Helene ist nicht gut drauf. Es gibt so viele Dinge, die sie machen möchte – alles was sie auch früher konnte. Jetzt müssen wir sie davon abhalten. Das macht sie böse, wir können nicht viel mehr machen, als alle Türen abzuschließen: Küchentür, Badezimmertür, Dielentür, etc. Das ist auch nicht schön, man fühlt sich selbst wie im Käfig, aber so ist es ausgeschlossen, dass Helene etwas ohne unser Wissen anstellt.
Am Abend ist sie dann wieder gut drauf. Und sie kann sich auch gut mit dem Besuch abfinden. Beteiligen ist natürlich nicht möglich, aber sie kann sich freuen über irgendwelche Gesprächsfetzen und versucht dann, auch etwas zu sagen.
Dienstag, 20. September 2011
8:45 Uhr, der Rollladen im Schlafzimmer von Helene wird hochgezogen, ich springe runter, Helene liegt lächelnd im Bett und ihr Mann steht daneben. „Aufstehen“ sagt er freundlich zu Helene….sie lächelt uns an, ich gebe ihr ein Küsschen auf die Wange, nehme sie in die Arme, sie fühlt sich an wie ein warmes Brötchen und wir beide helfen ihr beim Aufstehen. Ihr Schlafanzug ist heute mal wieder etwas durchnässt und wir müssen das Bett abziehen und lüften. Das passiert immer, wenn Helene länger schläft. Mit dem Waschen und Ankleiden läuft es wie immer, mit etwas Gemurre lässt Helene das alles über sich ergehen.
Nur heute ist sie nicht so freundlich mit ihrem Spiegelbild. Es wird gemeckert und böse zurückgeschaut, die Frau die ihr im Siegel entgegensieht gefällt ihr heute überhaupt nicht. Also gehen wir zusammen langsam die Treppe runter in die Küche um unser Frühstück zuzubereiten. Albert sagt, heute ist kein guter Tag für ihre Medikamente…und er hat recht. Sie spuckt die Tabletten immer wieder aus, schlägt mit ihrer Hand den Löffel weg, auf dem die Tabletten liegen, geht auch auf ihren Ehemann los und murrt, verschüttet das Wasser aus dem Glas, der Küchenboden wird nass. Albert wischt sofort auf und versucht geduldig weiter, seiner Ehefrau die Pillen zu verabreichen. Sie wehrt sich aber immer heftiger und schlägt um sich und faucht, …bis Albert endlich der Geduldsfaden reißt. Er wird laut und sagt sehr bestimmend: „Du nimmst jetzt deine Pillen!“. Und endlich ist es geschafft: die Pillen sind in ihrem Mund.
Aber Helene ist beleidigt, worauf Albert sie aus der Küche schickt. Ich gehe raus zu ihr, und Helene zeigt mir sofort die Zunge, die war noch weiß von den Tabletten. Ich will ihr das Wasserglas reichen, damit sie ein Schluck trinken und die Medikamente, die sich schon auf ihrer Zunge aufgelöst haben, vollends runterschlucken kann, aber sie lehnt entschieden ab….sie ist mal wieder beleidigt.
Albert erzählt mir später, dass er eine schlechte Nacht hatte. Er sei des öfteren aufgewacht und heute Früh, nach dem Duschen, verletzt er sich auch noch den Hoden und blutet. Ich frage mich, wie kann man sich beim oder nach dem Duschen den Hoden verletzen ? Er sagt mir, dass dies beim Abtrocknen passiert sei und er es erst bemerkte, als am Boden und an der Badvorlage Bluttropfen waren. Er ist fix und fertig und auch total müde…und dann noch dieses Geduldspiel mit Helene heute Morgen. Kein Wunder, denke ich, dass er mal explodierte.
Heute Abend ist Helene im Fernsehsessel eingenickt und wir haben große Mühe, sie auf die Beine zu bringen. Zu zweit schaffen wir es endlich und führen sie an der Hand, Albert rechts, ich links, ins Bad. Sie hat Schwierigkeiten, ihre Augen zu öffnen. Wir reden ruhig auf sie ein und endlich im Bad angekommen, ihre Äuglein halb offen, blickt sie in den Spiegel und sofort murrt sie die böse Frau im Spiegel an. Wir wechseln so schnell es geht ihre Windelhose: immer das gleiche Ritual. Danach putzt Albert ihr noch die Zähne; dagegen sträubt sie sich auch und danach tippelt Albert mit ihr ins Schlafzimmer und bringt sie in ihr Bett. Er deckt sie liebevoll zu und als er ihr ein Gutenachtküsschen gibt, spuckt sie ihm ins Gesicht.
