Manchmal zeichnete sie. Es belustigte ihn ungemein, dabeizustehen und zuzusehen, wie sie sich über das Blatt beugte oder wie sie die Augen zukniff und ihr Werk kritisch betrachtete oder wie sie mit den Fingern Brotkügelchen drehte, die sie zum Verwischen brauchte. Wenn sie am Klavier saß, war sein Entzücken umso größer, je geschwinder ihre Hände über die Tasten sprangen. Dann trommelte sie ordentlich auf dem Klavier herum und machte ein Höllenkonzert. Das alte Instrument dröhnte und wackelte, und wenn das Fenster offen stand, hörte man das Spiel im ganzen Dorfe. Der Gemeindediener, der im bloßen Kopfe und in Pantoffeln, Akten unterm Arme, über die Straße humpelte, blieb stehen und lauschte.
Dabei war Emma eine vorzügliche Hausfrau. Sie schickte die Liquidationen an die Patienten aus und zwar in höflichster Briefform, die gar nicht an Rechnungen erinnerte. Wenn sie sonntags irgendwen aus der Nachbarschaft zu Gaste hatten, wusste sie es immer einzurichten, dass etwas Besonderes auf den Tisch kam. Sie schichtete auf Weinblättern Pyramiden von Reineclauden auf und verstand, die eingezuckerten Früchte so aus ihren Büchsen zu stürzen, dass sie noch in der Form serviert wurden. Demnächst sollten auch kleine Waschschalen für den Nachtisch angeschafft werden. Mit alledem vermehrte sie das öffentliche Ansehen ihres Manns. Schließlich fing er selbst an, mehr und mehr Respekt vor sich zu bekommen, weil er solch eine Frau besaß. Mit Stolz zeigte er zwei kleine Bleistiftzeichnungen Emmas, die er in ziemlich breite Rahmen hatte fassen lassen und in der Großen Stube an langen grünen Schnuren an den Wänden aufgehängt hatte. Wenn die Kirche zu Ende war, sah man Herrn Bovary in schöngestickten Hausschuhen vor der Haustür stehen.
Er kam spät heim, um zehn Uhr, zuweilen um Mitternacht. Dann aß er noch zu Abend, und da das Dienstmädchen bereits Schlafen gegangen war, bediente ihn Emma selber. Er pflegte seinen Rock auszuziehen und sichs zum Essen bequem zu machen. Kauend zählte er gewissenhaft alle Menschen auf, denen er tagsüber begegnet war, nannte die Ortschaften, durch die er geritten, und wiederholte die Rezepte, die er verschrieben hatte. Zufrieden mit sich selbst, verzehrte er sein Gulasch bis auf den letzten Rest, schabte sich den Käse sauber, schmauste einen Apfel und trank die Weinkaraffe leer, worauf er zu Bett ging, sich aufs Ohr legte und zu schnarchen begann. Wenn er frühmorgens aufmachte, hing ihm das Haar wirr über die Stirn.
Er trug stets derbe hohe Stiefel, die in der Knöchelgegend zwei Falten hatten; in den Schäften waren sie steif und geradlinig, als ob ein Holzbein drinnen stäke. Er pflegte zu sagen: „Die sind hier auf dem Lande gut genug!“
Seine Mutter bestärkte ihn in seiner Sparsamkeit. Wie vordem kam sie zu Besuch, wenn es bei ihr zu Haus kleine Misslichkeiten gegeben hatte. Allerdings hegte die alte Frau Bovary gegen ihre Schwiegertochter sichtlich ein Vorurteil. Sie war ihr „für ihre Verhältnisse ein bisschen zu großartig.“ Mit Holz, Licht und dergleichen werde „wie in einem herrschaftlichen Haus gewüstet.“ Und mit den Kohlen, die in der Küche verbraucht würden, könne man zwei Dutzend Gänge kochen! Sie ordnete ihr den Wäscheschrank und hielt Vorträge, wie man dem Fleischer auf die Finger zu sehen habe, wenn er das Fleisch brachte. Emma nahm diese guten Lehren hin, aber die Schwiegermutter erteilte sie immer wieder von neuem. Die von beiden Seiten in einem fort gewechselten Anreden „Liebe Tochter“ und „Liebe Mutter!“ standen in Widerspruch zu den Mienen der Sprecherinnen. Beide Frauen sagten sich Artigkeiten mit vor Groll zitternder Stimme.
Zu Lebzeiten von Frau Heloise hatte sich die alte Dame nicht in den Hintergrund gedrängt gefühlt, jetzt aber kam ihr Karls Liebe zu Emma wie ein Abfall vor von ihr und ihrer Mutterliebe, wie ein Einbruch in ihr Eigentum. Und so sah sie auf das Glück ihres Sohnes mit stiller Trauer, just wie ein um Hab und Gut Gekommener auf den neuen Besitzers eines ehemaligen Hauss blickt. Sie mahnte ihn durch Erinnerungen daran, wie sie sich einst für ihn gesorgt und abgemüht und ihm Opfer gebracht hatte. Im Vergleiche damit leiste Emma viel weniger für ihn, und darum wäre seine ausschließliche Anbetung durchaus nicht gerechtfertigt.
