»Was kümmert das mich? Mein Befehl lautet: Du hast zu gehen. Das Hausgerät ist tausend Rupien wert, und meine Ordonnanz wird dir heute nacht hundert Rupien bringen.«
»Das ist sehr wenig. Bedenke, was die Karrenmiete kostet.«
»Es wird zu nichts zusammenschrumpfen, wenn du nicht gehst, und zwar sofort. Weib, geh hinaus und laß mich allein mit meiner Toten!«
Die Alte schlurfte die Treppe hinunter und vor lauter Gier nach den Sachen im Haus vergaß sie die Totenklage. Holden stand an Ameeras Lager und die Regenschauer prasselten auf das Dach hernieder -; er konnte infolge des lauten Geräusches keinen klaren Gedanken fassen, sosehr er sich auch bemühte. Dann kamen vier verhüllte Gespenster hereingetrippelt und starrten ihn an durch ihre Schleier: Leichenwäscherinnen. Holden verließ das Zimmer und ging hinaus zu seinem Pferd. Gekommen war er in totem, erstickendem Dunst und durch fußtiefen Staub, jetzt schien der ganze Hofraum eine einzige Regenpfütze zu sein, belebt von Fröschen; ein gelber Wasserstrom lief unter dem Tor durch und ein heulender Wind jagte Güsse wie Flintensalven gegen die Lehmmauern. Pir Khan schauderte in seiner kleinen Hütte neben dem Eingang und das Pferd stampfte mit den Hufen in die Nässe.
»Ich habe die Befehle des Sahibs erhalten«, sagte Pir Khan. »Es ist gut. Das Haus ist jetzt verödet. Auch ich gehe, denn mein Affengesicht könnte Erinnerungen in dir wecken an das, was dahin ist. Was das Bett betrifft, so werde ich es in der Frühe in dein Haus hinüberbringen; aber bedenke, Sahib, es wird dir wie ein Messer sein, das in einer frischen Wunde wühlt. Ich gehe auf die Pilgerschaft, und ich nehme kein Geld von dir. Ich bin dick und fett geworden unter dem Schutz der Gegenwart dessen, dessen Leid auch mein Leid ist. Zum letztenmal halte ich jetzt seinen Steigbügel.«
Er berührte Holdens Fuß mit beiden Händen und das Pferd jagte hinaus auf die Landstraße, wo der hohe Bambus den Himmel peitschte und die Frösche quakten. Holden konnte wegen des Regens in seinem Gesicht kaum sehen. Er preßte die Hand vor die Augen und murmelte:
»O du Scheusal! O du grauenhaftes Scheusal!«
Die Nachricht von seinem Schicksalsschlag war ihm bereits vorausgeeilt in seinen Bungalow. Er las es in den Augen seines Dieners, Achmed Khan, als dieser ihm das Essen brachte; zum ersten- und letztenmal im Leben legte ihm der Mann die Hand auf die Schulter. »Iß, Sahib! Iß!« sagte er. »Essen ist das beste gegen Kummer. Ich hab's einst auch an mir erfahren. Die Schatten kommen und gehen, Sahib! Die Schatten kommen und gehen. Hier hast du Eier mit Pfeffer.«
Holden konnte weder essen, noch schlafen. Acht Zoll Regen schüttete der Himmel in dieser Nacht herab und wusch die Erde rein. Die Fluten rissen Mauern nieder, zerstörten die Straßen und wuschen die seichten Gräber der mohammedanischen Begräbnisstätten auf. Den ganzen folgenden Tag regnete es, und Holden saß regungslos in seinem Haus und wühlte in seinem Gram. Am Morgen des dritten Tages erhielt er ein lakonisches Telegramm des Inhalts: »Ricketts, Myndonie, im Sterben. Holden antreten. Sogleich.« Ehe er abreiste, wollte er noch einen Blick tun in das Haus, wo er einst König und Gebieter gewesen. Das Wetter hatte sich aufgehellt; die nasse Erde dampfte.
Die Regengüsse hatten die Lehmpfeiler beim Tor eingerissen, und das Tor selbst, das einst sein Alles hienieden behütet, hing lose in den Angeln. Drei Zoll hoch war Gras im Hof aufgeschossen; Pir Khans Hütte stand leer und der aufgeweichte Fußboden hatte sich zwischen die Balken hinabgesenkt. Ein graues Eichhörnchen hatte Besitz ergriffen von der Veranda, als sei das Haus unbewohnt gewesen seit dreißig Jahren, statt drei Tagen. Ameeras Mutter hatte alles mit fortgenommen mit Ausnahme einer mottenzerfressenen Decke. Das Ticktick der kleinen Skorpione, wie sie über den Boden liefen, war das einzige Geräusch im Haus. Ameeras Zimmer und das, worin Tota gelebt, waren von Schimmel überzogen, und die Sprossen der Leiter hinauf auf das Dach besudelt mit Wasserschlamm. Holden sah es und ging hin aus auf die Straße; dort kam ihm sein Hausherr, Durga Daß, entgegen, – sauber und stattlich gekleidet in weißem Musselin, ein Ce-Feder-Buggy kutschierend: er wollte seinen Besitz in Augenschein nehmen und nach dem Schaden sehen, den der Regen angerichtet hatte.
