Hätten Sie das geglaubt, lieber Danglars? sagte Herr Morel, als er seinen Rechnungsführer und Caderousse einholte, denn er eilte selbst in die Stadt zurück, um von dem ihm bekannten Staatsanwalt, Herrn von Villefort, etwas über Edmond zu erfahren; hätten Sie das geglaubt?
Bei Gott! erwiderte Danglars, ich sagte Ihnen, Dantes sei ohne allen Grund auf der Insel Elba gelandet, und dieser Aufenthalt war mir verdächtig vorgekommen.
Haben Sie Ihren Verdacht irgend jemand außer mir mitgeteilt?
Ich hütete mich wohl, erwiderte Danglars ganz leise; Sie wissen, wegen Ihres Oheims, des Herrn Policar Morel, der unter dem andern gedient hat und aus seiner Gesinnung keinen Hehl macht, stehen Sie in Verdacht, Napoleon zu beklagen. Ich mußte fürchten, Edmond zu schaden, und damit auch Ihnen; es gibt Dinge, die man seinem Reeder mitzuteilen und allen anderen zu verbergen verpflichtet ist.
Gut, Danglars, gut! sagte der Reeder; Sie sind ein braver Mann; auch habe ich an Sie gedacht für den Fall, daß dieser arme Dantes Kapitän des Pharao würde, ich fragte ihn, was er von Ihnen dächte, und ob es ihm widerstrebe, Sie an Ihrem Posten zu behalten, denn ich weiß nicht, ich glaubte, eine gewisse Kälte zwischen euch wahrzunehmen.
Und was hat er Ihnen geantwortet?
Er glaube wirklich unter Umständen, die er auch nannte, unrecht gegen Sie gehabt zu haben, aber jeder, der das Vertrauen des Reeders besitze, besitze auch das seinige.
Der Heuchler! murmelte Danglars.
Armer Dantes! sagte Caderousse, er ist offenbar ein vortrefflicher Junge.
Ja, aber mittlerweile ist der Pharao ohne Kapitän, versetzte Herr Morel.
Oh, da wir erst in drei Monaten abreisen, so läßt sich hoffen, daß Dantes dann wieder in Freiheit gesetzt sein wird, und bis dahin bin ich da, Herr Morel, antwortete Danglars. Sie wissen, daß ich die Führung eines Schiffes so gut verstehe, wie ein Kapitän, der nach den entferntesten Ländern Fahrten unternimmt, und wenn Edmond aus dem Gefängnis kommt, brauchen Sie niemand zu danken. Er nimmt seinen Platz wieder ein und ich den meinigen, und damit ist die ganze Sache abgemacht.
Ich danke, Danglars, damit ist wirklich alles geordnet, übernehmen Sie also das Kommando, ich bevollmächtige Sie dazu, und beaufsichtigen Sie das Löschen der Ladung! Welches Unglück auch dem einzelnen begegnen mag, die Geschäfte dürfen nie darunter leiden.
Seien Sie unbesorgt! Aber kann man ihn denn wenigstens sehen, den guten Edmond?
Ich werde Ihnen das bald sagen, Danglars; ich will versuchen, Herrn von Villefort zu sprechen und zu Gunsten des Gefangenen umzustimmen. Ich weiß wohl, daß er ein wütender Royalist ist; aber wenn auch Royalist und Staatsanwalt, ist er doch ein Mensch, und ich halte ihn nicht für bösartig.
Nein, aber ich hörte, er sei ehrgeizig, und das ist dem sehr ähnlich.
Nun, wir wollen sehen, sagte Herr Morel mit einem Seufzer; gehen Sie an Bord, ich komme zu Ihnen. Und er verließ die zwei Freunde, um den Weg nach dem Justizpalaste einzuschlagen.
Du siehst, welche Wendung die Sache nimmt, sagte Danglars zu Caderousse. Hast du noch Lust, Dantes zu unterstützen?
Gewiß nicht, aber es ist doch etwas Furchtbares, daß ein Scherz solche Folgen hat.
Der Teufel! Wer hat ihn gemacht? Weder du noch ich, sondern Fernand. Du weißt, daß ich das Papier in einen Winkel geworfen habe; ich glaubte sogar, ich hätte es zerrissen.
Nein, nein, erwiderte Caderousse.
Fernand wird es aufgehoben haben, sagte Danglars; er hat es wahrscheinlich kopieren lassen . . . vielleicht hat er sich nicht einmal diese Mühe genommen; wenn ich bedenke, mein Gott! . . . er hat am Ende meinen eigenen Brief abgeschickt. Zum Glück hatte ich meine Handschrift verstellt.
Ich gäbe viel, wenn dies nicht geschehen wäre, versetzte Caderousse, oder wenn ich wenigstens in keiner Beziehung dazu stände. Du wirst sehen, es bringt uns Unglück.
