Ich etablierte mich immer besser in meine Bahnhofsclique.
Meine erste richtige Freundin dort, war Mara.
Alle Kids, am Bahnhof, waren Straßenkinder, ich war die einzige, die noch zu Hause lebte.
Und bald, nahmen sie mich mit auf meine erste Party.
Es war eine typische Hinterhofparty, mit Bier, Sex on the Beach aus der Dose, Vodka Bull.
Ich war in meinem neuen Element, ohne es zu wissen.
Ich trank, lachte und dann stürzte ich ab. Für diesen Abend. Für diese Stunde. Diese eine Minute. Für den Rest meiner Jugend.
Ein paar Jahre später als ich 15 war:
Ich tanzte mit einem Kerl, keine Ahnung wie er hieß, keine Ahnung wie er ausgesehen hat, aber was ich noch genau weiß, war wie er gerochen hat.
Nach Moor, und nach Schnaps.
Ich tanzte und nach und nach hatte ich immer weniger an. Mein T-Shirt flog auf einen Stuhl, mein Rock segelte auf das Autodach und ich in Unterwäsche auf die riesige Motorhaube des Mercedes. Dort kroch ich hin und her und wurde mit Bier geduscht und mit Ketchup besprenkelt.
Ich stand auf der Motorhaube und bekam das Mikro der Karaoke Maschine in die Hand. Dann schmetterte ich 99 Luftballons vor mich hin.
Das Video gibt es immer noch. Und ich war nicht mal schlecht.
Das entscheidende an dem Song war aber, dass ich weinte.
Es war der einzige Song gewesen, den ich und meine Mutter immer zusammen gesungen hatten, wenn wir weggefahren waren.
Ich weinte auf der Autohaube eines Mercedes Benz während ich den schönsten Song der Welt sang und an nichts dachte, als an meine Mutter. Und wo immer sie war, ich liebte sie.
Nach diesem Song hab ich keine Ahnung mehr was passiert war. Ich weiß nur, dass ich zwischen alten Bananenschalen, leeren Bierdosen und Pizzakartons aufwachte, zwischen denen Ratten und Kakerlaken rumwuselten.
Ich suchte in dem ganzen Chaos nach meiner Handtasche.
Ich fand sie unter dem Deckel eines Mülleimers, der scheinbar, ob meines Gewichtes, umgekippt war.
Ich wühlte in der Tasche nach meinem Handy, tippte die Nummer unserer Villa und wartete bis mein Großvater abhob.
„Gebrecht? Hallo!“
„Opa! Hier ist Marie, kannst du mich abholen?“ fragte ich verpennt und verkatert.
„Aah,“ stöhnte er genervt, aber offensichtlich erleichtert, dass ich lebte.
„Schätzchen wo bist du?“ fragte er
„Keine Ahnung Opa, ich liege zwischen den Müllcontainern von irgendeinem indischen Restaurant. Könnte auch Japanisch sein…“
„Okay rühr dich nicht von der Stelle ich denke ich weiß wo du bist.“ Sagte er entnervt.
„Okay.“ Fauchte ich und legte auf.
Ich versuchte mich weitestgehend von dem ganzen Müll zu befreien, der an meiner Kleidung hing und mich zu einem stinkenden Müllmonster machte.
Ich wartete geschlagene zwei Stunden auf meinen Opa.
Als er endlich kam stand ich auf der Straße und war bibbernd in mein bauchfreies Top und meinen Minirock versunken.
„Wenn hier jemand vorbeifährt, der Bock auf ne schnelle Nummer hat, hält er mit Sicherheit und fragt wie viel du kostest!“
Schnauzte mein Opa.
„Witzig!“ fauchte ich zurück. „Wo warst du überhaupt so lange? Ich habe ja mindestens zwei Stunden gewartet!“
Motzte ich.
„Tut mir wirklich leid, aber ich wusste ja aufgrund deiner wahnsinnig konkreten Wegbeschreibung, nicht einmal ansatzweise wo ich hinfahren musste. Ach so und bevor ich es vergesse, du hast dich am wenigsten zu beschweren! Ich bin derjenige, der sich vom Frühstückstisch mit deiner Oma entschuldigen musste, weil sie nicht wissen darf, dass ihre kleine Prinzessin sich auf einer Hinterhofparty so sehr die Kante gegeben hat, dass sie wahrscheinlich nicht mal mehr weiß, wann sie zuletzt vernünftige Klamotten anhatte!“
Ich war seine Moralpredigten so leid. Immer hatte er etwas zu bemäkeln, immer dann, wenn ich es am wenigsten gebrauchen konnte.
