlangen braunen Haare nur so flogen, und murmelte vor sich hin: »Naa, naa, naa – ich hab doch gedacht, ich find sei Handy und net den ganzn Paul …«
Als Julia und Stefan dazukamen, setzte sich Julia kurzerhand ebenfalls unter den Kirschbaum. Sie stellte sich kurz vor und fragte dann leise, aber eindringlich: »Können Sie mir ein paar Fragen beantworten? Sie haben den Toten gefunden?«
Petra nickte. »Unter den Gartenzwergen. Ihr Kollege Bauer war vorhin hier, aber wir haben doch nicht gedacht, dass unter den Zwergen jemand vergraben liegt … ich hab versucht den Paul zu erreichen, und dann hab ich sein Handy gehört. Deshalb hab ich angefangen zu graben. Ich hab sein Handy gesucht. O Gott, ich hab gedacht, er hat den Mist mit den Zwergen verzapft, und dabei ist er tot …«
»Und wer ist Paul? Ihr Mann?«, wollte Julia wissen. Petra schaute sie verblüfft an. »Mein Mann? Nein, um Himmels Willen, nein. Paul ist unser Vorstand. Paul Bruckner. Ich hab schon mehrfach versucht ihn zu erreichen, wegen der Gartenzwerggeschichte. Aber er hat nicht gehört. Jetzt weiß ich ja, warum.«
»Ist Ihnen irgendetwas aufgefallen? War etwas hier anders als sonst? Oder hat Herr Bruckner etwas Auffälliges erwähnt?«
»Nein, eigentlich nicht. Obwohl – warten Sie mal. Da war doch was, ich weiß nur nicht, ob es etwas mit dem Mord zu tun hat. Es war doch Mord, oder?«
Julia seufzte. »Da werden wir abwarten müssen, was Doktor Kollrab sagt, wenn er den Toten untersucht hat. Aber ich gehe schon von Mord aus. Warum sonst würde man einen Toten einfach irgendwo vergraben? Also, was ist Ihnen eingefallen?«
»Der Paul hat vor ein paar Tagen erzählt, dass irgend so ein Spinner bei ihm angerufen hat. Der wollte wohl unsere Gartenkolonie aufkaufen. Natürlich ist das komplett indiskutabel, und das hat der Paul ihm auch gesagt. Der Kerl hat gemeint, er gibt ihm drei Tage Bedenkzeit, um das mit dem gesamten Vorstand zu besprechen. Und als der Paul gefragt hat, warum zum Geier er überhaupt die ganze Kolonie braucht, was das für ein neues Studentenwohnheim werden soll, da hat der Kerl nur gelacht und gesagt, das wird kein Studentenwohnheim, sondern Kunst. Kunst, die den Hörl blass werden lässt. Festspielhauskunst.«
Schlagartig war Julia trotz der Hitze voll konzentriert. »Festspielhaus, haben Sie gesagt? Stefan – wir haben was!«
Ihr Kollege kam dazu, auch für ihn war sofort klar, dass ein Zusammenhang zu Kamerun bestand. »Scheiße, damit hätten wir einen Serienmörder. Ich frage sofort nach, was die Anrufrückverfolgung bei di Lorenzo ergeben hat.«
»Hat Paul Bruckner Ihnen erzählt, ob er noch ein zweites Mal angerufen wurde?«, wollte Julia noch wissen.
Doch Petra Niklas schüttelte ratlos den Kopf. »Das weiß ich leider nicht, wir haben seitdem nicht mehr miteinander gesprochen. Aber die drei Tage sind jedenfalls schon vorbei, wenn Ihnen das weiterhilft?«
Stefan kam wieder näher. »Nichts. War wohl ein Wegwerfhandy. Wär' ja auch zu schön gewesen … «, sinnierte er.
Doktor Kollrab kniete neben der Leiche, sein Gesicht war knallrot und Julia bekam ernstlich Angst, er könnte sich einen Sonnenstich, Hitzschlag oder gleich beides eingefangen haben.
»Ist Ihr Garten weit weg von hier?«, fragte sie Petra. Als diese verneinte: »Haben Sie einen Sonnenschirm, den wir ausleihen könnten?«
Und so kam es, dass wenig später Doktor Kollrab von einem sonnenschirmtragenden Beamten flankiert wurde, während er die Erstuntersuchung des ehemaligen Vorstands abschloss.
