Alexa Kim
Wolf Breed - Vincent (Band 1)
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Inhaltsverzeichnis
Titel Alexa Kim Wolf Breed - Vincent (Band 1) Dieses ebook wurde erstellt bei
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Epilog
Wolf Breed Serie
Bisher erschienen von Alexa Kim
Impressum neobooks
Eveline
Als ich das Schild mit der Aufschrift "Wolfstann" entdeckte, stieß ich erleichtert den Atem aus. Es war schon vier Uhr am Nachmittag, der Himmel war düster, und die Luft roch nach Schnee. Bereits vor einer Stunde war mir klar geworden, dass es nicht mein bester Einfall gewesen war, so spät loszufahren. Zwar hatte mein SUV Allradantrieb, aber die verschlungenen schmalen Wege, die mich seit über einer Stunde quer durch die winterliche Wildnis führten, waren für eine ungeübte Fahrerin eine Herausforderung. Du musstest dir ja auch unbedingt ein Feriencamp im Teutoburger Wald aussuchen ...
Es war Anfang Dezember, und meine Spontanentscheidung kam mir mittlerweile ziemlich dumm vor. Normalerweise war ich nicht so. Schon immer war ich der besonnene und verlässliche Typ gewesen – eine Frau, die ihr Leben im Griff hatte und es plante. Das hatte bestens funktioniert ... bis zu diesem verdammten Tag, an dem das Schicksal zugeschlagen hatte.
Ich biss mir auf die Unterlippe, um die Tränen zurückzudrängen, die wie so oft in der letzten Zeit einfach aus mir herausbrechen wollten. Letztes Jahr im Dezember war mein Leben noch in Ordnung gewesen ... ich hatte Tom gehabt und wir hatten uns auf die Geburt unseres ersten Kindes gefreut. Und jetzt? Nichts war übrig geblieben ... eine Totgeburt im siebten Monat! Ein Mädchen ... Toms und meine Tochter. Wir waren uns noch nicht einmal über einen Namen einig gewesen. Der Name, der auf dem Grabkreuz stand, war mir so fremd, dass ich ihn nie benutzte, wenn ich von meiner Kleinen sprach. Tom und ich hatten ihn schnell ausgewählt ... in unserer Trauer und der Kraftlosigkeit. Zwei Monate später ... im Juli ... hatten Tom und ich uns getrennt. Eigentlich war unsere Beziehung an dem Tag zerbrochen, an dem unsere Tochter tot zur Welt gekommen war. Wir hatten versucht, so weiterzumachen, wie wir vor der Schwangerschaft gelebt hatten. Aber wir hatten gewusst, dass etwas fehlte, und es in den Augen des anderen gesehen – bis wir schließlich aufgehört hatten, uns anzusehen, weil es zu sehr schmerzte ... nun ... seitdem wusste ich, dass man ein Leben nicht planen kann. Ich hatte es auf schmerzhafte Weise erfahren müssen.
Ich war froh, als ich den Weg entdeckte, der zum Verwaltungsgebäude des Feriencamps führte und ich die düsteren Erinnerungen verdrängen konnte ... vorerst. Ich lenkte den SUV vor das große Verwaltungsgebäude und stellte den Motor aus. Vor dem Blockbohlenhaus sah ich ein verwittertes Holzbrett mit einer Aufschrift. Die Farbe war schon an einigen Stellen abgeplatzt, aber ich konnte Wolfstann Feriencamp entziffern.
Erleichtert stieg ich aus dem Auto. Meine Beine waren steif von der langen Fahrt und meine Finger klamm. In der Buchungs-Email hatte es geheißen, dass ich den Schlüssel für meine Blockhütte in der Verwaltung des Feriencamps abholen müsste.
Ehe ich an die Tür klopfen konnte, öffnete ein älterer Mann sie von innen. Er trug abgewetzte Jeans und ein rot kariertes Holzfällerhemd. Seine Augen funkelten unter buschigen Brauen, und er schien nicht gerade bester Laune zu sein. "Kommen Sie rein ... Frau Martin."
Er sprach meinen Namen deutsch aus, weil er nicht wissen konnte, dass er eigentlich französisch war. Meine Großeltern waren aus Frankreich nach Deutschland gekommen, um hier ihr Glück zu finden. Von meinen französischen Wurzeln war allerdings nur mein Name geblieben – Eveline Martin. Ich sprach kein Wort Französisch und konnte noch nicht einmal besonders gut kochen.
