Sobald die beiden Männer außer Reichweite waren, wandte sich der Anführer der Tarmanen mit einem strafenden Blick an Hanif: „Sollten wir je wieder in so eine Situation kommen, erwarte ich von dir, dass du dich im Griff hast! Ich dulde auf keinen Fall, dass Fremde auch nur ahnen, dass wir sie durchaus verstehen können. Also reiß‘ dich gefälligst zusammen. Wenn ich mit derartigen Beleidigungen umgehen kann, wirst du es auch lernen. Verstanden?“ Zerknirscht verneigte sich Hanif: „Natürlich Herr!“
Als sie später zu zweit am Feuer saßen, hatte Rayan die Zurechtweisung bereits wieder vergessen. Er konnte Hanif ohnehin nie etwas nachtragen. Stattdessen amüsierte er sich wieder über das Auftreten dieses Amerikaners. Als sie auf den Punkt in der Unterhaltung kamen, wo der Tourist tatsächlich gewiehert hatte, konnte endlich auch Hanif die Komik der Situation sehen und beide lachten schallend.
Trotzdem grübelte Rayan später, als er auf seinem Lager im Zelt lag noch einige Zeit über eine Bemerkung Hanifs nach, die er nicht so einfach wegwischen konnte: „Und was macht überhaupt eine Touristengruppe so tief in der Wüste? Wer ist dieser Wüstenführer, dass er seine Schützlinge in diese Region bringt? Das ist für meinen Geschmack viel zu nahe an Zarifa.“ Womit sein Begleiter leider absolut Recht hatte.
Anfang August 2015 - USA: Charlotte: Büro von TanSEC - Eine neue Mission
„Also Yasin, lass‘ hören. Was ist dein Plan?“, fragte Cho.
Rayan war schlagartig wieder ernst geworden. „Wir warten schon viel zu lange. Ich werde noch heute mit IHNEN sprechen. Danach statten wir diesem Senator einen Besuch ab. Und bringen ihn zum Reden.“
Cho sah Rayan nachdenklich an. Da meldete sich wieder Hummer zu Wort: „Sag mir nicht, du willst einen Senator der Vereinigten Staaten foltern?“
Rayan lachte kalt: „Was denn Großer? Seit wann hast du solche Hemmungen?“
Bevor Hummer sich verteidigen konnte, fuhr der Scheich mit ernster Stimme fort: „Dass bei dem erneuten Mordversuch auf mich diesmal sogar Sheila betroffen war, hat mir vor Augen geführt, dass jetzt dringend etwas passieren muss! Wer weiß, wann der nächste Anschlag erfolgt und ob dann wieder alles so glimpflich ausgeht.“ Bei den Worten „so glimpflich“ konnte er allerdings einen ironischen Unterton nicht verhindern. Denn seine Odyssee vor wenigen Wochen nach dem Absturz ohne Gedächtnis durch die Wüste zu irren, war eine gefährliche Strapaze gewesen. Nicht zu vergessen kam dazu noch die emotionale Hölle, durch die seine Freunde aufgrund seines vermeintlichen Todes gegangen waren.
Hummer nickte: „Ja, da hast du allerdings recht. Und mir geht es vor allem auch darum, Jacks Tod nicht einfach so hinzunehmen. Seitdem ich weiß, dass es ein Attentat und kein Unfall war, würde ich am liebsten etwas zertrümmern, um meinen Frust loszuwerden.“ Der Riese sah seine beiden Freunde an: „Also - ich bin dabei! Nachdem wir keinen besseren Plan haben - machen wir eben einen Hausbesuch.“ Er grinste nun, doch es war eher ein Verziehen seines Gesichtes, das zusammen mit seinen beträchtlichen Körpermaßen so bedrohlich wirkte, dass jeder andere schnell die Flucht ergreifen würde. Cho und Rayan allerdings kannten ihren Freund lange genug, um sich nicht beeindrucken zu lassen.
„Ich bin ohnehin mit von der Partie - einer muss ja das Hirn der Mission sein und auf euch zwei Muskelmänner aufpassen“, stimmte Cho zu.
Rayan hob lächelnd die Brauen, doch er entgegnete nichts. Er verspürte Erleichterung, dass seine beiden alten Kumpane mitzogen, denn alleine hätte er keine Chance gehabt. Außerdem genoss er es, dass sich ihre Spannungen offenbar verflüchtigt hatten. Es war ein gutes Gefühl wie in alten Tagen eine Mission in Angriff zu nehmen.
