Hand in Hand schlenderten sie die Passage entlang und kommentierten die Schaufenster und Passanten, ganz wie bei einem gewöhnlichen Pärchen. Carina strahlte. Als zu ihrer rechten ein Schild auf die Traditionsbrauerei und deren im hinteren Bereich befindlichen Biergarten hinwies, zog sie Rayan mit sich hinein. Jassim blieb aufmerksam die vorbeischlendernden Passanten beobachtend, vor der Tür stehen.
Vermutlich, da es ein Wochentag war, ergatterten sie problemlos einen Tisch. Trotz des reichhaltigen Frühstücks sah Carina auf ihre Uhr und stellte erleichtert fest, dass es kurz vor 11 Uhr war, und sie somit noch früh genug dran waren zum „Weißwurstessen“. Dazu bestellte sie sich ein Weizenbier. Rayan beobachtete ihre Begeisterung lächelnd, er selbst entschied sich für den „Obatzten“, da er kein Schweinefleisch aß. Er sah sich in dem kleinen Innenhof um und bewunderte die Verzierungen an der Steinfassade.
Entspannt scherzten und plauderten sie eine ganze Weile, dann gesellten sie sich wieder zu Jassim. Sie bewunderten den Blick auf die Frauenkirche und die sonstigen Sehenswürdigkeiten dieser Straße, bis sie zum Marienplatz kamen. Erstaunt fragte Rayan seine Begleiterin, was denn die vielen Menschen machten, die dort offenbar auf etwas warteten. Es waren überwiegend Touristen, viele davon aus Asien.
Lachend zeigte Carina auf die Fassade des neuen Rathauses und berichtete vom Glockenspiel. Sie zeigte dabei auf die Figuren. Jassim schüttelte den Kopf, er war Pragmatist und hatte wenig Sinn für derlei „Attraktionen“.
Interessant fanden beide auch die vielen Fahrräder, mit denen Touristenführer Touren durch die Stadt anboten - so etwas gab es in Alessia nicht.
Sie drehten eine Runde über den Viktualienmarkt und staunten über die Pferdemetzgerei. Nachdem die edlen Rösser aus der Zucht von Zarifa eher als Gefährten, denn als Transportmittel angesehen wurden, konnte sich keiner von den dreien vorstellen, diese jemals essen zu wollen.
Auf dem Rückweg schlenderten sie die rechte Seite entlang und als wäre Rayan gerade etwas eingefallen, schob er Carina in ein alt eingesessenes Juweliergeschäft.
Der Mann hinter dem Tresen sah interessiert auf, denn außer ihnen war der Laden leer. Mit geübtem Auge musterte er Carina von oben bis unten und konnte seine Enttäuschung nur schlecht verbergen. Die Frau war zwar attraktiv, und ihre Kleidung adrett, aber so eindeutig von der Stange, dass diese Dame bestimmt keinen größeren Betrag bei ihm zu lassen gedachte. Dann wanderte sein Blick weiter auf ihren Begleiter und ein Ruck ging durch seinen gesamten Körper, fast als würde er Haltung annehmen. Auf Anhieb erkannte er eine maßgeschneiderte Hose, wenn er sie vor sich hatte, und auch das Hemd war unverkennbar hochwertig. Demonstrativ hatte der Kunde seinen Arm um seine Freundin gelegt, offenbar hatte er den abschätzenden Blick sofort bemerkt.
Ein wenig verlegen, dass er so offenkundig durchschaut worden war, erkundigte sich der Angestellte mit besonderer Höflichkeit nach den Wünschen seiner Kunden. Erleichtert stellte er daraufhin fest, dass sich der elegant gekleidete Mann wieder entspannt hatte. Er hatte also den richtigen Ton getroffen.
Auf Englisch informierte Rayan den Angestellten, dass sie heute auf eine Hochzeit eingeladen seien und er seiner Freundin - der Verkäufer freute sich innerlich, dass er die Beziehung richtig eingeschätzt hatte - einen angemessenen Schmuck zu kaufen gedenke. In einer internationalen Stadt mit vielen Touristen wie München, war es keine Seltenheit, Englisch zu sprechen und so wechselte der Verkäufer problemlos in ein flüssiges, allerdings mit eindeutig deutschem Akzent versetztes Englisch. Wie bei so vielen anderen Deutschen machte ihm das „th“ zu schaffen.
Auf einmal erstarrte er und blickte wie gebannt auf Rayans Uhr. Als hätte er den goldenen Gral gefunden, begann er über die „Richard Lange Ewiger Kalender“ zu schwärmen, genau, wie Peter es am Vortag schon gemacht hatte. Gelangweilt maulte Carina, die über Ketten und Ohrringe und nicht über Uhren zu sprechen gedachte. Bevor Rayan es diesmal verhindern konnte, erläuterte der Juwelier: „Meine Dame! Diese Uhr ist eine Seltenheit! Es gibt nur einige wenige davon und sie kostet immerhin 180.000 Euro …“
2013 - Rub‘ al Khali: kleine Oase - Gefährlicher Übereifer
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Burt die beiden Reiter an. Damit war er nicht alleine, denn auch die wenigen Bewohner der Oase richteten ihre Aufmerksamkeit auf die zwei Tarmanen, die gerade stolz aufgerichtet dort einritten. Doch im Gegensatz zur freudigen Verehrung der Wüstenbewohner für die beiden Besucher galt das Interesse des Texaners den edlen Pferden. Die feurigen Tiere, die halbwild und trotzdem gut ausgebildet zu sein schienen, begeisterten ihn so sehr, dass er die Männer auf deren Rücken allenfalls mit einem Blick streifte.