Karl wusste nicht, was er dazu sagen sollte. Er verehrte seine Mutter, und seine Frau liebte er auf seine Art über alle Maßen. Was die eine sagte, galt ihm für unfehlbar; gleichwohl fand er an der anderen nichts auszusetzen. Wenn Frau Bovary wieder abgereist war, machte er schüchterne Versuche, die oder jene ihrer Bemerkungen wörtlich zu wiederholen. Emma bewies ihm dann mit wenigen Worten, dass er im Irrtum sei, und meinte, er solle sich lieber seinen Patienten widmen.
Immerhin versuchte sie nach Theorien, die ihr gut schienen, Liebesstimmung nach ihrem Geschmack zu erregen. Wenn sie bei Mondenschein zusammen im Garten saßen, sagte sie verliebte Verse her, soviel sie nur auswendig wusste, oder sie sang eine schwermütige gefühlvolle Weise. Aber hinterher kam sie sich selber nicht aufgeregter als vorher vor, und auch Karl war offenbar weder verliebter noch weniger stumpfsinnig denn erst.
Das waren vergebliche Versuche, eine große Leidenschaft zu entfachen. Im Übrigen war Emma unfähig, etwas zu verstehen, was sie nicht an sich selber erlebte, oder an etwas zu glauben, was nicht offen zutage lag. Und so redete sie sich ohne weiteres ein, Karls Liebe sei nicht mehr übermäßig stark. In der Tat gewannen seine Zärtlichkeiten eine gewisse Regelmäßigkeit. Er schloss seine Frau zu ganz bestimmten Stunden in seine Arme. Es wurde das eine Gewohnheit wie alle anderen, gleichsam der Nachtisch, der kommen muss, weil er auf der Menükarte steht.
Ein Waldwärter, den der Herr Doktor von einer Lungenentzündung geheilt hatte, schenkte der Frau Doktor ein junges italienisches Windspiel. Sie nahm es mit auf ihre Spaziergänge. Mitunter ging sie nämlich aus, um einmal eine Weile für sich allein zu sein und nicht in einem fort bloß den Garten und die staubige Landstraße vor Augen zu haben.
Sie wanderte meist bis zum Buchenwäldchen von Banneville, bis zu dem leeren Lusthäuschen, das an der Ecke der Parkmauer steht, wo die Felder beginnen. Dort wuchs in einem Graben zwischen gewöhnlichen Gräsern hohes Schilf mit langen scharfen Blättern. Jedesmal, wenn sie dahin kam, sah sie zuerst nach, ob sich seit ihrem letzten Hiersein etwas verändert habe. Es war immer alles so, wie sie es verlassen hatte. Alles stand noch auf seinem Platze: die Heckenrosen und die wilden Veilchen, die Brennnesseln, die in Büscheln die großen Kieselsteine umwucherten, und die Moosflächen unter den drei Pavillonfenstern mit ihren immer geschlossenen morschen Holzläden und rostigen Eisenbeschlägen. Nun schweiften Emmas Gedanken ins Ziellose ab, wie die Sprünge ihres Windspiels, das sich in großen Kreislinien tummelte, gelbe Schmetterlinge ankläffte, Feldmäusen nachstellte und die Mohnblumen am Raine des Kornfeldes anknabberte. Allmählich gerieten ihre Grübeleien in eine bestimmte Richtung. Wenn die junge Frau so im Grase saß und es mit der Stockspitze ihres Sonnenschirmes ein wenig aufwühlte, sagte sie sich immer wieder: „Mein Gott, warum habe ich eigentlich geheiratet?“
Sie legte sich die Frage vor, ob es nicht möglich gewesen wäre durch irgendwelche andere Fügung des Schicksals, dass sie einen anderen Mann hätte finden können. Sie versuchte sich vorzustellen, was für ungeschehene Ereignisse dazu gehört hätten, wie dieses andere Leben geworden wäre und wie der ungefundene Gatte ausgesehen hätte. In keinem Falle so wie Karl! Er hätte elegant, klug, vornehm, verführerisch aussehen müssen; so wie zweifellos die Männer, die ihre ehemaligen Klosterfreundinnen alle geheiratet hatten ... Wie es denen wohl jetzt erging? In der Stadt, im Getümmel des Straßenlebens, im Stimmengewirr der Theater, im Lichtmeere der Bälle, da lebten sie sich aus und ließen die Herzen und Sinne nicht verdorren. Sie jedoch, sie verkümmerte wie in einem Eiskeller, und die Langeweile spann wie eine schweigsame Spinne ihre Weben in allen Winkeln ihres sonnelosen Herzens.
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