Das gab Burt Hoffnung und betont frech musterte er sein Gegenüber von oben bis unten, was dazu führte, dass sich dessen Miene noch weiter verdunkelte. Wut blitzte nun in den dunklen Augen. Burt jedoch nahm sich Zeit, die Kleidung und Ausrüstung des Wüstenbewohners zu mustern: Ganz und gar in Schwarz, angefangen von einem Turban, der durch eine gleichfarbige Kordel an Ort und Stelle gehalten wurde, über ein Obergewand und eine weitfallende Hose bis hin zu eleganten Stiefeln, die speziell auf die Anforderungen der Wüste ausgerichtet zu sein schienen. Überrascht stellte er fest, dass der andere zudem ein für hiesige Verhältnisse ungewöhnliches Schwert quer über dem Rücken trug. „Wie aus diesen japanischen Filmen“, fuhr es ihm durch den Kopf. „Wie kommt so jemand an so eine elegante Waffe?“, fragte er sich neugierig.
Seine Überlegungen wurden unterbrochen, als er in diesem Moment eine Bewegung aus den Augenwinkeln heraus wahrnahm. Er drehte den Kopf und sah zu seiner Rechten auf einmal den zweiten der beiden Männer stehen, ein Gewehr auf seinen Bauch gerichtet. Dieser Reiter trug exakt die gleiche Kleidung, woraus Burt korrekt schloss, dass es eine Art Stammesgewand handeln musste. Obwohl der Mann mit dem Gewehr einen halben Kopf kleiner war, war auch er keineswegs zu unterschätzen, das spürte man sofort. Er blickte zudem so finster drein, dass der Texaner sich fragte, ob der in seinem Leben überhaupt schon einmal gelacht hatte.
Der Größere sagte etwas zu seinem Begleiter, was Burt nicht verstand. Und doch wusste er, dass es ein Befehl gewesen war, den der andere mit einem grimmigen Kopfnicken bestätigte. Somit war ihm sofort die Hierarchie der beiden klar und er wandte sich wieder dem Mann mit dem Messer zu, der offenbar der Ranghöhere der beiden war.
„Hör zu, ich wollte mir nur eure Pferde ansehen. Ehrlich! Sehr beeindruckende Tiere“, versuchte Burt die Situation zu entschärfen. Natürlich hatte er Englisch gesprochen, nachdem das die einzige Sprache war, die er beherrschte. Er bereute nun doch, dass er nicht aufgepasst hatte, als ihr Wüstenführer vergeblich versucht hatte, ihnen wenigstens zwei oder drei höfliche Grußfloskeln beizubringen.
Als sein Gegenüber mit keiner Wimper zuckte, seufzte Burt und murmelte halblaut, aber in genauso unschuldigem Tonfall wie vorher: „Hab ich mir doch gedacht, dass ihr wilden Kameltreiber kein Wort von dem versteht, was ich hier erzähle. Woher solltet ihr Sandkriecher auch eine Weltsprache wie ENGLISCH können?“
Rayan gelang es, trotz der Beleidigung sein Pokerface beizubehalten. Ihn amüsierte die Situation. Zunächst hatte er anhand der einheimischen Kleidung angenommen, dass es sich um einen der Bewohner der Oase handeln müsse. Für denjenigen wäre es fatal, sich einfach so heranzuschleichen und sich auch noch so frech zu verhalten. Aber hier stand ganz eindeutig ein Tourist! Offenbar war er schon einige Zeit hier in der Gegend unterwegs, denn sein Gesicht hatte eine dunkle Färbung durch die Sonne angenommen, sodass man ihn nicht sofort als Ausländer erkannte. Nun aber war der texanische Akzent so eindeutig, dass Rayan sich bemühen musste, nicht breit zu grinsen. Als Burt dann auch noch mit ausladenden Gesten zu wiehern anfing, um ihnen klar zu machen, dass es ihm nur um die Bewunderung der Pferde ging, musste der Tarmane all seine Beherrschung aufbringen, nicht laut zu lachen. Das war mal wieder typisch für seine amerikanischen Landsleute! Unbesorgt wie so oft rannten sie durch die Welt.
Er warf Hanif einen warnenden Blick zu, der ganz offenbar ebenfalls einigermaßen Englisch verstand. Zumindest reichte sein Sprachwissen dafür, die Aussage von vorhin als Beleidigung richtig einzuordnen, das sah Rayan ihm sofort am Gesicht an. Und nachdem sein treuer Begleiter nicht seine Sympathien für Amerikaner teilte, stand er kurz davor, den aufdringlichen und unverschämten Touristen niederzuschießen.
