„Mein lieber Freund“, antwortete Hoa gönnerhaft, „Sie kennen doch unsere Drei-Säulen-Strategie im Bereich der Pflanzengenetik. Erstens: Wir schaffen alle Voraussetzungen, um in der Forschung ganz vorne mitzuspielen. Zweitens: Wir verfolgen intensiv die weltweiten Aktivitäten und Forschungsergebnisse der führenden Institute und Firmen. Darin ist unser lieber Freund Fong, bekanntlich sehr erfolgreich. Drittens: Wir wollen weltweit die Vorherrschaft im Bereich der Pflanzengenetik erreichen. In zehn Jahren sollen von zehn Prozent aller weltweit vervielfältigten und angebauten Pflanzen die fälligen Lizenzgebühren in unsere Kassen fließen. Das ist nach chinesischen Maßstäben eine unglaublich kurze Zeitspanne. Deshalb ergreifen wir jede sich bietende Chance, um zusätzliches Know-how zu gewinnen und langwierige Forschungen abzukürzen. Ich weiß, wovon ich rede. Die Züchtung einer einzigen ertragreicheren Reissorte nimmt zehn bis fünfzehn Jahre in Anspruch. Und das müssen Sie mit Hunderten von Sorten parallel machen und hoffen, dass eine dabei ist, die wirklich alle Anforderungen bis zum Schluss erfüllt.“
„Ich kenne die Strategie, verehrter Hoa. Ich habe mich unklar ausgedrückt, eigentlich zielt meine Frage darauf ab, ob es sich bei der Maisforschung, die SEEDAGRO in Mexiko illegal durch Terry Hennings betreibt, um einen gefährlichen Irrweg mit unkalkulierbaren Folgen handeln könnte?“
„Irrweg hin oder her“, antwortete Fong, „wir müssen auch Irrwege sicher beherrschen. Wir können Folgen sehr gut abschätzen. Allerdings sind wir weniger ängstlich als der Westen und gehen Risiken ein, die der Westen aufgrund seines Wertekanons niemals eingehen würde, weil jeder Fortschritt, der das Leben auch nur im Entferntesten um eine Sekunde verkürzen könnte, sofort in Frage gestellt wird. Westliche Gesellschaften sind verweichlicht und werden zunehmend von irrationalen Ängsten beherrscht. Deswegen werden sie irgendwann ihre beherrschende Rolle einbüßen. Dann muss China bereit sein in die Fußstapfen zu treten!“
„General, wenn ich es richtig verstanden habe, heißt das aber: Wir wissen noch nicht, ob diese Technologie gefährlich ist oder nicht.“
„Ein Sprichwort sagt: Wer nicht lernt, ist dunkel wie einer, der durch die Nacht läuft. Wir werden nicht durch die Nacht laufen, wir werden von den Fehlern der anderen lernen. Und wenn die andern noch schlafen, werden wir schon wach sein. Wenn der Westen die Technologien fallen lassen sollte, weil sie gefährlich sind, so werden wir die Gefahr zum Bogen für den Pfeil gegen den Westen machen“, orakelte Fong.
„Als Waffen? Wie soll ich das verstehen?“, wollte Lij wissen.
Fong lächelte unerforschlich wie ein Mandarin.
„Manchmal ist man gezwungen, einer Entwicklung auf die Sprünge zu helfen. Wir vom Staatsschutz machen keine Politik, mein Lieber, aber ihr beim ZK habt manchmal Wünsche und Vorstellungen, die sich nicht ohne sanften Druck realisieren lassen. Also bitte sparen Sie sich die gespielte Verwunderung.“
„General, als ob ich nicht selber wüsste, wie China Spitzenpositionen erobert! Ich will diese Besprechung deshalb nicht ohne zwei klare Statements seitens des ZK verlassen“, antwortete Lij leicht gereizt.
Fong verschränkte die Arme und warf ihm einen gnädigen Blick zu. Lij wusste, wenn Fong die Arme verschränkte, war das, als ob man dem Rechner den Befehl gab, ein nichtssagendes Statement auszudrucken.
„Erstens: Das Zentralkomitee wird alles daransetzen, um in den Besitz der von SEEDAGRO entwickelten Technologie zur Pflanzengenetik zu kommen. Zweitens: Verwechseln Sie nie Ursache und Wirkung. Das Zentralkomitee bündelt den politischen Willen unseres Volkes, und Sie führen ihn durch.“
Daraufhin beschloss Hoa das Meeting, dankte allen Beteiligten und bat Lij um die Überstellung des geheimen Durchführungsbeschlusses. Alle verneigten sich voreinander und Hoa blieb die Genugtuung, als Erster den Raum verlassen zu dürfen.
