»Oh, man wird sagen, Sie hätten ihre Befugnisse überschritten und außerdem versäumt, rechtzeitig zu warnen und einen Einfall der Khusru Kheyl drei Wochen früher vorherzusagen. Aber ich denke, die Autoritäten werden nicht wagen, viel Aufhebens davon zu machen; sie haben eine Lektion gekriegt. Haben Sie übrigens Curbars Notizen über den Vorfall gelesen? Einen ordnungsmäßigen Bericht kann er nicht schreiben, wohl aber einen wahrheitsgetreuen.«
»Was nützt die Wahrheit? Am besten, er zerrisse seinen Bericht. Ich bin krank an Leib und Seele. Es war alles so gänzlich unnötig - höchstens, daß wir den Babu los sind.«
In diesem Augenblick trat Khoda Dad Khan ein, in der Hand einen auffallend straff gefüllten Furagebeutel, und hinter ihm die zwei Soldaten.
»Möget ihr niemals ermüden!« sagte er fröhlich. »Eine schöne Schlacht war's, Sahibs! Und dir, Tallantire Sahib, ist Naim Schahs Mutter zu besonderer Anerkennung verpflichtet. Ein glatter Hieb, so höre ich, vom Hals bis tief hinunter zum Brustbein, durch den gefütterten Mantel hindurch! Brav gemacht! Aber ich spreche jetzt für den Stamm. Es war ein Fehler - ein großer Fehler. Du weißt, Tallantire Sahib, daß ich und die meinen den Eid gehalten haben, den wir Orde Sahib schwuren am Ufer des Indus.«
»Ja. So einschneidig wie ein afghanisches Messer: stumpf auf der einen und scharf auf der andern Seite!« sagte Tallantire.
»Ebendarum ist es so wirksam beim Hieb! Aber, ich spreche die Wahrheit, bei Gott! Nur der blinde Mullah hat die jungen Leute hineingehetzt mit der Spitze seiner Zunge; er hat gesagt, es gäbe kein Grenzgesetz mehr, seit der Bengali hergeschickt wurde, und man brauche die Engländer nicht mehr zu fürchten. Da sind sie hinuntergestiegen, um Rache für die Beleidigung zu nehmen und Beute zu machen. Damit ihr uns Glauben schenket, haben wir dem blinden Mullah, dessen üble Ratschläge den Stamm zur Unbesonnenheit verleitet haben, den Kopf abgeschnitten. Zum Beweis hab ich ihn mitgebracht«, - er warf den Kopf auf den Boden - »er wird keinen Aufstand mehr machen, denn jetzt bin ich der Führer und habe die oberste Stimme. Aber hier ist noch ein Seitenstück zu dem Kopf. Es hat noch ein zweiter Fehler stattgefunden. Einer unserer Leute hat das schwarze Bengali-Vieh erwischt, das schuld war, daß der Aufstand losbrach. Alla Dad Khan hat es gesehen, wie es weinend zu Pferd herumstreunte, und da er daran dachte, daß es die Schuld an so vielem vergossenen Blut trägt, hat er ihm den Kopf abgesäbelt; ich bringe ihn mit, auf daß ihr eure Schmach mit ihm begraben könnt. Wenn ihr es wünscht, lasse ich Alla Dad Khan morgen erschießen. Seht her: nicht einmal die Brille haben sie ihm genommen, trotzdem sie aus Gold ist!«
Langsam rollte zu Tallantires Füßen hin der kurzgeschorene Schädel eines bebrillten, bengalischen Gentlemans, die Augen aufgerissen, den Mund weit offen: der Kopf des Schreckens selber in leibhaftiger Gestalt! Bullows bückte sich herab: »Wieder ein Blutgeld, und ein sehr schweres, Khoda Dad Khan, denn dies ist der Kopf Debendra Naths, des Bruders! Der Babu selbst hat sich längst in Sicherheit gebracht. Alle wissen es, nur die Narren von Khusru Kheyl wissen es nicht.«
»Meinetwegen. Ich kümmere mich nicht um Aas. Fleisch ist Fleisch. Das Vieh hat unten am Bergesrand nach der Straße nach Jumala gefragt, und da hat ihm Alla Dad Khan halt den Weg in die Hölle gezeigt, eben, weil er ein Narr ist, wie du sagst. Bleibt nur noch zu erörtern, was die Regierung in unserm Fall zu tun gedenkt. Also: zur Blockade -«
»Wer bist du denn, du Verkäufer von Hundefleisch«, donnerte Tallantire los, »daß du es wagst, von Verträgen und Verhandlungen zu reden? Pack dich in deine Berge - geh! Und warte dort und hungere, bis die Regierung geruht, dein Volk zur Strafe zu rufen; Kinder und Narren, die ihr seid! Zählt eure Toten und schweigt. Haltet Ruhe, bis euch die Regierung einen - Mann schickt.«
»Das wird gut sein«, erwiderte Khoda Dad Khan, »sind doch auch wir Männer.«
Dann blickte er lang und fest Tallantire zwischen die Augen und fügte hinzu: »Bei Gott, Sahib, mögest du dieser Mann sein!«
Serang Pambés Harren und Hoffen
Faßt man alle Einzelheiten des Falles ins Auge, so drängt sich einem die Überzeugung auf: Pambé, der Serang, konnte nur so und nicht anders handeln. Freilich: er wurde dafür so lange am Halse aufgehängt, bis er starb; aber Nurkeed ist tot!