Wenn es einem Unglück bringen soll, so ist das der wahre Schuldige, und der ist Fernand, wir sind es nicht. Was soll uns widerfahren? Wir haben uns nur ruhig zu verhalten, von der ganzen Geschichte keinen Ton zu reden, und das Gewitter geht vorüber.
Amen, sagte Caderousse, machte Danglars ein Zeichen des Abschiedes und wandte sich nach den Allées de Meillan, wobei er jedoch beständig den Kopf schüttelte und mit sich selbst sprach, ganz von peinigenden Gedanken erfüllt.
Gut, sagte Danglars, die Sache nimmt die von mir vorhergesehene Wendung; ich bin fürs erste Kapitän, und wenn dieser Dummkopf von Caderousse schweigen kann, für immer Kapitän. Es kann also nur das eine dazwischen treten, daß das Gericht Dantes freiläßt. Doch, fügte er lächelnd hinzu, die Justiz ist die Justiz, und ich verlasse mich auf sie.
Hierauf sprang er in eine Barke und gab den Schiffern Befehl, ihn nach dem Pharao zu rudern.
In der Rue du Grand-Cours, in einem der alten aristokratischen Häuser, feierte man zu derselben Stunde ebenfalls ein Verlobungsmahl. Nur gehörten die Gäste nicht dem Volke, sondern der Spitze der Marseiller Bevölkerung an. Es waren ehemalige Beamte, die unter dem Usurpator Napoleon ihren Abschied genommen hatten, alte Offiziere, die aus den Reihen des französischen Heeres desertiert waren, um zu Condés Armee überzugehen; junge Leute aus hoher Familie, in dem Hasse gegen den Mann erzogen, der dem französischen Volke nach fünf Jahren der Verbannung als Märtyrer und nach fünfzehn Jahren der Restauration als Gott erscheinen sollte.
Man saß bei Tische, und das Gespräch war im Schwunge, glühend von allen den Leidenschaften der Zeit, von den Leidenschaften, die um so lebendiger und erbitterter im Süden brausten, als seit fünf Jahren der religiöse Haß den politischen unterstützte.
Der Kaiser, – Herr der Insel Elba, nachdem er der unumschränkte Beherrscher eines Weltalls gewesen war, eine Bevölkerung von fünf bis sechstausend Seelen regierend, nachdem er: Es lebe Napoleon! von hundert und zwanzig Millionen in zehn verschiedenen Sprachen hatte rufen hören, wurde hier als ein für immer abgetaner Emporkömmling hingestellt. Die Beamten enthüllten seine politischen Mißgriffe, die Offiziere sprachen von Moskau und Leipzig, die Frauen von seiner Scheidung von Josephine.
Ein mit dem Sankt-Ludwigskreuze geschmückter Mann erhob sich und schlug den Gästen die Gesundheit des Königs Ludwig XVIII. vor. Es war der Marquis von Saint-Meran. Bei diesem Toast entstand eine gewaltige Begeisterung. Die Gläser wurden emporgehoben, die Frauen machten ihre Sträuße los und streuten die Blumen über das Tischtuch.
Wenn sie da wären, sagte die Marquise von Saint-Meran, eine Frau mit trockenem Auge, dünnen Lippen, mit aristokratischer und trotz ihrer fünfzig Jahre noch zierlichen Haltung, alle diese Revolutionäre, die uns vertrieben haben, und die wir nun ganz ruhig in unseren alten Schlössern, die sie unter der Schreckensregierung für ein Stück Brot erkauft haben, Meutereien anzetteln lassen, sie müßten anerkennen, daß die wahre Ergebenheit auf unserer Seite war, denn wir hielten an der einstürzenden Monarchie fest, während sie die aufgehende Sonne begrüßten und ihr Glück machten, indem wir das unsere verloren; sie müßten anerkennen, daß unser König Ludwig der Vielgeliebte wirklich gut war, während ihr Usurpator nie etwas anderes gewesen ist, als Napoleon der Verfluchte, nicht wahr, Villefort?
Sie sagen, Frau Marquise? . . . verzeihen Sie, ich war nicht beim Gespräche . . .
Ah, lassen Sie die Kinder, Marquise, versetzte der Greis, der den Toast ausgebracht hatte; diese Kinder wollen sich heiraten und haben natürlich von etwas anderem miteinander zu sprechen, als von Politik.
Ich bitte um Vergebung, meine Mutter, sagte eine junge, hübsche Dame mit blonden Haaren und mit Samtaugen, ich gebe Ihnen Herrn von Villefort zurück, den ich für eine Minute in Anspruch genommen hatte. Herr von Villefort, meine Mutter spricht mit Ihnen.
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