2. Oaxaca (Mexiko), Mai2103
Alfonso Perreira lud im Morgengrauen die Hacken und Schaufeln mitsamt einem Leinensack gestrigen Brotes und drei Plastikflaschen Wasser auf den Hänger, und warf den Traktor an, ein übrig gebliebenes Erbstück deutscher Entwicklungshilfe der Marke Fahr. Wie jeden Tag seit über zwanzig Jahren sprang er auf wundersame Weise an. Damals hatten sich deutsche Entwicklungshelfer in Heerscharen um die Kooperative gekümmert und sie mit moderner Technik aufgerüstet. Immerhin waren dabei ein Mähdrescher, ein Vorratsgebäude, ein Tiefbrunnen, eine Saatgutbeizanlage und sogar ein kleines Kooperativenzentrum herausgesprungen, das heute noch den gesellschaftlichen Mittelpunkt der Bauern in der Kooperative bildete. Hier brannten sie heimlich ihren Schnaps und beendeten ihr Tagwerk, bis sie oft spätabends von ihren schimpfenden Frauen unter wüsten Drohungen nach Hause verfrachtet wurden.
Perreira hatte sieben Kinder. Die beiden ältesten Söhne arbeiteten illegal bei den Gringos. Die älteste Tochter hatte vor kurzem einen Beamten des Innenministeriums geheiratet. Die anderen vier Kinder gingen noch zur Schule und halfen auf dem Hof.
Er fuhr an den weiß gekalkten Häusern des Dorfes vorbei, drei wartende Bauern warfen ihre Schaufeln auf den Hänger und sprangen wortkarg auf. Es war kühl, sie gaben sich den schaukelnden Bewegungen hin, die der holprige Feldweg verursachte, und vergruben sich vor der Staubwolke unter ihren Ponchos. In diesem Jahr konnte sich die Kooperative keine Unkrautvertilgung mehr leisten und so mussten sie täglich selbst die ausgekeimten Maispflanzen vom Unkraut befreien.
Die Bauern auf dem Hänger riefen laut zu Perreira.
„Stopp, Alfonso. Fahr doch rechts rüber. Schaut euch das Feld da drüben an, das wir gestern gesäubert haben.“
Alfonso stoppte. Sie sprangen vom Hänger und rannten zum Feld. Als sie davorstanden, waren sie sprachlos. Die etwa zwanzig Zentimeter hohen Maispflanzen waren beinahe restlos umgefallen. Die wenigen aufrechten Pflanzen sahen krank aus, und es gab keinen Zweifel, dass sie in Kürze das Schicksal ihrer Artgenossen teilen würden.
„Da hat uns jemand übel mitgespielt“, sagte Roberto.
„Du spinnst“, sagte Perreira, „hier wohnen überall genauso arme Schlucker wie wir.”
„Aber dann erkläre mir gefälligst diese Sauerei“, meuterte Roberto.
„Ich habe auch keine Erklärung“, raunzte Perreira, „vielleicht ist es irgendein neuer Schädling. Lass uns Paolo rufen, der soll Bodenproben nehmen und die Pflanzen untersuchen, dazu ist er verpflichtet.“
„Ach was, der liegt wieder besoffen im Bett und kriegt vor Mittag kein Bein auf die Erde!“, rief Roberto wütend. „Wenn wir uns nicht selbst helfen, hilft uns keiner.“
„Dann machen wir eben seinen Job und bringen ihm die Sachen hin“, rief Perreira. „Der Gauner ist uns noch einiges schuldig, der hat mit Sicherheit wieder am Saatgutverkauf mitverdient.“
Sie gruben die abgestorbenen Pflanzen mitsamt den Wurzelballen aus und legten alles auf den Hänger. Anschließend fuhren sie ins Dorf zurück, wo Perreira vom Telefon des Dorfladens Paolo, den Landinspektor, anrief. Paolo klang wider Erwarten munter und versprach, sofort herzukommen.
Die Nachricht vom erkrankten Feld ging wie ein Lauffeuer durchs Dorf. Als Paolo auf dem Dorfplatz aus seinem alten Auto stieg, redeten alle gleichzeitig auf ihn ein. In einer Traube marschierten sie zu dem Hänger. Paolo sah sich die Pflanzen genau an und schüttelte vorsichtig die Erde von der Wurzel.
„Die Wurzel ist krank“, meinte er, „seht ihr: Die Wurzeln sind grau. Und hier sogar schwarz.“
„Aber das hat doch eine Ursache“, sagte Perreira.
„Du bist ein schlaues Kerlchen. Meinst du, dass ich das nicht selber weiß?”
„Dann unternimm was“, sagte Perreira.
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