»Das geschah wieder mit dem Bambus«, sagte Mogli. »Sieh, solchen weißen Staub essen die Menschen. Sie haben diesem, der ihr Futter trug, den Tod gegeben – geben ihn nun Tschil, dem Geier, zum Futter.«
»Der dritte ist es«, sagte Baghira.
»Frische dicke Frösche will ich der Weißen Haube bringen, sie fett zu machen«, sagte Mogli zu sich selbst. »Der Elefantentrinker ist der Tod selbst – aber noch verstehe ich nicht!«
»Folge!« rief Baghira.
Sie waren kaum eine halbe Meile weiter vorgedrungen, als sie Ko, die Krähe, das Totenlied singen hörten im Wipfel eines Tamarindenbaumes, unter dessen Schatten drei Männer hingestreckt lagen. In der Mitte des Kreises rauchte ein halberloschenes Feuer unter einer eisernen Platte, auf der Brotkuchen verkohlten. Dicht bei dem Feuer lag, hell im Sonnenlicht glitzernd, der mit Rubinen und Türkisen bedeckte Ankus.
»Schnell arbeitet das Ding. Hier endet alles«, sagte Baghira. »Wie aber kamen diese Menschen um, Mogli? Kein Fleck noch Wunde ist an ihnen.«
Ein Dschungelbewohner weiß aus Erfahrung mehr über giftige Pflanzen und Beeren als die meisten Ärzte. Mogli roch in den Rauch, der vom Feuer hochstieg, brach ein Stück des geschwärzten Brotes, kostete es und spie es wieder aus.
»Apfel des Todes«, hustete er. »Der erste muß ihn in das Futter gemischt haben für die anderen, die ihn töteten, nachdem sie den Gond getötet hatten.«
»Große Jagd – wahrlich«, rief Baghira, »Tod folgt auf Tod.«
»Apfel des Todes« nennt man in der Dschungel den Dornapfel oder Datura – das stärkste Gift in ganz Indien.
»Was nun?« fragte der Panther. »Du und ich, müssen wir nun einander töten, für den rotäugigen Schläger dort?«
»Kann er reden?« flüsterte Mogli. »Habe ich ihn beleidigt, als ich ihn fortwarf? Zwischen uns kann er nicht Unheil stiften, denn wir wünschen nicht, was Menschen begehren. Bleibt er aber hier liegen, wird er sicherlich weiter Menschen töten, einen nach dem anderen, so schnell, wie Nüsse von den Bäumen fallen im Sturm. Liebe zu Menschen habe ich nicht, aber selbst ich will nicht, daß sechs in einer Nacht umkommen.«
»Was tut es? Nur Menschen sind es! Sie töteten einander und fanden Lust daran«, sagte Baghira. »Gut jagte der erste kleine Waldmensch.«
»Junge sind sie nichtsdestoweniger; ein Junges würde sich ersaufen, um den Mond im Wasser zu beißen. Meine Schuld war es«, sprach Mogli, der redete, als ob er alles über alles wüßte. »Niemals wieder schleppe ich fremde Dinge in den Dschungel – und wären sie wie Blumen so schön. Dieser«, behutsam hob er den Ankus auf, »kehrt zu dem Ahn der Kobras zurück. Aber schlafen müssen wir erst und schlafen können wir nicht in der Nähe der Schläfer dort. Auch müssen wir ihn vergraben, er könnte sonst fortrennen und noch sechs weitere töten. Scharre ein Loch unter dem Baume.«
»Aber, kleiner Bruder«, wandte Baghira ein, dem Baum zuschreitend, »ich sage dir, nicht der Blutsäufer hat schuld. An den Menschen liegt alles.«
»Einerlei«, entgegnete Mogli. »Tief grabe das Loch. Wenn wir erwachen, hole ich ihn heraus und trage ihn zurück.« Zwei Nächte später, als die weiße Kobra im Dunkel der Gruft lag – geschändet, bestohlen, einsam –, wirbelte der von Edelsteinen funkelnde Ankus durch das Loch in der Mauer und fiel klirrend in das Meer güldener Münzen am Boden.
»Urahn der Kobras!« rief Mogli – er blieb wohlweislich außerhalb der Mauer –. »Nimm dir aus deinem Volke einen Jungen und Starken zu Hilfe, um den Schatz des Königs zu hüten, auf daß nie wieder ein Mensch diesen Ort lebend verlasse.«
»Ah, ah! Er kehrt also heim«, murmelte die alte Kobra und wand sich liebkosend um den Ankus. »Ich sagte doch, das Ding ist der Tod. Wie kommt es, daß du noch lebst?«
»Bei dem Bullen, für den Baghira mich in das Rudel der Sioniwölfe einkaufte, ich weiß es nicht! Das Ding hat sechsmal getötet in einer Nacht. Bewahre es wohl in ewiger Finsternis.«
Gesang des kleinen Jägers
Eh' Mor, der Pfau, aufflattert,
eh' das Affenvolk erwacht,
Eh' Tschil, der Geier,
stößt zu Tal voll Gier –
Durch die Dschungel fliegt ein Schatten,
und ein Seufzen stöhnet sacht –
Das ist Furcht, o kleiner Jäger –
Furcht ist hier!