Mit neutraler Stimme ergänzte Rayan: „Und wenn er der Richtige ist, muss sein Hass auf mich wirklich unendlich groß sein. Dann ist es sogar wahrscheinlich, dass er mir Auge in Auge ganz von selbst erzählt, was die Ursache ist. Das Schlimmste, was uns passieren kann: wenn er der Falsche ist! Dann hätten wir ein echtes Problem. Denn in dem Fall ziehen sich unsere Freunde ganz schnell zurück und damit ist unsere Rückendeckung dahin. Dann können wir vor Gericht erklären, wieso wir in das Haus eines Senators einbrechen und sein Leben bedrohen. Und oben drein stehen wir dann wirklich mit leeren Händen in Bezug auf diese Bedrohung da …“
Anfang September 2015 – München Innenstadt: Fußgängerzone – Austausch von Fachwissen
Entsetzt starrte Carina erst den Mann an, dann die Uhr und schließlich Rayan. Der zuckte etwas verlegen mit den Schultern und erläuterte lakonisch: „Du weißt, dass ich eine Schwäche für schöne Uhren habe …“ Er hatte automatisch Arabisch gesprochen, was den Herrn hinter der Verkaufstheke etwas zu verwirren schien.
Aber er hatte sich schnell gefangen, denn ihm war klar geworden, dass er hier einen ganz großen Fisch an der Angel hatte. Und Carina? Die hatte vorher angesichts der Preise für die Ketten, die man ihr vorgelegt hatte, kaum gewagt zu atmen. Sie hatte noch nie teuren Schmuck besessen und hatte eigentlich nicht vorgehabt, sich jemals welchen zuzulegen. Derart kostenintensive Geschenke machten sie nervös. Doch nun regten sich in ihr neue Gefühle, fast wie Trotz: „Rayan hat eine Uhr, für die andere sich ein Haus kaufen? Na dann wird es wohl nichts ausmachen, wenn er ein paar Tausend für meinen Schmuck ausgibt“, dachte sie sich trotzig. Trotzdem würde sie ihren Glücksbringer mit dem Emblem von Zarifa nicht ablegen …
Der Juwelier fühlte sich wie im siebten Himmel, als die sich soeben noch reichlich zierende Frau auf einmal auftaute und sich schließlich für goldene Saphirohrringe entschied, die ganz hervorragend zu der Kette passten, die sie um den Hals trug.
„Eine ganz ausgezeichnete Handarbeit - ein Einzelstück vermute ich?“, ließ der Verkäufer verlauten. Unbestimmt schüttelte Rayan den Kopf. „Es gibt mehr als eines“, war das Einzige, was er dazu verlauten ließ und der Juwelier war sensibel genug, nicht weiter nachzufragen.
Bevor der Kauf jedoch abgeschlossen war, nahm der Scheich die Ohrringe in die Hand und begutachtete sie intensiv. Und ehe Carina es sich versah, waren sie in ein Gespräch über Gold vertieft. Dessen Reinheit, Fertigung und Herkunft. Sie hätte nie geglaubt, dass man über derart viele Details reden konnte. Erfreut lobte der Verkäufer schließlich: „Ich sehe schon, Sie sind ein echter Fachmann. Ich nehme einmal an, Ihre Familie ist in dieser Branche tätig?“
Rayans Reaktion verblüffte Carina, denn er lächelte hintergründig: „Nein nicht wirklich. Ich habe nur hier und da ein paar Details aufgeschnappt.“ Der Verkäufer gab sich damit zufrieden, Carina jedoch kannte Rayan gut genug, dass sie sich des Gefühls nicht erwehren konnte, er habe gerade gelogen. Doch über was? Und warum? Nein, sie musste sich das nur eingebildet haben.
Sie wurde abgelenkt, als der Scheich schließlich eine Kreditkarte herauszog, die sie noch nie zuvor gesehen hatte: Sie war vollkommen schwarz und hatte in der Mitte das Abbild eines antiken römischen Soldaten. Außerdem schien sie keineswegs aus Plastik zu sein, sondern aus einem Metall.
„Ah, eine Titanium“, lobte der Verkäufer und sein Grinsen verbreiterte sich noch mehr. Die Reporterin in Carina registrierte diesen Namen, und als sie wenig später über ihr Smartphone den Begriff in eine Suchmaschine eingab, verblüffte sie das Resultat. Es war die VIP-Kreditkarte einer amerikanischen Firma, die man nicht beantragen konnte, sondern zu der man „eingeladen werden musste“. Das passierte natürlich nur, wenn man entsprechend wohlhabend war, um sich diese Ehre zu verdienen.
Sie nutzte die Zeit, die ihr Begleiter benötigte, um zu bezahlen, um sich noch ein wenig umzusehen. Ihr Blick blieb an einem goldenen Ring hängen, der ebenfalls einen Saphir trug. Wunderschön! Und vor allem war der Stein auffällig, aber klein genug, um nicht protzig zu sein.
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