Er komplettierte das Trio der Kaffeetassen, nahm sich das Tablett und wies mit dem Kopf Richtung Tür.
Alles, was ich Ihnen über den Koffer sagen kann, ist, dass er außen sehr dreckig war. Die Plane war außen ziemlich sauber, aber innen ordentlich versaut, sagte er auf dem Weg den Flur entlang, aber das können Sie sich ja sicher vorstellen.
Sarah und Thomas nickten beide. Sarah hielt Schwarz die schwere Tür zum Obduktionsraum auf. Ihr Blick fiel auf den großen Aufkleber, der den Verzehr von Speisen und Getränken ausdrücklich verbot. Sie schaute zu Thomas, der nur mit den Schultern zuckte und hinter Schwarz den Raum betrat. Dieser hatte das Tablett bereits abgestellt und den Stapel Papier aus dem Drucker geholt. Sarah und Thomas angelten sich je eine Tasse Kaffee.
Und, woran ist unser kleiner Asiat denn nun gestorben?, fragte Thomas.
Schwarz nahm den frisch gedruckten Obduktionsbericht und schob ihn Richtung Thomas.
Steht alles hier drin. Ist allerdings nur vorläufig, die meisten Ergebnisse stehen noch aus. Aber da ich weiß, dass Sie ungern lesen und sich auch dieses Mal niemand finden wird, der es verfilmt, werde ich es Ihnen wohl mal wieder mündlich mitteilen müssen, sagte er.
Welchen anderen Grund hätten wir denn sonst, Sie in Ihren Katakomben zu besuchen?, grinste Thomas.
Er mochte Schwarz, und das freundschaftliche Geplänkel mit ihm gehörte ebenso zum Alltag wie die feindselige Anmache zwischen ihm und Gröber.
Weil der Kaffee hier um Längen besser ist, als bei Ihnen auf dem Revier? Außerdem sind die Leute hier unten viel ruhiger. Oder aber Sie wollen einfach meine reizende Gesellschaft nicht missen. Mir fallen etliche Gründe ein, mich in meinen Katakomben, wie Sie es ausdrücken, aufzusuchen!
Auch Schwarz lächelte.
Aber zurück zu Ihrem Stichwort „Asiat“. Ich habe Schädelvermessungen durchgeführt und auch ein Schichten-CT gemacht. Die Datenbanken lassen vermuten, dass es sich wirklich um einen Asiaten handelt. Auch die oberflächliche Inaugenscheinnahme des Kiefers bestätigt diese Vermutung. Dr. Mayer, unser Spezialist in Sachen Zähnen, wird sich das heute Nachmittag noch genauer ansehen. Aber die bisherigen Merkmale sind so ausgeprägt, dass ich nichts anderes erwarte als eine Bestätigung. Auch die Körpergröße in Bezug zum Alter lässt diesen Schluss zu.
Wie alt war denn das Opfer zum Zeitpunkt des Todes?, hakte Sarah ein.
Irgendetwas zwischen 35 und 45, eher Richtung 45. Er war somit ein männlicher Erwachsener. Körpergröße so um die 1,65 Meter, Gewicht um die 60 Kilo.
Thomas, der nachdenklich zugehört hatte, nickte.
Ok, also mit ziemlicher Sicherheit ein Asiate. Kleine Statur, bei dem besagten Gewicht eher schlank aber nicht schmächtig. Und woran ist er jetzt gestorben?
Schwarz sah die beiden Ermittler mit ernster Miene an.
Todesursache ist eindeutig Herzversagen.
Sarah und Thomas setzten wie abgesprochen eine demonstrativ gelangweilte Miene auf. Thomas fing an sich im Raum umzusehen, Sarah begutachtete ihre Fingernägel und pfiff dabei leise „New York, New York“.
Also gut, den kannten Sie offensichtlich schon, fuhr Schwarz nach einem kurzen Moment der Stille fort. Er war ein wenig enttäuscht darüber, dass sein Rechtsmediziner-Witz über die Tatsache, dass letzten Endes fast jeder an Herzversagen starb, bei Sarah und Thomas nicht die erhoffte Reaktion zur Folge hatte. Er bedeutete ihnen zum Seziertisch mitzukommen. Seine Kaffeetasse noch in der Hand, öffnete er die hermetisch schließende Glastür und augenblicklich schlug Sarah und Thomas eiskalte Luft entgegen. Schwarz schlug das weiße Tuch, welches den Körper des Toten bedeckte und an manchen Stellen bereits bräunlich durchfleckt war, komplett zurück.
