Im Fernsehen läuft erneut eine der so leidigen Hunde-Diskussionen. Wie fast jede, mit jenem korpulenten, kahlköpfigen Schauspieler, welcher sich besonders durch seine blöden, menschenfeindlichen Argumente hervortut und dabei gleichzeitig Reklame für seine Hunde-Bücher ausübt.
Wie so oft, bringen die exorbitanten Hundeliebhaber das dumme Gerede: »Es kommen viel mehr Menschen im Straßenverkehr um, als von einem Hund verletzt werden!«
Nachdem Stefan diesen Satz gehört hat, meint er: Das darf doch wohl nicht wahr sein! Erstens mal könnte man mit einer ähnlichen Begründung jeden Gewaltverbrecher oder Mörder aus dem Gefängnis lassen. Zum Beispiel: »Es kommen viel mehr Menschen im Straßenverkehr um, als ermordet werden.« Oder »Es kommen viel mehr Menschen im Krieg um, als im Frieden ermordet werden.«
Und zweitens mal kann man sich vor Verkehrsunfällen ja schützen: indem man aufpasst im Straßenverkehr, nicht einfach auf die Straße rennt und möglichst wenig Auto fährt, besonders in der Großstadt, wo es öffentliche Verkehrsmittel gibt. Autos sind doch gewöhnlicherweise nur auf der Straße. Die Köter dagegen sind fast überall, so dass man ihnen nicht ausweichen kann. Und Schusswaffen sind verboten.
Als die Moderatorin den jüngsten Fall erwähnt, in dem eine Bestie einem Baby den Kopf abgebissen hat, da lacht die Gruppe der Hunde-Fanatiker lauthals los. Wieder kann Stefan es gar nicht fassen: Was sind das nur für grausame Leute? So was Menschenverachtendes! Die sind ja noch schlimmer als ich dachte!
Im Fernsehen wird berichtet: »In Tokio ist das Halten von Hunden verboten.«
Stefan denkt: Es muss ja nicht ganz sein. Ich wäre ja schon froh, wenn nur kleine erlaubt wären, oder wenn für die großen, gefährlichen wenigstens Maulkorbpflicht bestände.
Eines Tages kehrt er abermals von einem Besuch bei seiner Tante zurück. Letztere hat ihm in einer bunten Plastiktüte ein paar Äpfel mitgegeben. Er geht auf dem Bürgersteig neben einer vielbefahrenen Straße entlang. Dieser Weg ist allerdings durch einige Bäume und Sträucher von der Straße getrennt.
Stefan sieht einen frei umherlaufenden Schäferhund langsam auf sich zukommen. Ein Stück weiter weg lungert eine Gruppe Jugendlicher herum.
O Schreck! Was nun? Ein Ausweichen zur Seite ist nicht möglich. Zurück würde nichts nützen, dazu bin ich schon zu nah. Das Viech würde mir höchstwahrscheinlich hinterherlaufen.
Jetzt gibt es nur eins: Nichts anmerken lassen und selbstsicher durchgehen!
Doch das Tier scheint den schlanken Jungen genau anzupeilen. Schreitet er etwas nach links, tut der Vierbeiner genau dasselbe, nach rechts — ebenso. Verständlicherweise will der Bedrängte nicht direkt mit seinem Bein gegen die Schnauze drücken. Aber wenn es so weitergeht, wird dies passieren!
Ganz mulmig ist unserem Helden zumute:
Jeden Moment kann er zubeißen! Gott, bitte nicht! Warum bin ich so hilflos?! Ich kann doch nichts machen!
Trotzdem bewahrt er nach außen hin die Fassung, verzieht keine Miene und versucht sich ganz gelassen zu bewegen.
Dann bemerkt das Wesen mit der heraushängenden Zunge die Tasche und wendet sich ihr zu.
Stefan geht ruhig weiter. Er vermutet: Jetzt leckt das verdammte Biest an der Tüte! Bah, ist das eklig! Nur nicht hingucken! Im Fernsehen haben sie gesagt: Man soll einem Hund nie in die Augen blicken, sonst würde man ihn reizen! Aber was kann man tun?
— Ewiger Augenblick —
Dann ruft einer der Jugendlichen, denen er sich immer mehr nähert: »Arko!«
Schließlich ein anderer: »Arko, du hast heut schon gefrühstückt!« Darauf folgt Gelächter.
Die Wut steigt in Stefan hoch: Muss man sich denn alles gefallen lassen von diesen hochnäsigen Hundebesitzern? Sich erniedrigen sowie von ihren verdammten Mistviechern belecken lassen? Hat man wirklich noch froh und dankbar zu sein, wenn man nicht gebissen wurde?!