„Das machst du aber nie wieder“, höre ich ihn sagen.
Dienstag, 20. September 2011
Helene schlief sehr lange und hat auch wieder das Bett durchnässt, trotz großer Windel und Gummihose. Sie ist auch nicht gut gelaunt. Brauchen viel Zeit, um sie für das Frühstück fertig zu machen. Zähne putzen will sie auch nicht.
Es ist ein wunderbarer Tag, Sonne und angenehme Temperaturen. Trotzdem bleiben wir den ganzen Tag im Haus. Helene ist sehr quengelig. Ich glaube, sie zieht sich mehr und mehr in ihr Vergessen zurück. Sie ist zwar ansprechbar, aber sie will die Augen nicht mehr aufmachen. Man muss sich schon sehr bemühen.
Übermorgen fahren Berta und ich nach Italien und Helene bringen wir nach Emmendingen ins Heim. Ich bin an diesem Tag sehr genervt, wir müssen noch etwas einkaufen und sind mit Helene unterwegs. Sie hat extreme Schwierigkeiten, ins Auto zu steigen und will erst aussteigen, wenn ich auch schon ausgestiegen bin. Möchte für Berta noch gern ein Eis ausgeben, für mich natürlich auch und Helene bekommt einen kleinen Eisbecher mit einer Kugel Schokoladeneis. Sie will es dann aber gar nicht. Wie gesagt, bin schon sehr genervt.
Um kurz nach zehn können wir Helene ins Bett bringen – mit den üblichen Mühen.
Es bleibt nur wenig Zeit zusammen mit meinem Liebling. Irgendwie sind wir beide geschafft.
Mittwoch, 21. September 2011
Heute morgen kommt die Nachbarin, eine Friseurin. Sie hilft uns Helenes Haare zu waschen. Das ist immer eine Prozedur. Meine Nerven liegen blank, zudem es Albert heute auch nicht so gut geht. Er klagt über Schulterschmerzen, ich denke, das kommt vom Heben. Wenn wir Helene ankleiden, muss er ihr immer abwechselnd das Bein heben und manchmal ist es nicht so leicht - sie sträubt sich und stampft mit dem Fuß, aber wir können sie ja nicht ohne Hosen laufen lassen. Und darum habe ich heute auch nicht so viel Geduld mit Helene. Auch möchte ich nicht, dass er sich für seine Ehefrau so aufopfert und selbst krank wird….was ist dann ?
...was wird dann aus Helene….und mir ?
Heute Mittag packen wir unsere Koffer. Wir fahren morgen nach Italien. Helene bringen wir für eine Woche in ein Pflegeheim bei Freiburg. Wir freuen uns wirklich auf die paar freien Tage ohne Windelwechseln und Popo putzen, füttern und ankleiden und aufpassen…
Und mal kein Gemurre und Geschimpfe vor dem Spiegel…und Albert kann endlich mal wieder durchschlafen, ohne Krämpfe und Wehwehchen….er braucht das wirklich.
Heute Mittag, beim Kofferpacken, raste ich fast aus. Ich stehe vor meinem Kleiderschrank, Koffer auf dem Bett hinter mir und Helene steht wie immer im Türrahmen und schaut zu. Dann, auf einmal, schleicht sie sich an meinen Kleiderschrank, ich schiebe sie etwas zurück, - das mag ich überhaupt nicht und das stört mich auch gewaltig beim Koffer packen. Aber gleich darauf kommt Albert von hinten mit einer Pinzette in der Hand, schiebt Helene wieder zu mir herein und rupft ihr genüsslich einige Härchen im Gesicht …und dabei turtelt er mit ihr….ich denke, ich platze oder ich muss gleich schreien… nur raus hier… und zwänge mich an den beiden vorbei, gehe eiligst die Treppen hoch und atme mal richtig durch….
Das halte ich im Kopf nicht aus, denke ich!!!!!
Beruhige mich dann aber doch schnell und gehe wieder runter. Albert und ich sprechen uns dann aus und jetzt ist wieder alles ok….hab’ ihm erklärt, warum ich so reagiert habe…jetzt ist alles wieder Eierkuchen….
Wir freuen uns auf morgen.
Mittwoch, 21. September 2011
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