»Er wurde offenbar bewusstlos geschlagen, und zwar, soweit ich das hier und jetzt beurteilen kann, mit einem Gartenzwerg. Am Hinterkopf findet sich eine entsprechende Wunde mit Partikeln, die ich, ohne Garantie, für Tonsplitter halten würde. Und anschließend – und hier sollten wir dankbar sein, dass Frau Niklas nur einen Finger gesehen hat und nicht die komplette Leiche – wurde ihm wohl mit einem Spaten in die Brust gestoßen. Kein wirklich schöner Anblick, er sollte schnell weggeschafft werden, damit er in der Rechtsmedizin auseinander genommen wird. Ach, es ist ein Jammer, dass ich da nicht dabei sein kann. Vielleicht sollte ich meine Versetzung beantragen?«
Er packte sein Köfferchen und verabschiedete sich, hochzufrieden ob der Tatsache, dass er gleich zwei Mordopfer an einem einzigen Tag hatte untersuchen dürfen.
Julia sah ihm stirnrunzelnd hinterher. »Unser verkappter Gerichtsmediziner. Der hat wirklich das falsche Arbeitsgebiet.«
Kollrab behandelte eigentlich die Lebenden, hatte sich aber bereits mehrfach bewährt, wenn er als Bereitschaftsarzt zu Gewalttaten gerufen worden war. Und ganz offenbar hatte sich das zu einem skurrilen Hobby von ihm entwickelt.
Julia und Stefan begleiteten Petra Niklas noch zu deren Garten, wo sie mit zur Abwechslung einmal gekühltem Mineralwasser versorgt wurden, bevor sie wieder zurück fuhren, um Strasser Bericht zu erstatten. Die SpuSi blieb noch vor Ort, aber beide hatten das ungute Gefühl, dass die nicht viel finden würden.
Petra Niklas ihrerseits schwor sich, in dieser Saison nicht mehr in der Erde zu graben, bis die Möhren reif wären.
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Strasser tobte immer noch, und weder Julia noch Stefan rissen sich darum, sein Zimmer zu betreten. Sie hatten insofern Glück, als er bemerkt hatte, dass sie auf den Parkplatz gefahren waren – er stand bereits in ihrem eigenen Zimmer, als sie herein kamen.
»Was ist das hier eigentlich für ein Sauhaufen?«, schnarrte er wutentbrannt, als die Tür aufging. »Macht hier eigentlich jeder nur noch was er will? Wie kann es sein, dass ein Beamter am Tatort ist und nicht mal merkt, dass es ein Tatort ist? Man sollte alle hier um eine Stufe degradieren!« – durch Julias Kopf huschte die boshafte Frage, ob der Bonsai sich da wohl mit einschloss, aber sicherheitshalber biss sie sich auf die Zunge – »Was ist da eigentlich los? Besteht ein Zusammenhang mit dem ersten Mord? Gibt es ein Motiv? Haben Sie schon jemanden festgenommen? Ich hoffe doch, dass ja!«
Strasser ging die Luft aus, und Julia nutzte die Chance, um einzuhaken. Aber wenn sie gedacht hatte, dass Strasser sich beruhigen würde, hatte sie sich getäuscht. Im Gegenteil. Er tobte noch mehr.
»Ein Serienmörder, meinen Sie? Ein Verrückter, der in Bayreuth herumrennt und wahllos Leute um die Ecke bringt? Für Festspielhäuser? Und das kurz vor der Premiere??? Und Sie haben keine Spur, keine Verdächtigen? Was meinen Sie wohl, was morgen im Kurier stehen wird? Polizei unfähig – eine Stadt in Angst! Oder Polizei steht irrem Killer hilflos gegenüber! Ich will Ergebnisse sehen, das wissen Sie genau!«
Der Bonsai sackte regelrecht zusammen, seine Wut war verraucht und verpufft. Stefan schob ihm einen Stuhl hin, auf den er sich fallen ließ.
»Okay, wenn Sie dann fertig sind, Herr Staatsanwalt, dann können wir uns ja vielleicht mal zusammensetzen und die Fakten analysieren?«, fragte Julia bissig. Wenn sie auch nur den Hauch einer Spur hätte vorweisen können, dann hätte sie sich mit dem Bonsai ein Wortgefecht geliefert. Aber unter diesen Umständen erschien ihr das alles andere als ratsam. Und so verbrachte sie den Abend mit ihrem Lieblingsfeind in einer Zweckgemeinschaft, die leider alles andere als fruchtbringend war …
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