»Sieh, der hat auch zu schlagen verstanden!« sagte der alte Großvater; »er hat das Unverständige und Eckige der Leute, so lange er konnte, gegeißelt!« Und der Großvater nickte zum Spiegel hin, wo der Kalender mit dem »runden Thurm« [14]darauf hing, und sagte: » Tycho Brahe war auch Einer, der das Schwert gebrauchte, nicht um in Bein und Fleisch zu hauen, sondern um einen deutlicheren Weg zwischen alle Sterne des Himmels hinauf zu bauen! – Und dann Er , dessen Vater meinem Stande angehörte, des alten Bildschnitzers Sohn, Er, den wir selbst gesehen haben mit dem weißen Haare und den breiten Schultern, Er, der in allen Ländern genannt wird! Ja, er konnte hauen, ich kann nur schnitzen! Ja, Holger Danske kann in vielen Gestalten kommen, sodaß man in allen Ländern der Welt von Dänemarks Stärke hört! Wollen wir nun Bertel's [15]Gesundheit trinken?«
Aber der kleine Knabe im Bette sah deutlich das alte Kronburg mit dem Oeresund, den wirklichen Holger Danske , der tief unten mit dem Barte im Marmortische festgewachsen saß und von Allem, was hier oben geschieht, träumte. Holger Danske träumte auch von der kleinen ärmlichen Stube, wo der Bildschnitzer saß; er hörte Alles, was da gesprochen wurde, und nickte im Traume und sagte:
»Ja, erinnert Euch meiner nur, Ihr dänischen Leute! Behaltet mich im Andenken! Ich komme in der Stunde der Noth!«
Und draußen vor Kronburg schien der helle Tag, und der Wind trug die Töne des Jagdhorns herüber vom Nachbarlande; die Schiffe segelten vorbei und grüßten: »Bum! Bum!« Und von Kronburg antwortete es: »Bum! Bum!« Aber Holger Danske erwachte nicht, so stark sie auch schössen, denn es war ja nur »Guten Tag« – »Schöner Dank!« Da muß anders geschossen werden, bevor er erwacht; aber er erwacht wohl, denn es ist Mark in Holger Danske .
In Jahrtausenden.
Ja, in Jahrtausenden werden sie auf den Flügeln des Dampfes durch die Luft über das Weltmeer herüberkommen! Die jungen Bewohner Amerika's werden die Besucher des alten Europa's sein. Sie werden wegen der Denkmäler hier und der alsdann versinkenden Städte herüberziehen, wie wir in unserer Zeit nach den hinfälligen Herrlichkeiten Süd-Asiens wallfahrten.
In Jahrtausenden werden sie kommen.
Die Themse, die Donau, der Rhein rollen noch dahin, der Montblanc steht noch mit seinem schneebedeckten Gipfel da, die Nordlichter strahlen noch über die Lande des Nordens; aber ein Geschlecht nach dem andern ist Staub geworden, ganze Reihen der Mächtigen des Augenblicks sind vergessen, vergessen wie diejenigen, die jetzt schon unter dem Hügel schlummern, auf welchem der vermögende Höcker, auf dessen Grund und Boden er sich befindet, eine Bank gezimmert hat, um dort zu sitzen und über sein flaches wogendes Kornfeld hinauszuschauen.
»Nach Europa!« rufen die jungen Söhne Amerika's – »nach dem Lande der Väter, dem herrlichen Lande der Denkmäler und der Phantasie, nach Europa!«
Das Luftschiff kommt; es ist mit Reisenden überfüllt, denn die Fahrt ist schneller als zur See, der elektromagnetische Draht unter dem Weltmeere hat bereits telegraphirt, wie groß die Luftkarawane ist, schon ist Europa in Sicht, es ist die Küste von Irland , die man erblickt, aber die Passagiere schlafen noch, sie wollten erst dann geweckt sein, wenn sie gerade über England sind; dort betreten sie den Boden Europa's im Lande Shakespeare's , wie es bei den Söhnen des Geistes heißt, – im Lande der Politik, im Lande der Maschinen, – so nennen es Andere.
Hier verweilt man einen ganzen Tag, so viel Zeit hat das geschäftige Geschlecht auf das große England und Schottland zu verwenden.