Vor drei Jahren, als der Elsaß-Lothringer Dampfer »Saarbrücken« bei geradezu fürchterlich heißem Wetter Kohlen in Aden einnahm, erbat sich Nurkeed, der große, dicke Sansibar-Heizer, der den ungeheuren Kessel rechts unten, dreißig Fuß unter dem Deck, bediente, Urlaub, um ein wenig an Land zu gehen. Als nüchterner »Sidi-boy« - so heißen die Heizer - verließ er das Schiff, aber zurück kam er als Vollblut-Sultan von Sansibar - als Seine Hoheit Sayyid Burgash, mit einer Flasche in jeder Hand. Dann fläzte er sich auf das Lukengitter des Vorderdecks hin, fraß Salzfisch mit Zwiebel und sang die Lieder eines fernen Landes dazu. Eigentlich gehörte das Mahl Pambé, dem Serang oder Oberhaupt der indischen Matrosen, der es soeben erst für sich selbst gekocht hatte und nur einen Augenblick weggegangen war, um sich das nötige Salz dazu auszuborgen. Als er zurückkehrte, war es zu spät: Nurkeeds schmutzige Finger steckten bereits in der Schüssel!
Ein Serang ist ein Würdenträger, verglichen mit einem Heizer, obgleich er schlechter bezahlt wird. Er leitet den Chor: »Hya! Hulla! Hi-ah! Heh!«, wenn die Gig des Kapitäns an den Davits an Deck gezogen wird; er handhabt sogar das Tieflot! Zuweilen, wenn an Bord nichts zu tun ist, zieht er schneeweißes Musselin an und eine große rote Schärpe und spielt mit den Kindern der Passagiere auf dem Quarterdeck. Dafür bekommt er Trinkgelder, die er sorgfältig zusammenspart für eine Orgie in Bombay oder Kalkutta oder Pulu Penang. »Ho! Du schwarzes dickes Ofenrohr, du frißt ja mein Essen!« sagte Pambé in dem gewissen Lingua-Franca-Jargon, der dort beginnt, wo die Levantesprache aufhört, um dann vorzuherrschen, von Port Said angefangen ostwärts, bis der Osten zum Westen wird und die Seglerbriggs der Kurileninseln mit den verstreuten Hakodate-Dschunken schwätzen.
»Sohn des Iblis, Affenschnauze, vertrocknete Haifischleber, Schweinekerl, - ich bin der Sultan Sayyid Burgash und Oberbefehlshaber an Bord! - Da hast du deinen Dreck wieder!« schrie Nurkeed und warf Pambé den leeren Topf zu.
Pambé schleuderte ihn verachtungsvoll in ein Wasserschaff über Nurkeeds Wollschädel. Nurkeed zog das Messer und stach damit Pambé ins Bein, worauf Pambé seinerseits ein Messer zückte. Aber Nurkeed ließ sich in die Finsternis hinabfallen und spuckte von unten durch das Gitter nach Pambé, dessen Blut das saubere Vorderdeck besudelte.
Der weiße Mond war der einzige Zeuge dieser Vorgänge, denn die Offiziere des Schiffs standen abseits, um die Verstauung der Kohlen zu überwachen, und die Passagiere drängten sich in ihre Kabinen. »Macht nix«, sagte Pambé und verband sich die Wunde, »wir werden die Sache später schon in Ordnung bringen.«
Als Malaye und in Indien geboren war er einmal in Burma verheiratet, wo seine Gattin einen Zigarrenladen in der Shwe-Dagon-Straße besaß; ein zweites Mal in Singapur mit einem Chinesenmädel, und außerdem noch in Madras mit einer mohammedanischen Geflügelverkäuferin. Ein englischer Seemann kann wegen der Segnungen der Post und des Telegraphen nicht so ausgiebig heiraten, wie er gerne möchte, aber ein eingeborener Matrose kann es, denn er kümmert sich um die barbarischen Einrichtungen des Westens den Teufel. Pambé war ein solider Ehemann, vorausgesetzt, daß er sich der Existenz einer seiner Gattinnen jeweils bewußt wurde; aber andererseits war er auch Malaye, und es ist nicht ratsam, einen Malayen zu beleidigen, denn er vergißt niemals. Hier, im Fall Pambé, war Blut vergossen und Essen besudelt worden.
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