Kaum dass die Krieger etwa fünfzig Meter entfernt abgestiegen waren, ging einer von ihren los, um Wasser zu besorgen, der andere machte sich daran, das Lager für die Nacht vorzubereiten. Offenbar ein eingespieltes Team. Wie in Trance ging Burt auf den Mann zu, der sich anschickte, ein kleines Zelt aufzubauen. Die Pferde waren nur etwa zehn Meter entfernt stehen geblieben. Als der Texaner einen kurzen Moment lang anhielt, um nach dem anstrengenden Weg durch den Sand zu Atem zu kommen, beobachtete er voller Faszination, dass es für die Tiere offenbar ein Zeichen war stillzustehen, wenn die Zügel über den Kopf gezogen waren und lose auf den Boden hingen. „Ich muss wissen, wie diese Halbwilden das machen, ohne die Tiere zu brechen.“ In Texas war es oft noch immer gang und gäbe, ein Pferd mit Gewalt zu zwingen, den Menschen zu Diensten zu sein. Dadurch ging jedoch meist der Charakter mit zugrunde. Und dass er es bei den stolzen Wüstenbewohnern nur mit unerzogenen Analphabeten zu tun hatte, war für ihn ohnehin ein Fakt. Darum betitelte er sie gerne für sich als „Halbwilde“.
Aufgrund seiner Begeisterung für die Pferde hatte er eben jeglichen gesunden Menschenverstand ausgeschaltet. Sämtliche Warnungen, die sein Wüstenführer ihm und fünf anderen Männern in seiner Gruppe seit Tagen immer wieder herunterbetete, waren wie ausgelöscht. Seine Gedanken drehten sich lediglich darum, wie er an eines dieser edlen Tiere kommen könne. Er sah sich selbst schon auf der dunkelbraunen Stute durch seine Heimat reiten. Die Gesichter seiner Freunde wären jegliche Kosten wert! Glücklicherweise war sein alter Vater ebenfalls ein Pferdenarr und hatte noch dazu die finanziellen Mittel, sodass Geld keine Rolle spielen würde.
Mit diesen Überlegungen näherte er sich bis auf wenige Meter den Pferden, als ihn eine scharfe Stimme erschreckt aufschauen ließ. Obwohl er des Arabischen nicht mächtig war, war ihm sofort klar, dass es eine Warnung gewesen sein musste. Das brachte ihn in die Wirklichkeit zurück. Vorsichtshalber hob er die Hände halbhoch, um klarzumachen, dass er nichts Böses im Schilde führte. Und als er sich langsam umdrehte, sah er wenige Meter vor sich denjenigen der beiden Reiter vor sich, der gerade noch mit dem Zelt beschäftigt gewesen war. Das Gesicht des Mannes sagte mehr als tausend Worte, was er von der ungestümen Annäherung eines Fremden hielt. Seine rechte Hand befand sich im Ärmel seines linken Armes und zu seinem Entsetzen sah Burt etwas Silbernes blitzen. Sofort war ihm klar, dass es sich nur um ein Messer handeln konnte. Eine kalte Hand griff nach seinem Herzen, als er schlagartig die Gefahr spürte, in der er sich befand.
Und zum ersten Mal musterte er „den Halbwilden“ genauer. Der Mann war groß, mit Sicherheit fast 1,90 m schätzte Burt. Dazu schlank und muskulös, seine Bewegungen geschmeidig. Eigenartigerweise ging dem Amerikaner in diesem Moment durch den Kopf, dass der Mann überaus gutaussehend war, genau der Typ, auf den die Frauen flogen, mit ebenmäßigen Gesichtszügen, in denen die Proportionen wunderbar harmonierten. Stolz aufgerichtet sah der den Texaner drohend an. Die fast schwarzen Augen schienen ihn durchbohren zu wollen und Burts Nackenhaare richteten sich auf. Die Gefahr, in der er schwebte, war nun deutlich greifbar. Eine einzige falsche Bewegung und das Messer würde auf seinen tödlichen Weg geschickt werden. Instinktiv war dem Texaner klar, dass der andere keine Sekunde zögern würde, ihn auszulöschen. Der Pferdeliebhaber zwang sich zur Ruhe. Er hatte schließlich nichts verbrochen. Noch nicht einmal angefasst hatte er die Tiere! Trotz regte sich in ihm und er reckte angriffslustig sein Kinn vor, was sein Gegenüber dazu brachte, überrascht die Brauen hochzuziehen. Offenbar war er es nicht gewohnt, dass man sich von seinen Drohungen nicht einschüchtern ließ.
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