»Wieso heißt er eigentlich Bones?«, flüsterte Nina, als dieser gegangen war.
»Frag ihn selbst oder besser noch, lass dir seine Tätowierung zeigen. Machst du doch Karl Herrmann, oder?«, rief Paul lachend zu Bones rüber, der ihm nur seinen ausgestreckten Mittelfinger zeigte.
»Und woher kennt ihr euch?«, erkundigte sich Nina weiter, während sie überlegte, ob sie sich bei den grimmigen Kellnern in Wärterkleidung trauen könne, nach einem Kaffee zu fragen.
»Aus Griechenland«, nuschelte Paul mit vollem Mund.
»Sicher.«
»Tatsächlich, wir liefen uns in Athen über die Füße, naja, eher er mir als umgekehrt. Eine längere Geschichte.«
»Lass dir Zeit, fliehen können wir ja nicht«, zwinkerte Nina Paul mit einem Seitenblick auf die vergitterten Fenster und die patrouillierenden Wärter zu. Er war einverstanden und drehte sich nach der Bedienung um.
»Aber vorher noch zwei Kaffee.«
Nina nickte begeistert, bat ihn jedoch zu bestellen. Ohne nachzudenken rief Paul einem der Kellner die Bestellung zu. Ein Fehler. Der angesprochene Kellner schoss herum, sah Paul wie seinen Todfeind an, holte tief Luft und schrie durchs halbe Lokal, dass einigen Gästen fast die Gabel aus der Hand fiel, was sich Insasse Nr. 13 einbilde und ob dieser vermeine, hier im Hotel zu sein. Mit wütender Geste schlug der Kellner schwungvoll mit dem Schlagstock zwischen Paul und Nina auf den Tisch, dass die Biergläser klirrten, baute sich vor Paul auf und stierte ihm bebend und mit rot geschwollenem Kopf in die verunsicherten Augen. Paul stammelte etwas von lediglich zwei Kaffee und versuchte dem Blick auszuweichen. Da griff der Kellner den Kopf von Paul und drehte ihn sich genau vor den schäumenden Mund und befahl, Paul möge das wiederholen. Paul schwieg irritiert, worauf der Kellner ihn nochmals anschrie, dass er nichts höre. Da wiederholte Paul flüsternd seine Bestellung.
»Lauter!!!« Paul hob die Stimme.
»Noch lauter, wir sind hier nicht im Mädchenpensionat.«
Paul schrie nun ebenfalls seine Bestellung heraus. Daraufhin ließ der Kellner den Kopf von Paul los, richtete sich auf und lächelte freundlich.
»Geht doch, zweimal Kaffee, kommt sofort.«
Das Publikum johlte, klatschte, und Paul war zum zweiten Mal Mittelpunkt des Abends, etwas was ihm sichtlich unangenehm war. Nina lachte und wartete auf seine Erzählung über Bones.
Paul beendete die Geschichte an der Bar. Dass ihm Bones auch den Nebenjob als Filmvorführer in dessen Pornokino verschafft hatte, verschwieg er Nina vorerst. Es schien ihm nicht das geeignete Thema am ersten gemeinsamen Abend zu sein, einem Abend, an dem wenige Gäste im Henker waren und Bones genügend Zeit blieb, sich den beiden zu widmen. Allerdings hatte er bislang mit keinem Wort erwähnt, weshalb er Paul unbedingt sprechen wollte. Als Nina sich kurz frisch machen ging, fragte Paul ihn abermals. Erneut winkte Bones ab.
»Das ist eine längere Geschichte, mit der wir uns heute nicht den Abend verderben sollten. Ahnte doch nicht, dass der ewige Single hier mit einer echten Frau aufschlägt.«
Paul war gekränkt. Immerhin hatte er seine bislang einzige Freundin zwei Jahre lang davon abgehalten, ihn wieder zu verlassen. Den Liebeskummer danach hoffte Paul, nun endlich überwunden zu haben.
»Wir sehen uns am Donnerstag im Kino, dann haben wir Zeit zum Reden«, unterbrach Bones Pauls Grübeleien, während Nina vom Klo zurückkam.
»Na, was trinken wir jetzt?«, fragte sie aufgekratzt, hatte Bones die Beiden doch bereits auf einige Cocktails eingeladen.
»Die Grüne Witwe wird gern genommen«, antwortete Paul mit einem Augenzwinkern zu Bones, der bereits zur Absinthflasche griff.
»Allerdings nur für gestandene Männer.«
»Ach was, ich vertrag das schon«, fuhr ihm Nina über den Mund, unsicher, ob sie tatsächlich noch etwas trinken sollte, als Bones die Gläser mit der giftgrünen Flüssigkeit vor sie hinstellte.