Sachte, sachte, an dem Hang
heimlich, lauernd schleicht's entlang,
Und ein Flüstern regt sich ängstlich
fern und nah –
Und der Schweiß deckt dein Gesicht,
denn vorüber strich's ganz dicht –
Das ist Furcht, o kleiner Jäger –
Furcht ist da!
Eh' der Mond den Fels erklomm,
eh' den Grat in Licht er taucht,
Wann des Waldvolks Schwänze
hangen schwer und feucht,
Ha! ein Atem heiß dich haucht –
schnobernd durch die Nacht es faucht –
Das ist Furcht, o kleiner Jäger –
Furcht da schleicht!
Auf die Knie, den Strang gestrafft,
von der Sehne schnell den Schaft –
In das höhnend leere Dickicht
wirf den Speer –
Bebend sinket dir die Hand,
aus der Wang' das Blut entschwand –
Nah ist Furcht, o kleiner Jäger –
Furcht schlich her!
Wenn die Wolke saugt den Sturm,
krachend sich ihm beugt der Wald,
Wenn im Regensturz
des Himmels Dach zerbricht,
Durch des Donners Toben hallt,
horch – ein Ton, der lauter schallt –
Furcht, o kleiner Jäger,
Furcht da spricht!
Höher schwillt des Stromes Lauf,
wilder tanzt der Kiesel Hauf',
Zuckend Blitz auf Blitz
das Blättermeer durchfurcht,
Angst vertrocknet Kehl' und Lippen,
und das Herz tost an die Rippen,
Hämmert: Furcht – o kleiner Jäger –
das ist Furcht!
Quiquern
Das Volk vom östlichen Eise,
es schmilzt wie der Schnee vom Dach,
Sie betteln um Kaffee und Zucker,
sie zieh'n dem weißen Mann nach.
Das Volk vom westlichen Eise,
es lernte schon fechten und stehlen,
Er verkauft seine Felle den Händlern,
dem weißen Mann seine Seelen.
Das Volk von dem südlichen Eise
mit den Walfischfängern es hält,
Ihr Weibvolk schmückt sich mit Bändern,
aber nackt und zerfetzt ist das Zelt.
Doch das Volk vom ältesten Eise
– der weiße Mann sah es nie –
Von Narwalhorn sind ihre Speere,
und die letzten Männer sind sie.
»Sieh doch, er hat die Augen geöffnet!«
»Zurück wieder ins Fell mit ihm. Ein starker Hund wird es einmal werden. Im vierten Monat werden wir ihm einen Namen geben.«
»Welchen?« fragte Amoraq.
Kadlu schaute in dem fellgefütterten Schneehaus umher, bis sein Blick auf den vierzehnjährigen Kotuko fiel, der auf der Schlafpritsche hockte und einen Knopf aus Walroßzahn schnitzte.
»Nenne ihn nach mir«, sagte Kotuko grinsend; »ich werde ihn eines Tages brauchen können.«
Auch Kadlu grinste, bis seine Augen beinahe im Fett der flachen Backen verschwanden, und nickte Amoraq zu. Die scharfe Hundemutter winselte beleidigt, weil sie ihr Junges nicht erreichen konnte, das hoch über dem warmen Hauch der Tranlampe in einem kleinen Sack aus Seehundfell baumelte. Kotuko nahm wieder seine Schnitzarbeit auf; Kadlu warf ein zusammengerolltes Bündel lederner Hundegeschirre in einen kleinen Nebenraum, der an der Seite des Hauses lag, zog sich den schweren Renjagdanzug vom Leib, legte ihn in ein Fischbeinnetz, das über der zweiten Tranlampe hing, ließ sich auf der Pritsche nieder und begann an einem Stück gefrorenen Seehundfleisch zu kauen, bis Amoraq, sein Weib, das übliche Mittagsmahl aus gekochtem Fleisch und Blutsuppe auftrug. Schon seit Morgengrauen war er draußen gewesen bei den Seehundslöchern, acht Meilen entfernt, und hatte drei starke Seehunde mit zurückgebracht. Halbwegs in dem niedrigen Schneegang oder Tunnel, der zur Innentür des Hauses führte, hörte man das Bellen, Schnappen und Winseln eines Schlittengespanns, das sich nach vollbrachtem Tagewerk um die warmen Plätze balgte.
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