Es war nur Glück, dass der Mann sich vollständig zu Rayan hingedreht hatte, so entging ihm die Reaktion des Reiterführers der Tarmanen, denn der Scheich wollte nicht, dass der Texaner bemerkte, dass sie jedes seiner Worte verstanden hatten. „Schon gut Hanif. Nimm das Gewehr runter, er ist keine Gefahr“, befahl er seinem Begleiter. Der holte Luft, um zu widersprechen, natürlich war auch ihm klar, dass der Mann nicht gefährlich war, aber er hatte sie immerhin beleidigt! Doch ein weiterer Blick von Rayan brachte ihn dazu, sich zusammenzureißen.
Der Scheich überlegte derweil, wie er nun aus dieser Situation wieder herauskam, ohne das Gesicht zu verlieren und ohne den Amerikaner zu verletzen.
In diesem Moment rettete der Wüstenführer die Lage. Entsetzt hatte der bemerkt, dass eines seiner „Schäfchen“ auf Wanderschaft gegangen war und sich ausgerechnet die beiden Tarmanen als Ziel ausgesucht hatte. Das grenzte an Selbstmord!
Von weitem hatte er schon das Schlimmste befürchtet, denn wie jeder in weitem Umkreis kannte auch er den Ruf der Krieger aus Zarifa. Gerecht, aber absolut rücksichtslos, wenn man sie herausforderte. Er hoffte bloß, dass sie den Amerikaner nicht als Bedrohung ansahen. So schnell es seine kurzen Beine erlaubten, näherte er sich. Etwas kurzatmig begann er schon aus zehn Metern Entfernung: „Werte Herren Tarmanen! Der Mann ist kein Einheimischer! Nur ein Tourist. Völlig ungefährlich! Es tut mir sehr leid, dass er die erlauchten Herrschaften belästigt hat!“
Genervt ließ Rayan einige Minuten lang den nachfolgenden Redeschwall über sich ergehen. Er war froh, dass er quasi „inkognito“ unterwegs war. Weder trug er die blutrote Kordel am Turban, die ihn als Anführer markierte, noch hatte er seinen Leibwächter Ibrahim mit dabei. Und auch auf seinen dunkelbraunen Hengst hatte er schweren Herzens verzichtet. Zudem trug er seine schwarzen Kontaktlinsen, denn seine auffällig blauen Augen waren in der Region berüchtigt. Hätte der Mann ihn erkannt, hätte er ihn wohl überhaupt nicht mehr dazu gebracht, seine Litanei an Entschuldigungen zu unterbrechen.
Fasziniert hatte der Amerikaner währenddessen von einem zum anderen geschaut. Auch Hanif hatte sowohl den Wortwechsel als auch die Reaktion des Fremden schweigend beobachtet. Und er war zu dem Schluss gekommen, dass eine Kugel zu schade wäre. Stattdessen würde er dem Kerl liebend gerne eine Abreibung verabreichen. Für seine Frechheit vorhin und für sein offensichtliches Amüsement jetzt, wo der krummbeinige Araber sich nur bemühte ihrer beider Leben zu retten. Aber er wusste, dass er im Moment kein Recht hatte, sich einzumischen. Seine Exzellenz würde schon mit der Situation fertig werden. Er hoffte nur, dass dies bald passieren würde, denn seine Geduld war am Ende. Er wollte nur noch nach Hause und freute sich, dass sie morgen bereits Zarifa erreichen würden, was nur noch wenige Stunden entfernt lag. Und nun diese absolut unwillkommene Störung ihrer abendlichen Routine.
In diesem Moment hob Rayan mit einer herrischen Bewegung die Hand, was Murat zum Verstummen brachte.
„Genug. Ich bin weder taub noch begriffsstutzig. Nimm deinen ‚Touristen‘ und verschwindet ganz schnell aus unseren Augen. Bevor ich es mir noch anders überlege.“
Wiederum folgten Lobpreisungen und viele Verbeugungen, aber immerhin nahm Murat den Amerikaner am Arm und zog ihn mit sich fort. Der setzte noch einmal kurz an „aber ich wollte doch nur die Pferde …“ aber eine Schimpftirade in Englisch, verbunden mit der Drohung sofort jegliche weiteren Erkundungen abzublasen und zurück nach Alessia zu reiten brachte ihn dazu, dann doch brav seinem Wüstenführer zu folgen.
Rayan riss sich zusammen, bis die beiden weit genug weg waren, wobei seine Lippen angesichts der lautstarken Beschimpfungen des Arabers gegenüber dem Texaner bereits verräterisch zuckten. Doch das konnte nur Hanif sehen, was dessen Stimmung aber keineswegs aufhellte.
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