Wieder zu Hause, setzt er sich hin und weint, über die Bösartigkeit jener Mitmenschen sowie über seine eigene Hilflosigkeit. Erinnerungen werden in ihm wach, an seine ehemaligen Mitschüler, die ähnlich mit ihm umgesprungen sind wie diese Jugendlichen, ebenso wie sein Vater.
Soll die Demütigung ewig so weitergehen?
Stefan spricht mit seiner Mutter immer wieder darüber: »Das ist doch kein Leben! Ich müsste eine Waffe haben, damit ich mich wehren kann. Am besten wäre ein Revolver, aber die sind ja verboten in diesem Scheiß-Verbrecherstaat! Man kommt ja an keinen ran.«
Frau Schmidt entgegnet: »Höchstens eine Schreckschusspistole. Die knallt gleich laut.«
»Na und? Das nützt doch nichts! So eine Bestie lässt sich doch nicht von einem Knall abhalten. Ich will nicht ins Krankenhaus wegen so einem Scheiß-Viech! Außerdem, wenn mich ein Köter beißt, dann soll er auch dafür bestraft werden. Also, wenn ich schon keine Schusswaffe kriegen kann, dann wenigstens ein Messer. Am besten so ein Springmesser, damit ich mir es in die Hosentasche stecken kann und die Klinge schnell rauskommt. Ich habe schon einen Katalog, da ist sogar so eins drin. Das bestelle ich mir jetzt endlich.«
»Mensch, Junge!«, regt die Mutter der Gedanke auf. »Was willst du denn damit machen? Du kannst doch nicht jeden Hund, der in deine Nähe kommt, gleich abstechen!«
»Das will ich ja auch gar nicht. Aber ich will aufrecht gehen können, mit mehr Sicherheit, ohne ständig das Gefühl zu haben, wehrlos ausgeliefert zu sein! Warum verstehst du das denn nicht?! Also, wenn ich ein großes Tier sehe, hole ich schon mal vorsorglich mein Messer aus der Tasche und halte es in der Hand bereit. Na, und wenn es mich beißt, dann wehre ich mich! Dann stech’ ich es ab«, erklärt Stefan seine Absichten.
»Ja, wenn es sein muss. Ich meine, du brauchst so was nicht. Das ist doch alles Quatsch. Du wirst sowieso nicht gebissen.«
»Na, dann ist es ja gut. Dann schadet es doch nichts, wenn ich trotzdem das Messer bei mir habe.«
»Tja, wenn du sonst solche Angst hast, dass du gar nicht mehr rausgehen willst, dann bestell dir das eben.«
Gesagt — getan. Bald hat Stefan das Messer. Er lässt es schärfer schleifen und nimmt es nun jedes Mal mit sich, wenn er an die frische Luft geht.
Monate vergehen — nichts passiert.
Unser junger Phantast sehnt sich wieder nach der Spielbank. »Komm doch mit«, bittet er die Mutter.
»Nein, ich will nicht. Ich weiß gar nicht, wovor du da Angst hast. Im Casino gibt es doch keine Hunde. Du steigst direkt vor deiner Haustür ins Taxi, und schon bist du da. Du bist doch dann immer abgeschirmt.«
»Es ist ja nicht wegen der Hunde, sondern wegen den Leuten. Dass ich nicht so alleine da bin«, verdeutlicht Stefan.
Frau Schmidt versichert ihm: »Du brauchst dich doch nicht zu genieren. Du hast genauso viel Recht da zu sein wie jeder andere. Oder meinst du, die anderen sind was Besseres! Du musst einfach selbstbewusst sein.« So redet sie ihm ein, dass er ein Mensch sei, der etwas wert ist und sich nicht alles gefallen lassen müsse.
Es dauert lange. Schließlich überwindet sich der Schüchterne und geht alleine:
Heute fängt er gleich mit Hundertern an. Leider geht es bergab. Bald schon muss er die zweiten tausend Mark einwechseln. Dann wendet sich das Blatt. Als Stefan bereits mehrere Tausend gewonnen hat, setzt er gleich fünfhundert auf Rot. Während er wartet bis das Rad gedreht wird, sieht er am gegenüberliegenden Tisch, dass dort nun - seiner Meinung nach - Schwarz kommen müsste. Also geht er kurz hinüber, um das Spiel nicht zu verpassen. Er tätigt hier ebenfalls den Einsatz und eilt zum ersten Tisch zurück.
Endlich wird die Kugel in diesen Kessel geschleudert. Fast im selben Moment kreist auch die andere los.
Stefan steht zwischen den beiden Tischen. Er ist erregt. Seine Stirn sowie die Nase werden schweißnass.
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