"Sie kommen spät. Ich wollte mich schon auf den Weg runter ins Dorf machen. Es sieht nach Schnee aus, und dann kommt man nicht mehr hier weg." Er zog die Stirn kraus und musterte mich kritisch. "Sind Sie sicher, dass Sie zur Blockhütte wollen? Die nächsten Gäste kommen erst in gut zwei Wochen ... vor Weihnachten. Bis dahin sind Sie da oben ganz alleine."
Ein Teil in mir wollte dem Bedürfnis nachgeben, meinen wirklich dummen Plan, mich hier bis ins neue Jahr zu verkriechen, über Bord zu werfen und nach Hause zu fahren ... wo Erinnerungen und Traurigkeit in jeder Ecke meiner Wohnung auf mich lauerten, um über mich herzufallen.
"Ich komme schon klar ...", antwortete ich zuversichtlicher, als ich mich fühlte.
"Sie haben Lebensmittel für drei Wochen, es gibt im Winter so gut wie keinen Handyempfang, aber ein Funkgerät, falls sie Hilfe brauchen. Es dauert allerdings ein paar Stunden, bis jemand bei Ihnen ist."
"Solange es keine Raubtiere gibt ... was soll schon passieren?" Ich glaubte selbst nicht, was ich da sagte, aber ich musste mich einfach selbst in meinem Entschluss bestärken.
Der Verwalter zog die buschigen Brauen noch kritischer zusammen. Wahrscheinlich hielt er mich für lebensmüde, und tatsächlich war ein kleiner Teil von mir das auch. Nicht, dass ich vorhatte, mich umzubringen, aber meine Sensoren für Gefahr funktionierten zurzeit nicht sonderlich gut.
"Ich kann Sie nicht abhalten ... außerdem würde der Besitzer mich kündigen, wenn ich Ihnen das Ganze Ausrede." Er seufzte. "Vor Raubtieren brauchen Sie keine Angst zu haben – die gibt es hier schon lange nicht mehr. Sie verkaufen sich nur gut im Namen." Er tippte mit dem Finger gegen einen Werbeflyer, der auf dem Tresen des kleinen Empfangs lag. Alles hier war sehr nostalgisch auf eine amerikanische Art – Trapperromantik. Der Empfangstresen war wie das ganze Haus aus Holzbohlen gefertigt, an den Wänden hingen Bärenfälle und sogar ein Bisonkopf. Als ob es eines dieser Tiere seit der Steinzeit jemals hier gegeben hätte! Mir war das allerdings herzlich egal – ich wollte endlich meinen Schlüssel und dann zur Blockhütte. Es wurde bald dunkel, und wenn es dann noch zu schneien begann, machte es die Sache noch schlimmer.
"Mein Name ist Hank ..." Ja klar ... und ich bin Calamity Jane ...
"Eveline ... Martin ...", sprach ich meinen Namen dieses Mal richtig aus, woraufhin Hank erneut die Stirn krauszog. "Ah ... Sie sind Französin?"
"Meine Großeltern kamen aus Frankreich."
Er nahm einen Schlüssel mit einem geschnitzten Wolfsanhänger vom Schlüsselbrett und legte ihn vor mir auf den Tresen. "Also ... Sie fahren einfach den Weg, den Sie gekommen sind, weiter. Nach etwa fünfzehn Minuten biegen sie links ab. Die Abzweigung ist leicht zu übersehen, es ist nur ein kleiner Weg, der zu den Blockhütten hinauf führt. Also passen Sie gut auf. Wenn Sie die Abzweigung verpassen, landen Sie im Nirgendwo, irgendwo im Wald. Da gibt es nur eine Familie. Die Leute machen keinen Ärger, kommen manchmal runter in den Ort und bestellen Lebensmittel. Sie haben während der Urlaubssaison ein Auge darauf, dass hier alles friedlich abläuft, keine Feuer im Wald gemacht werden, nach Jagdtrophäen gewildert wird und solche Dinge. Es gibt ein Abkommen mit dem Besitzer des Feriencamps. Er hat ihnen eines der nicht genutzten Ranchhäuser überlassen. Also die sind eigentlich harmlos, aber bleiben lieber unter sich und mögen es nicht, wenn Fremde in ihre Nähe kommen. Achten Sie also auf die Abzweigung."
Ich nickte und nahm den Schlüssel vom Tresen. Ich wollte wirklich schnell zu meiner Hütte. Draußen wurde es dunkel. "Danke schön, Hank. Wir sehen uns dann ..."
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