Die Fahrt geht weiter durch den Canal-Tunnel nach Frankreich, dem Lande Karl's des Großen und Napoleon's ; Moliere wird genannt, die Gelehrten reden von einer classischen Schule des fernen Alterthums, es wird gejubelt und man läßt Helden, Dichter und Männer der Wissenschaft hoch leben, die unsere Zeit nicht kennt, die aber auf dem Krater Europa's, Paris, geboren werden sollen.
Der Luftdampfer fliegt über das Land hin, von welchem Columbus ausging, wo Cortez geboren wurde, und wo Calderon Dramen in wogenden Versen sang; reizende schwarzäugige Frauen wohnen noch in den blühenden Thälern, und die ältesten Lieder nennen den Cid und Alhambra .
Durch die Luft über das Meer nach Italien , dorthin, wo die alte ewige Roma lag; es ist verschwunden, die Campagna ist verödet: von der Peterskirche zeigt man eine einsame übrig gebliebene Mauerruine, aber man zweifelt an ihrer Echtheit.
Nach Griechenland , um eine Nacht in dem reichen Hôtel, hoch am Gipfel des Olymps, zu schlafen, dann ist man da gewesen; die Fahrt geht weiter zum Bosporus, um dort einige Stunden auszuruhen und die Stätte zu sehen, wo Byzanz lag; dort, wo die Sage vom Garten des Harems zur Zeit der Türken spricht, spannen arme Fischer ihre Netze aus.
Ueber die Reste mächtiger Städte an der starken Donau, Städte, die unsere Zeit nicht kannte, fliegt man dahin; aber hier und da – an den reichen Stätten der Denkmäler, derer, die entstehen, und welche die Zeit gebären wird – hier und da läßt die Luftkarawane sich nieder und hebt sich wieder.
Dort unten liegt Deutschland – das einst von dem dichtesten Netze von Eisenbahnen und Canälen umsponnen war – die Länder, wo Luther sprach, Goethe sang, und Mozart einst das Scepter der Töne führte! Große Namen strahlen in Wissenschaft und Kunst, Namen, die wir nicht kennen. Einen Tag Aufenthalt für Deutschland , und einen für den Norden , für das Vaterland Oersted's und für das Linné's , und für Norwegen, das Land der alten Helden und der jungen Normannen.
Island wird auf der Rückfahrt mitgenommen; der Geyser siedet nicht mehr, Hekla ist erloschen, aber eine ewige Steintafel der Saga, wurzelt die starke Felseninsel inmitten des brausenden Meeres.
»In Europa ist doch recht viel zu sehen!« sagte der junge Amerikaner; »und wir haben es in acht Tagen gesehen, und das kann man auch nach der Anleitung des großen Reisenden« – hier wird der Name eines ihrer Zeitgenossen genannt – »in seinem berühmten Werke: Ganz Europa in acht Tagen zu sehen .«
Däumelinchen.
Es war einmal eine Frau, die sich ein ganz kleines Kind sehr wünschte; aber sie wußte nicht, woher sie es nehmen sollte. Da ging sie zu einer alten Hexe und sagte zu ihr: »Ich möchte so herzlich gern ein kleines Kind haben, kannst Du mir nicht sagen, wo ich das bekommen kann?«
»O, damit wollen wir schon fertig werden!« sagte die Hexe. »Da hast Du ein Gerstenkorn; das ist nicht von der Art, wie die, welche auf des Landmanns Felde wachsen, oder welche die Hühner zu fressen erhalten lege es in einen Blumentopf, so wirst Du was zu sehen bekommen!«
»Ich danke Dir!« sagte die Frau und gab der Hexe zwölf Schillinge; denn so viel kostete es. Dann ging sie nach Hause und pflanzte das Gerstenkorn; sogleich wuchs da eine herrliche, große Blume, die aussah, wie eine Tulpe, aber die Blätter schlossen sich fest zusammen, als ob sie noch Knospe wäre.
»Das ist eine schöne Blume!« sagte die Frau und küßte sie auf die rothen und gelben Blätter; aber indem sie darauf küßte, öffnete sich die Blume mit einem Knalle. Es war eine wirkliche Tulpe, wie man nun sehen konnte; aber mitten in der Blume saß auf dem grünen Sammetgriffel ein kleines Mädchen, gar fein und niedlich! Es war kaum einen halben Daumen hoch, und deshalb wurde es Däumelinchen genannt.
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