Fangen wir mit dem Offensichtlichen an! Die etwas merkwürdige Stellung der Beine mag Ihnen auffallen, aber das liegt daran, dass unser Täter, nachdem das Opfer tot war, beide Beine extrem nach oben gebogen hat, damit er in diesen Koffer überhaupt hineinpasste. Er hat ihn sprichwörtlich zusammengefaltet. Ich habe aus obduktionstechnischen Gründen die Beine wieder in eine normale Position gebracht, aber so richtig gut sieht das halt nicht aus.
Sarah verzog angewidert das Gesicht. Schwarz gab Thomas eine Reihe von Fotos. Es waren die Aufnahmen von dem Leichnam in dem Koffer, die das Freilegen des Körpers Schritt für Schritt dokumentierten. Zuerst einige mit der Gewebeplane, dann folgten die Bilder, auf denen der Tote immer weiter zum Vorschein kam. Es war grausam anzusehen, denn er hatte tatsächlich den Kopf zwischen den Füßen.
Warum hat er ihn nicht einfach in eine Hocke gebracht und dann in den Koffer gepackt?, fragte Thomas.
Dazu hat der Tote ein zu breites Kreuz. Seine Schultern sind doppelt so breit wie sein Brustkorb stark ist. Der Koffer war einfach nicht tief genug.
Und wenn er den Oberkörper gegenüber der Hüfte um 90 Grad verdreht hätte?
Sarah betrachtete die Bilder und versuchte sich vorzustellen, wie der Täter diese abscheuliche Verstümmelung hätte vermeiden können.
Dann hätte er dasselbe Problem mit der Hüfte bekommen. Hüfte und Schultern sind so breit, dass sie beide flach auf dem Boden des Koffers zu liegen kommen mussten. Es handelt sich hier also nicht um unnötige Gewalt sondern schlicht um Notwendigkeit. Offensichtlich war dieser Koffer das einzige Behältnis, in dem unser Täter die Leiche fortschaffen konnte. Die Alternative wäre gewesen, die Beine abzutrennen und sie dann neben den Körper zu packen. Aber warum eine riesige Sauerei veranstalten, wenn es auch ohne unnötiges Blutvergießen geht? Auf jeden Fall sind bei dieser Aktion beide Hüftgelenke aus den Pfannen gesprungen, eines ist sogar gebrochen. Sämtliche Bänder und Sehen sind massiv gedehnt oder gerissen. Ich muss es an dieser Stelle ausdrücklich sagen: Dazu ist eine ziemliche Kraft notwendig. Ihr Täter dürfte also sehr kräftig gebaut sein oder aber zumindest über relativ große physische Kräfte verfügen. Und er dürfte auch relativ groß sein, aber darauf komme ich später. Was ich sagen wollte: das Brechen der Beine und alles, was ich sonst an dem Leichnam feststellen konnte, ist postmortal geschehen, außer diesem hier.
Er deutete auf eine Verletzung, die sich von der linken bis zur rechten Seite des Brustkorbes hinzog, augenscheinlich ein Stückchen unter dem letzten Rippenbogen.
Ursächlich für das Ableben unseres kleinen Freundes ist allein diese Stich-Schnittwunde. Keine Kampfspuren, keine Abwehrverletzungen, keine Hämatome. Keine weiteren Stich- oder Schnittverletzungen mit Ausnahme... aber darauf komme ich später zurück. Als tödliche Verletzung kommt nur diese eine in Frage.
Schwarz sah seine beiden Zuhörer aufmerksam an. Da sie keine Frage stellten, trank er von seinem Kaffee, die er neben die Leiche auf den Seziertisch gestellt hatte, und fuhr dann fort.
Der Stich, oder besser: der Schnitt ist sehr tief, ganz genau kann ich das wegen des Zustandes des umgebenden Gewebes nicht sagen, aber schätzungsweise 16 Zentimeter plus/minus maximal zwei Zentimeter.
Thomas maß die 16 Zentimeter zwischen seinen Händen.
Das ist dann in etwa die Länge der Mordwaffe. Gehen Sie von einem Messer aus? Oder kann es auch etwas anderes gewesen sein?
Schwarz schüttelte den Kopf.
Ich tippe in jedem Fall auf Messer, und zwar extrem scharf! Zumindest vermute ich das. Sehen Sie mal her.
Er hatte sich Gummihandschuhe übergezogen und zog die Wundränder etwas auseinander, damit Sarah und Thomas einen Blick hineinwerfen konnten.
Sehen Sie das? Über etwa zehn Zentimeter hinweg ist die Wunde in etwa gleich tief, dann fängt sie an, nach außen hin flacher zu werden. Der Täter hat auf der linken Seite zugestochen und dann die Wunde mit einem Schnitt immer dem Rippenbogen folgend nach rechts ausgeweitet. Selbst beim Herausziehen der Waffe hat er diese noch nach rechts bewegt und dabei den Schnitt weitergeführt.
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