»Ich kann dich nicht heim tragen«, warnte Paul bei Ninas zweifelndem Blick auf die Gläser.
»Keine Sorge, den einen überlebe ich noch, und dann gehen wir sowieso, ich muss morgen früh raus«, beruhigte sie ihn.
Bones verabschiedete seine Gäste zwei Gläser später mit einem kräftigen Schlag auf Pauls Schulter und einem dicken Schmatz auf Ninas Wange und ließ sie von Bernd zur Tür begleiten.
»Wenn ihr das nächste Mal kommt, zieht euch was Gescheites an«, gab dieser barsch den Beiden mit auf den Weg, bevor er sie grußlos in der Nacht stehen ließ. Nina sah ihm verwirrt nach, Paul aber lachte.
»Es ist sein Job, unfreundlich zu den Gästen zu sein. Der meint das nicht so. Vermutlich sahst du nur viel zu gut aus für den Laden.«
»Danke, sehr nett«, lächelte Nina, hakte sich ein und steuerte auf die Straßenbahnhaltestelle zu.
»Ich glaube kaum, dass jetzt noch was fährt«, zweifelte Paul beim Blick auf seine Uhr, während Nina den Fahrplan studierte.
»Halb eins durch, du hast Recht. Die letzte Bahn ging vor zwanzig Minuten. Scheiß Kaff. Taxi oder Laufen?«
»Naja, Taxi sehe ich hier keines, und so kalt ist es ja noch nicht«, versuchte Paul die peinliche Gewissheit zu überspielen, dass er niemals genügend Geld für ein Taxi dabei gehabt hätte. »Ich bring dich heim, wenn es dir recht ist.«
Nina nickte und wandte sich zum Gehen. »Ok, allerdings könnte das für dich ein Umweg sein. Wo wohnst du eigentlich?«
»Reichsgasse 38, gleich bei Cicero, der Buchhandlung.«
»Das ist gut. Ich muss ins Holländische Viertel. Erzähl mal was von deiner WG?«, fragte Nina, während sie Paul am Ärmel in ihre Richtung zog.
»Hmm. Wir sind zu dritt. Marc, Levi und ich. Marc gehört das Haus, oder vielmehr seinen Großeltern. Doch seitdem die nach Marbella ausgewandert sind, kann er es nutzen.«
»Aber wieso macht der eine WG auf, wenn ihm das Haus gehört?«
»Marc ist Fotograf und hat sich Anfang des Jahres selbständig gemacht. Da kam ihm die Miete von uns gerade recht.«
»Fotograf? Cool.«
»Stimmt, aber ob ich das morgen auch noch cool finde, wenn er sich unsere Gartenbilder anschaut und alles besser weiß, glaube ich nicht.«
»Neidisch?«
»Nicht wirklich. Im Gegenteil, ihn kann ich sogar mal was zu meinem Studium fragen, anders als Levi, der als Informatiker mit meiner Kunst wenig anzufangen weiß.«
»Liegt’s an der Informatik oder deinen Arbeiten? Oder hat er allgemein nichts für Kunst übrig?«
»Doch schon, nur eben nicht viel für Grafik oder Fotografie. Er schreibt stattdessen für eine Lesebühne.«
»Und was?«
»Kurzgeschichten. Manchmal aber auch…«
»Ich war mal auf einem Konzert«, unterbrach ihn Nina. »Da hat einer Bilder zu Musik gemalt und der andere Texte vorgetragen. Total schräg. Herr Blum hieß das Duo, ich glaube Vater und Sohn.«
»Naja, so weit sind wir noch nicht«, versuchte sich Paul vergeblich zu erinnern, was er über Levi noch hatte sagen wollen.
»Ich fotografiere auch ganz gern«, fuhr Nina fort. »Allerdings bastele ich danach am PC oft solange an den Fotos herum, bis die aussehen wie abstrakte Gemälde.«
»Oder du fotografierst gleich moderne Kunst.«
»Mach dich nur lustig. Aber so ganz untalentiert bin ich nicht. Immerhin spiele ich auch in einer Theatergruppe mit.«
»Theater? So richtig mit Text und Kostüm oder nur als Statist?«
»Beides. Aber du wirst lachen, ich war sogar mal ein Baum in einem Weihnachtsmärchen für Kinder.«
Während Nina von ihren letzten Aufführungen erzählte, grübelte Paul, wie er sich später am besten verabschieden sollte. Kann ihr doch kaum am ersten Abend schon einen Kuss geben, dachte er aufgeregt und überhörte fast, dass die Theatercrew in Kürze mit Proben zu einem Kriminalstück beginnen würde.
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