»Ich habe vernommen, Sahib«, begann er, »Sie wollen das Haus verlassen?«
»Was haben Sie mit ihm vor?«
»Vielleicht vermiete ich es wieder.«
»Dann behalte ich es, auch wenn ich nicht hier bin.«
Durga Daß schwieg eine Weile. »Sie sollten das nicht tun«, sagte er dann. »Als ich noch jung war, hatte ich auch so –. Aber heute bin ich Mitglied der Stadtbehörde. Ho! Ho! Nein. Wenn die Vögel fortgeflogen sind, wozu ist das Nest noch gut? Ich möchte es niederreißen lassen: mit dem Bauholz kann man noch mancherlei kaufen. Es soll eingerissen werden und die Stadt wird eine Straße drüberlegen, wie sie es schon lange will, vom Verbrennungs-Ghaut bis hinüber zur Schanze. Kein Mensch wird später wissen, wo es gestanden hat!«
Durchs Feuer
Der Polizeimann ritt durch den Himalaja-Wald unter den moosbewachsenen Eichen dahin, und ihm nach trottete die Ordonnanz.
»Es ist eine scheußliche Sache, Bhere Singh«, sagte der Polizeimann. »Wo sind die beiden!«
»Es ist eine scheußliche Sache«, wiederholte Bhere Singh; »und was die beiden betrifft, so schmoren sie jetzt ohne Zweifel in einem heißeren Feuer, als je eines mit Ästen angezündet wurde.«
»Das wollen wir nicht hoffen«, meinte der Polizeimann, »denn wenn wir absehen von dem Unterschied der Rassen, so ist es die Geschichte der Francesca da Rimini, Bhere Singh!«
Da Bhere Singh keine Ahnung hatte, wer Francesca da Rimini gewesen war, hielt er den Mund, bis sie zu der Kohlenbrenner-Lichtung kamen, wo die erlöschenden Flammen ihr »hwit, hwit, hwit« sagten, wie sie über der weißen Asche flüsternd hin und her zuckten. Es mußte ein riesiges Feuer gewesen sein, als es noch lichterloh brannte! Die Leute in Donga Pa hatten es in der Nacht weithin über das Tal scheinen und flackern sehen und gesagt, die Kohlenbrenner in Kodru müßten offenbar schwer betrunken sein. In Wirklichkeit waren es nur Suket Singh, ein Sepoy des 102ten Punjab-Infanterieregiments, und Athira, ein Weib, gewesen, die da verbrannt - zu Asche verbrannt - waren.
Wie die Sache vor sich ging, habe ich aus dem Tagebuch des Polizeimanns erfahren:
Athira war die Frau des Madu, eines einäugigen Kohlenbrenners von boshafter Gemütsart. Schon eine Woche nach der Hochzeit prügelte er sie mit einem dicken Stock. Einen Monat später kam Suket Singh, der Sepoy, des Weges, um seinen Regimentsurlaub in den kühlen Bergen zu verbringen. Er elektrisierte die Dorfbewohner von Kodru mit Erzählungen von allerlei Geschichten aus dem Militärdienst, verherrlichte die Ruhmestaten des Gouvernements und schilderte anschaulich, in welchen hohen Ehren er beim Obersten, dem Sahib Bahadur, stünde. Die braune Desdemona hörte dem Othello zu, und wie alle Desdemonas der Welt verliebte sie sich dabei in ihn.
»Ich hab zwar selber eine Frau zu Hause«, sagte Suket Singh, »aber es soll dich nicht bedrücken, wenn es dir im Kopf herumgeht. Ich muß auch nach einiger Zeit wieder zum Regiment zurück, denn ich kann doch nicht gut zum Deserteur werden, gar, wo ich den Rang eines Havildars anstrebe.«
»Schadet nichts«, sagte Athira, »bleib jetzt bei mir, und wenn Madu mich schlagen will, dann verprügle ihn!«
»Famos!« sagte Suket Singh und verabreichte dem Madu eine gehörige Tracht zum Entzücken sämtlicher Kohlenbrenner in Kodru.
»So, das genügt«, sagte er und gab dem Madu einen Stoß, daß er den Abhang hinunterrollte, »jetzt werden wir Ruhe haben.« Aber Madu krallte den Grashügel wieder hinauf und hinkte mit wütenden Blicken um seine Hütte herum.
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