„Achja? Ich bin es satt mir das immer anzuhören. Was denkt sie denn wo ich die ganze Nacht bin? Bei meiner Freundin Mercy und schmeiße mit ihr eine fette Pyjamaparty, mit Keksen und Chips und Cola bis zum abwinken? Gott so naiv kann sie gar nicht sein! Sie ist eine erwachsene Frau und wird doch wissen, dass ich mit fünfzehn andere Vorstellungen von Feiern habe als eine fünfjähre. Sie wird doch nicht wirklich glauben, dass ich immer noch das brave, kleine Mädchen bin, das ich war, bevor …“ Ich brach im Satz ab.
Er wusste was ich meinte. Er wusste es nur zu gut.
Den Rest der Fahrt schwiegen wir beide.
Zu Hause angekommen hüpfte ich aus dem Wagen und rannte in mein Zimmer, ich wollte kein dummes Gespräch mit ihr führen, über meine Zustände.
Es war mein Leben und wenn sie sich einmischte, kam nie etwas Gutes dabei heraus.
Dummerweise hält sie kaum etwas davon ab, mit mir solche Gespräche zu führen, und dabei auch noch meine Mutter ins Spiel zu bringen, also klopfte es kurze Zeit später an meiner Zimmertür.
„Marie? Bist du da? Wir müssen uns unterhalten!“ sagte sie entnervt.
„Sieht so aus oder, aber eigentlich will ich nicht mir dir reden!!“ motzte ich zurück.
„Du glaubst gar nicht wie egal mir das ist.“ Schrie sie und kam herein.
„Worüber willst du diesmal diskutieren? Darüber wie schrecklich ich mich verhalte, darüber wie spät ich nach Hause komme oder wie oft, darüber wie schlimm und schwierig ich doch bin??? Worüber sag’s mir dann kann ich den Gesprächsverlauf ausdrucken!!“ fetzte ich ihr entgegen.
„Das ist nicht mehr komisch Marie. Ich kann nicht mehr. Du machst mich wahnsinnig!! Ich wollte immer nur dein Bestes. Immer. Und ich wollte immer, dass ich dich nicht so zu erziehen brauche, wie deine Mutter es immer versucht hat zu vermeiden. Denkst du sie wäre stolz auf das was du tust!? Das wäre sie nicht. Wenn sie sehen würde wie du dich zurichtest! Wie du dich mit deinen Alkoholorgien und weiß Gott was noch kaputt machst! Marie ich kann nicht mehr und ich und dein Großvater, haben überlegt, ob wir … ob wir dich nicht auf ein Internat schicken sollen.“
Das sagte sie so eiskalt und direkt, dass ich nichts sagen konnte. Ich atmete tief durch um ihr nicht ins Gesicht zu springen, aber dann brach es aus mir heraus.
„Was denkst du denn welche verdammte Schule mich nehmen würde?? Mit welchem Zeugnis willst du mich dort einschreiben? Mit meinem Grundschulzeugnis?? Ich war seit über einem Jahr nicht mehr regelmäßig in der Schule. Ich war seit Ewigkeiten bei keinem Test mehr dabei. Ich habe nichts mehr, was auf ein Leben schließen lässt. Welches verfluchte Internat würde mich schon nehmen!!!“ Danach sah sie mich an als hätte ich die Büchse der Pandora geöffnet.
„Wir haben uns schon eine Schule ausgesucht. In Brighton!“ sagte sie.
„Das ist in England verfluchte Scheiße! Du kannst mich nicht einfach abschieben. Und schon gar nicht nach England. Was ist mit meinen Freunden, mit meinen Erinnerungen. Was ist mit Kobold? Ich werde nicht einfach gehen. Nicht nach England!!“
„Ich schiebe dich nicht ab. Und Freunde wirst du neue finden!! Kobold wirst du in den Ferien sehen, wenn wir dich besuchen kommen. Dann gehen wir in das Ferienhaus und haben ein paar nette Wochen zusammen.“ Sie hatte entschieden.
Sie hatte für mich entschieden, dass ich weggehen würde.
Sie wollte mich vollständig isolieren und genau das tat sie.
Ich sah sie mit den wütendsten Augen an, die man einer Fünfzehnjährigen zutrauen würde.
„Das kannst du mir nicht antun! Wenn du das tust, dann schwöre ich bei Gott, rede ich nie wieder ein Wort mit dir. Nie wieder!“ schrie ich.
„Dann soll es so sein. Irgendwann wirst du mir dafür danken.“ Schrie sie zornig zurück.
„Nie werde ich dir danken, dass du mir alles genommen hast was ich noch hatte!! Ich habe doch sowieso schon nichts mehr! Warum willst du mir das Nichts auch noch nehmen.!?“ schrie ich und fing an zu weinen.
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